Überraschungen auf beiden Seiten
Noch vor wenigen Jahrzehnten mussten Ehefrauen in Deutschland ihren Mann um Erlaubnis bitten, wenn sie ein Bankkonto eröffnen oder einen Beruf ausüben wollten.
Als Anna Prinz vom Auswärtigen Amt zu Beginn der Medienkonferenz in Rabat davon erzählte, reagierten die arabischen Teilnehmerinnen ungläubig.
"In der arabischen Welt sind Frauen durch patriarchale Traditionen benachteiligt. Aber Frauen haben im Islam seit jeher das Recht auf eigenes Vermögen", staunte die aus Ägypten stammende Sahar Khamis, zurzeit Dekanin der Fakultät für Informationswissenschaften in Qatar.
Auch die Vertreter aus dem deutschen Sprachraum zeigten sich überrascht: zum Beispiel darüber, dass in Tunesien seit den siebziger Jahren von Staats wegen die Abtreibung per Fristenlösung praktiziert wird. Hintergrund des tunesischen Gesetzes war zwar nicht das individuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau, sondern bevölkerungspolitisches Kalkül.
Dennoch ist in den meisten Staaten Europas die Abtreibung per Fristenlösung bis heute undenkbar, und dass ausgerechnet ein islamisches Land hier den Frauen die Entscheidung überlässt, will nicht recht ins Bild eines scheinbar modernisierungsunfähigen Islam passen.
Zuwenig Berichterstattung über Fortschritte
Obschon nicht repräsentativ, zeigten die genannten Beispiele besonders eindringlich, dass die stereotypen gegenseitigen Frauenbilder - auf der einen Seite die rechtlose, verschleierte Muslimin, auf der anderen Seite die familienfeindliche westliche Karrierefrau – mit dem realen Lebensalltag von Mädchen und Frauen in beiden Kulturen herzlich wenig zu tun haben.
"Wenn in Deutschland über muslimische oder arabische Frauen debattiert wird, sind oft gar nicht die Frauen das Thema", analysierte der Politikwissenschaftler Jochen Hippler. "Unterschwellig geht es um Einwanderung und um die Angst der Deutschen vor dem Fremden."
Irene Schneider, Professorin für Islamwissenschaft in Göttingen, kritisierte, dass wichtige Entwicklungen zugunsten von arabischen Frauen, wie zum Beispiel die einschneidende Familienrechtsreform in Marokko von 2004, in den deutschen Leitmedien kaum Widerhall fänden. "Bei uns gibt es immer noch zu viele Klischees in der Berichterstattung über arabische Frauen."
Gemeinsame Probleme
Das gelte indes auch umgekehrt, entgegnete Khadija Ridouane, Außenpolitik-Redakteurin bei der palastnahen marokkanischen Tageszeitung "Le Matin du Sahara". Arabische Mädchen und Frauen hätten oft ein zwiespältiges Verhältnis zu den Geschlechtsgenossinnen in Europa: "Viele sehen in ihnen das Vorbild, dem sie unbedingt nacheifern wollen. Andere glauben, zu viel Freiheit für die Frauen zerstöre die arabische Familie und Kultur." Bei ihren Arbeitsaufenthalten in Europa und Deutschland sei ihr klar geworden, wie schematisch auf beiden Seiten gedacht werde.
"Frauen in Europa und der arabischen Welt haben wesentlich mehr gemeinsam, als ihnen bewusst ist", gab Khadija Ridouane zu bedenken. Statt sich voneinander abzugrenzen, sollte man sich mit den gemeinsamen Problemen befassen: "Der Mangel an Demokratie, Armut und die negativen Auswirkungen der unkontrollierten Globalisierung: davon sind Frauen besonders betroffen, und das sollte uns beschäftigen."
Mehr Frauen in den Medien
Anders als noch vor wenigen Jahrzehnten arbeiten erstaunlich viele Frauen in den Medien. "In Deutschland sind heute rund die Hälfte der Mitarbeiter in Rundfunk und Fernsehen Frauen", berichtete Dagmar Skopalik, ehemalige Gleichstellungsbeauftragte, jetzt zuständig für Internationale Beziehungen beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF).
Zuviel Optimismus sei aber nicht angebracht: "Auf der Karriereleiter bleiben die meisten Frauen immer noch in den unteren Führungsetagen hängen." In der arabischen Welt zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab: An der nationalen Medienfachschule ISIC in Rabat seien mehr als die Hälfte der Studierenden Frauen, berichtete die Leiterin des Instituts, Latifa Akherbach. Bei den publikumsträchtigen arabischen Satelliten-Fernsehsendern ist inzwischen bis zur Hälfte der Belegschaft weiblich.
Anas Bouslamti, Producer bei Dubai TV (40% Frauenanteil) kritisierte jedoch, dass in Werbespots und Musikvideos Frauen immer noch zur Hausfrau oder zum Lustobjekt degradiert würden. Bei den Nachrichtensendern würden Frauen überdurchschnittlich oft als Sprecherinnen eingesetzt, während Moderationssendungen und politische Talkrunden meist Männern vorbehalten blieben.
Gleichzeitig steige aber die Zahl der Reporterinnen und Auslandskorrespondentinnen, räumte Bouslamti ein – keine Selbstverständlichkeit in einer Kultur, in der die Öffentlichkeit traditionell den Männern vorbehalten war.
Gender-sensible Berichterstattung
Mahasen Al-Emam, Vorsitzende der Arab Women Media Center, eine NGO mit Sitz in Amman forderte die arabischen Medienfrauen auf, sich zusammen zu schließen und gemeinsam für mehr Meinungsfreiheit und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
Dagmar Skopalik vom ZDF mahnte, sich nicht mit der zahlenmäßigen Präsenz von Frauen in den Medien zufrieden zu geben. Wie Frauen und Männer im Fernsehen dargestellt würden, sei in erster Linie eine Frage der Kameraführung bzw. Interviewtechnik, und da seien Frauen oft nicht kompetenter - sprich "gender-sensibler" - als ihre männlichen Kollegen. Es komme deshalb darauf an, Genderaspekte fest in die Journalistenausbildung zu integrieren.
Latifa Akherbach erklärte abschließend: "Wir Frauen in Marokko haben immer noch ein Problem mit unserem Selbstbild. Man hat uns von klein auf vermittelt, dass wir weniger wert seien und dass wir neben der Schule oder dem Beruf auf jeden Fall perfekte Hausfrauen und Mütter sein müssen. Ich denke, Frauen sollten in den Medien aktiv daran mitarbeiten, das Frauenbild zu verändern."
Martina Sabra
© Qantara 2005
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