Arabische Pop-Musik wird global
Elyanna lässt sich nicht gerne in eine Schublade stecken. Das betont die palästinensisch-chilenische Sängerin in Interviews immer wieder, und doch kommt man nicht umhin zu sagen: Elyanna bringt den arabischsprachigen Pop in den globalen Mainstream bringt und erntet dafür viel Lob .
Ironischerweise hatte die 22-Jährige nie vorgehabt, in ihrer Muttersprache Arabisch zu singen; sie habe es einfach in einem Aufnahmestudio ausprobiert, erzählte sie im Jahr 2022 der "Los Angeles Times". Ihre Entscheidung zahlte sich aus: Ihre erste Single "Ana Lahale" ("Ich bin allein"), die 2020 erschien, wurde auf Spotify mehr als 24 Millionen mal angehört. Und 2021 wurde sie eine der Hauptkünstlerinnen des neu gegründeten Labels Universal Arabic Music, einem Ableger des Musikriesen Universal Music.
In jüngster Zeit hat Elyannas Ruhm eine neue Dimension erreicht. Im Jahr 2023 war sie die erste arabische Künstlerin, die auf dem Coachella Festival in Kalifornien alle ihre Lieder ausschließlich auf Arabisch sang. Kurz darauf wurde sie von der renommierten Musikfachzeitschrift "Rolling Stone Magazine" zu einer der 25 Künstlerinnen und Künstler gewählt, die man im Auge behalten sollte. Das Jahr 2024 ging vielversprechend weiter: eine ausverkaufte Nordamerika-Tournee und die Veröffentlichung ihres mit Spannung erwarteten Debütalbums "Woledto" ("Ich bin geboren") am 12. April.
Generationen und Kulturen verbinden
Das Album, genau wie ihre sonstige Musik, basiert auf ihrer palästinensisch-chilenischen Identität und vermischt arabische und lateinamerikanische musikalische Einflüsse. Die Single "Ganeni" ("Make me crazy") zum Beispiel kombiniert Reggaeton-Beats und lateinamerikanische Trompeten mit nahöstlichen Trommeln und einer gehörigen Portion Wehklagen.
Ramzi Salti, Professor an der Stanford University und Moderator von "Arabology", einem Podcast über arabische Kultur und Musik, führt ihre weltweite und generationenübergreifende Anziehungskraft auf ihre Fähigkeit zurück, Einflüsse nahtlos miteinander zu verbinden.
"Ich weiß, dass meine Mutter, die 85 Jahre alt ist, Elyanna hört und sie mag, und mein Neffe hier in Jordanien, der 15 Jahre alt und sehr wählerisch ist, hört auch Elyanna", sagte Salti der Deutchen Welle (DW). "Ich glaube, es ist ihre Fähigkeit, Ost und West zu mischen."
Salti bezeichnete sie als "arabische Beyoncé" - eine Künstlerin, die sich im Gegensatz zu vielen traditionellen arabischen Sängerinnen nicht scheut, eine ganze Show auf die Beine zu stellen. Mit dem Streetwear-Stil von Rihanna, der Sinnlichkeit von Shakira, und geschmückten Fingernägeln, die denen des spanischen Stars Rosalia in nichts nachstehen, hat sich Elyanna ein unverwechselbares Image geschaffen.
"In einer Debatte, in der Palästinenser allzu oft entweder als belagerte Opfer oder als blutrünstige Terroristen dargestellt werden, bietet Elyanna eine fröhliche und kraftvolle Darstellung des palästinensischen Lebens", schrieb der Kolumnist Rob Eschmann 2023 auf der jüdisch-amerikanischen Nachrichtenseite "Forward".
"Im Gegensatz zu arabischer Musik im Allgemeinen, die dem westlichen Publikum so lange fremd erscheint, bis sie erklärt wird, braucht Elyanna keine Erklärungen", sagt Salti. Die Musik mit ihren tanzbaren Beats spreche für sich: "You feel it."
Von Nazareth nach Kalifornien
Elyanna wurde 2002 als Elian Marjieh in eine christlich-palästinensische Familie aus der nordisraelischen Stadt Nazareth geboren, wo die größte arabische Gemeinschaft des Landes lebt. Ihre Großmutter väterlicherseits stammte aus Chile. Im Alter von sieben Jahren begann sie zu musizieren. Als sie 15 war, zog die Familie nach San Diego, um ihre musikalische Karriere zu fördern.
Eine Entscheidung, die sich auszahlte: In den USA wurde Elyanna auf Instagram und Soundcloud bekannt und knüpfte Kontakte zu anderen arabischen Künstlern in Nordamerika. 2018 wurde sie von dem libanesisch-kanadischen Manager Wassim Slaiby unter Vertrag genommen, der 2021 Universal Arabic Music gründete.
Elyannas Karriere ist längst Familiensache: Ihr Bruder ist ihr Pianist, Produzent und Kreativdirektor, ihre Schwester ist ihre Stylistin und Designerin, Ihre Mutter, eine Dichterin, hat zu ihren Texten beigetragen, und ihren Vater bezeichnet sie als den Klebstoff, der alles zusammenhält.
Wenn es um ihre musikalischen Einflüsse geht, nennt Elyanna eine Reihe von Künstlern, von arabischen Größen wie der Libanesin Fairuz über die in Ägypten geborene französisch-italienische Dalida bis hin zu Jazz-Ikonen wie Etta James, den verstorbenen Queen-Frontman Freddie Mercury und Beyoncé.
Ihre eigene musikalische Vielseitigkeit bewies sie mit Coverversionen von Edith Piafs Klassiker "La Vie en Rose" ("Al Kawn Janni Maak") und dem gefühlvollen Hit des nigerianischen Sängers Zubi "Sugar" ("Sokkar").
Zurück zur palästinensischen Identität
Vor allem aber ihre eigenen Songs machen die Künstlerin aus: So zelebriert Elyanna ihr palästinensisches Erbe ohne Scheu. Ihre Konzerte, Fotos und Videos sind voll von Henna, traditionellen palästinensischen Stickereien, mit Münzen besetzten Accessoires und Kufiyas, dem schwarz-weiß karierten Tuch, das die palästinensische Identität symbolisiert.
Ihre Posts auf ihren TikTok- und Instagram-Accounts, die jeweils mehr als eine Million Follower haben, sind gespickt mit Wassermelonen-Emojis, einem Symbol des Widerstands gegen die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete. Daneben finden sich Tauben, Olivenzweige und weiße Herzen.
Trotzdem ist Elyannas Musik nicht politisch - in ihren Songs geht es eher um die üblichen Hip-Hop-Themen wie Liebe, Ruhm und Geld. "Ich mag Politik überhaupt nicht ... Ich mag diese Dinge nicht, wenn sie toxisch und seltsam sind", sagte sie der "Los Angeles Times".
"Ich denke, sich als nicht offen politisch zu bekennen, ist an sich schon ein politischer Akt", sagt Salti und betont gleichzeitig, dass Elyannas stilistische Entscheidungen, mit denen sie ihre Identität feiert, nicht völlig von der Politik getrennt werden könnten. "Diese Wahl ist an sich schon eine Art Politik."
Gratwanderung nach dem 7. Oktober
Der 7. Oktober hat alles verändert. In den Tagen nach dem Anschlag der Terrororganisation Hamas auf Israel drückte sie ihre Gefühle in den sozialen Medien aus und schrieb: "Ich bete für meine Familie, meine Freunde und die Menschen zu Hause.... Ich bete einfach für alle, die auch für ein besseres Morgen beten." Kurz darauf verschob sie ihre Nordamerika-Tournee. Zuletzt nahm sie an Solidaritätsdemonstrationen für die Palästinenser teil.
"Bei den aktuellen Ereignissen schauen die Menschen auf Elyanna", sagt Salti. "Das macht es für sie zu einer Gratwanderung: Denn wenn sie weiterhin fröhliche Lieder veröffentlicht und tanzt, werden die Leute sagen: Schau dir Gaza an - und du sitzt hier und singst zu diesen fröhlichen Rhythmen. Aber wenn sie überhaupt nicht singt, dann wird sie auch angegriffen, weil sie nicht das Wort ergreift. Und die Leute sagen dann: 'Du bist eine palästinensische Sängerin, du bist so stolz darauf, du benutzt dein Erbe die ganze Zeit, warum schweigst du jetzt'?"
Elyannas musikalische Antwort auf die Terroranschläge der Hamas und die darauffolgende Militäraktion im Gazastreifen war ihre Single "Olive Branch" (Goshn Zeytoun), eine emotionale, zugängliche Ballade, die eine universelle Botschaft von Schmerz und Hoffnung vermittelt. "Ich bin weit weg, aber ich bete für dich und sende dir Frieden auf einem Olivenzweig", heißt es im Text. "Im Land des Friedens ist der Friede tot, und die Welt schläft auf einem verwundeten Kind."
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Adaption aus dem Englischen: Sabine Oelze