Bassturk, Muhabbet, Tarkan & Co.
Spätestens seit den 90er Jahren geht die türkisch-deutsche Musikszene eigene Wege und entwickelt kreative und erfolgversprechende neue Stile, wie zum Beispiel "R'n'Besk" – eine Symbiose aus türkischen Arabesk-Gesang und gospeligen R'n'B-Standards. Daniel Bax hat sich umgehört.
Aufkleber weisen den Weg. "Hol dir die neue Bassturk Single CD", steht auf den Stickern, die vor allem in Berlins Einwandererbezirken geklebt werden. Dort darf man das Stammpublikum von Bassturk vermuten.
Bassturk – statt den zwei Pünktchen über dem u prangt dort ein kleiner Halbmond mit Stern – ist ein Duo, das aus den beiden Deutschtürken Volkan Melendiz und Tamer Uygunsözlü besteht. "Oriental Pop-Rap" nennen die beiden ihren Musikstil.
Kombination aus Türkisch-Pop und R'n'B
Ihre erste Single "Yana Yana", was auf Deutsch soviel wie "Seite an Seite" bedeutet, gibt einen Vorgeschmack: Tamer auf Türkisch, Melendiz rappt auf Deutsch, und die Musik klingt wie eine Kombination von türkischem Pop mit R'n'B-Elementen.
Die Idee dazu kam den beiden bei ihrem letzten Sommerurlaub in der Türkei, wo sie am Strand ihre ersten Songs aufnahmen. In einem türkischen Fast Food-Lokal in ihrem Heimatbezirk Neukölln erklären Melendiz und sein 23jähriger Kumpel Tamer, wie sie dazu kamen:
"Man kennt ja diese Filme, wo man am Strand sitzt und anfängt, seine Stücke zu texten. Wir dachten uns, vielleicht machen wir das auch mal, vielleicht können wir Mädchen damit imponieren. Aber es hat sich anders entwickelt. Denn wir sind in die Türkei gekommen und haben uns neu in die Kultur dort verliebt. Das hat uns positiv geschockt."
Mit ihren modischen HipHop-Mützen und ihren Jacken mit Pelzrand sehen die beiden Jungmusiker aus, als wären sie gerade aus einem MTV-Musikclip entsprungen.
Und tatsächlich hat zumindest Melendiz schon eine kleine VIVA- und Bravo-Karriere hinter sich: Mit dem Song "Fuck you all" gelang ihm im letzten Jahr ein richtiger Hit in den deutschen Charts, damals sang er noch ausschließlich auf Englisch.
Neue Variationen deutschsprachigen Souls
Dass er sich nun dem türkischen Pop verschrieben hat, kann man getrost als eine Kehrtwende in der noch jungen Karriere des 25jährigen betrachten.In genau die entgegengesetzte Richtung hat sich Murat Ersen aus Köln bewegt, der sich mit seinem Künstlernamen "Muhabbet" ("Gespräch") nennt: Er hat den orientalischen Gesangsstil, den man in der Türkei als "Arabesk" bezeichnet, konsequent eingedeutscht.
Den leidenden und ornamentalen Singsang, der für deutsche Ohren gewöhnungsbedürftig klingt, hat er in eine neue Variante des deutschsprachigen Souls überführt.
Denn so wie Xavier Naidoo und Glashaus einst gezeigt haben, dass es sich in deutscher Sprache genau so schön schmachten lässt wie im Englischen, zeigt Muhabbet nun, dass sich auch orientalische Gesangsmuster getrost ins Deutsche übersetzen lassen.
Für seine Symbiose aus türkischen Arabesk-Gesang und gospeligen R'n'B-Standards hat Muhabbet den Namen R'n'Besk geprägt. Zunächst kursierten seine Songs ausschließlich im Internet, wo sie eine wachsende Fangemeinde fanden.
Inzwischen besitzt Muhabbet einen Plattenvertrag, und selbst in der Türkei zeigt man sich begeistert von dem jungen Newcomer, der den vertrauten Gesangsstil mit dem fremden Idiom kombiniert.
Musikalische Grenzen in Auflösung
Mit dem neuen Jahrtausend haben sich die musikalischen Grenzen zwischen der Türkei und Deutschland aufgelöst. Ein türkischer Popstar wie Tarkan – der zwar in Deutschland geboren wurde, aber seine Karriere in der Türkei begann – hat sich inzwischen weltweit einen Namen gemacht.
Die türkische Pop-Sängerin Sertab Erener gewann im Jahr 2003 den Eurovision Song Contest, und der türkische Sänger Mustafa Sandal spielte im Jahr 2005 ein Duett mit dem deutschen Reggae-Sänger Gentleman ein. Die Beispiele zeigen, dass türkischer Pop inzwischen auch außerhalb der Türkei ein Publikum gewonnen hat.
Auf der anderen Seite haben deutsch-türkische Musiker inzwischen auch in Deutschland ihren Platz gefunden. Insbesondere die Berliner Rap-Szene wird stark von türkischstämmigen Rappern geprägt:
Leute wie Kool Savas und Eko Fresh, die aus dem Umfeld des Berliner Battle-Rap-Labels "Royal Bunker" entstammen, die rüpelhaften Jungs vom Rap-Label "Aggro Berlin" oder die ebenso rüpelhafte Konkurrenz von "Shok Müzik" – sie alle haben sich mit derben, oft sexistischen Texten einen Namen gemacht und einen neuen, rauen Ton in die deutsche Musikszene gebracht.
Durch ihren Erfolg sind türkische Namen im deutschen Rap inzwischen eine Selbstverständlichkeit, wenn nicht gar ein Markenzeichen geworden.
HipHop-Beats und türkische Texte
Das war nicht immer so. Anfang der 90er Jahre, als mit den "Fantastischen Vier" der kommerzielle Aufstieg des deutschen HipHops begann, blieben viele türkischstämmige Rapper zunächst außen vor.
Einige von ihnen begannen damals damit, ihre selbst gebastelten HipHop-Beats mit türkischen Texten - und manchmal auch mit orientalischen Samples - zu kombinieren.
Das war damals noch eine absolute Neuigkeit, und Gruppen wie "Islamic Force" aus Berlin, DJ Mahmut & Murat G aus Frankfurt am Main und vor allem Cartel, ein Zusammenschluss türkischstämmiger Rapper aus der gesamten Bundesrepublik, gelten deshalb bis heute als legitime Begründer des türkischsprachigen HipHop.
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Auf der anderen Seite schwappte Anfang der 90er Jahre die aufbrandende Pop-Welle aus der Türkei nach Deutschland über. Fast stündlich kamen am Bosporus zu jener Zeit neue Popstars und Sternchen wie Tarkan, Celik oder Askin Nur Yengi auf.
Deren aktuelle Hits ließen im Sommer die Boxen der Diskotheken in den Urlaubsorten von der Ägäis bis zum Mittelmeer erzittern und ihre neuesten Videoclips rotierten rund um die Uhr auf den neu gegründeten Musikkanälen.
Künstler arbeiten über Grenzen hinweg
Der boomende Pop-Markt in der Türkei übte auch auf viele türkischstämmige Musiker in Deutschland eine Sogwirkung aus. Sänger wie Rafet El Roman aus Frankfurt am Main, der sich mit Schiebermütze wie ein Italo-Popstar inszenierte, oder die Sängerin Tugce San aus Heidelberg, die im Leopardenkostüm posierte und einen technoiden Sound pflegte machten Karriere am Bosporus.
Sie alle brachten aus Deutschland eine jeweils eigene Note in die türkische Popszene, und hatten damit zumindest eine Weile lang Erfolg. Die Sogwirkung des Popmarkts in der Türkei war eine zeitlang so groß, dass sogar einige Rapper aus Deutschland dort ihr Glück versuchten: Und dass, obwohl HipHop in der Türkei bis dahin noch kein nennenswertes Echo gefunden hatte.
Inzwischen hat sich der türkischsprachige HipHop auch in der Türkei etabliert, und einheimische Rapper wie Ceza ("Strafe") haben den Pionieren aus der Diaspora dort längst den Rang abgelaufen.
Andererseits stellt die Sprachbarriere für türkischsprachige Künstler heute kein unüberwindbares Hindernis mehr dar, um in Deutschland Karriere zu machen.
So kommt es, dass immer mehr Künstler versuchen, auf beiden Märkten zu bestehen, in der Türkei und in Deutschland – ob sie nun auf Türkisch singen wie Basstürk oder sich für Deutsch entscheiden wie Muhabbet. Die Sprache ist zwar noch immer nicht ganz unwichtig. Aber inzwischen eben nicht mehr entscheidend.
Daniel Bax
© Qantara.de 2007
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