Gefürchtet, gehasst, geschasst
Hanin Soabi ist immer für eine Schlagzeile gut. Der Grund: Die Statements der palästinensischstämmigen Politikerin sind provokativ und meistens hochumstritten. Seit 2009 sitzt sie für die arabische Partei "Balad" in der Knesset, im israelischen Parlament in Jerusalem. Seitdem steht Soabi im Fokus der Öffentlichkeit. Mit Aussagen wie "Israel ist anti-demokratisch und rassistisch" im Zusammenhang mit der Besatzung des Westjordanlandes und der palästinensischen Minderheit in Israel fordert die Kommunikationswissenschaftlerin Staat und Gesellschaft heraus. Die 45-Jährige nimmt dabei in Kauf, immer wieder politisch ins Abseits zu geraten.
Es gibt derzeit wohl keine israelische Politikerin, die umstrittener ist. Soabi zieht regelrechte Hassattacken auf sich und wurde des Öfteren schon mit dem Tode bedroht. Laut einer aktuellen Umfrage befürworten 89 Prozent der jüdischen Israelis, Soabi die Staatsbürgerschaft zu entziehen. In den sozialen Medien und von Knessetabgeordneten wird sie "Verräterin”, und "Terroristin" diffamiert. Und Außenminister Avigdor Lieberman von der Ultrarechtspartei "Beitenu" sähe sie am liebsten hinter Schloss und Riegel. Ihre Gegner findet man mittlerweile im gesamten politischen Spektrum, auch bei den Linken. So meinte jüngst der Abgeordnete Itzik Shmuli von der "Arbeitspartei", Soabi betreibe nichts als "billige Provokation" und sei eine "fundamentale Israelhasserin".
Von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt
Sie hasse Israel keineswegs, sagt dagegen Soabi, die in Nazareth, im Norden Israels, auf die Welt kam. Aber sie könne sich auch nicht mit einem Staat identifizieren, den sie als rassistisch charakterisiert. Die rund 1,2 Millionen Palästinenser in Israel würden ausgeschlossen: Ihre Werte, ihre Geschichte, ihre Kultur würden von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt.
Nicht nur das. Die Diskriminierung der Palästinenser innerhalb Israels werde anhand von zahlreichen Gesetzen deutlich, sagt Soabi und nennt einige Beispiele. Etwa bei der Familienzusammenführung: Heiratet ein Israeli einen Palästinenser oder eine Palästinenserin aus den besetzten Gebieten, so erhalte der Partner nur befristete Aufenthaltsgenehmigungen in Israel, die regelmäßig erneuert werden müssten - und oft genug ganz verwehrt würden.
Diskriminierend sei auch die Landvergabe. Geflüchtete oder vertriebene Palästinenser seien nach der Gründung Israels 1948 per Gesetz enteignet worden, sagt Soabi. Der Boden ging in die Hand des Staates über – seitdem sei er fast ausschließlich an Juden vergeben worden, so die streitbare Knesset-Abgeordnete. Ein Haus zu bauen, Äcker zu pachten, ein Geschäft zu eröffnen, sei so fast unmöglich. Benachteiligt sei ihr Volk auch inpunkto Bildung, denn ihrer Ansicht nach werden deutlich weniger Palästinenser zum Studium zugelassen.
Dass arabische Israelis in vielerlei Hinsicht ungerecht behandelt werden, gestand vor Kurzem auch Staatspräsident Reuven Rivlin vom "Likud", der konservativen Regierungspartei, ein: "Wir müssen einfach zugeben, dass die arabische Bevölkerung in Israel seit Jahren unter der Benachteiligung hinsichtlich staatlicher Finanzhilfen, Bildung, der Infrastruktur ihrer Städte und der Entwicklung von Industrie und Handel leidet.
Ein Staat für beide Völker
Hanin Soabi und ihre Partei "Balad" fordern, dass Juden und Araber in Israel gleichberechtigt Seite an Seite leben. Das sei Demokratie. Aufgrund dieses Zieles werde sie als Terroristin verunglimpft, sagt Soabi. Wäre sie stattdessen damit einverstanden, dass Juden mehr Rechte haben, würde sie der Staat nicht als Bedrohung betrachten.
Ähnlich sieht das Hillel Cohen, Dozent an der Hebräischen Universität in Jerusalem und Experte für die Beziehungen zwischen Juden und Palästinensern: Auch wenn Israel in vieler Hinsicht demokratisch sei, habe es in Bezug auf seine palästinensische Minderheit im Land Schwierigkeiten. Vor allem, wenn diese ihre Rechte einfordere. Anstatt – wie von vielen erwartet - loyal zu sein, halte Soabi den Israelis den Spiegel vor. "Das ist einfach schwer zu ertragen."
Umgekehrt ist es schwer, die rund 1,2 Millionen Palästinenser zu motivieren, Gesellschaft und Staat mitzugestalten. Viele seien frustriert, meint nicht nur Soabi, sondern auch Amal Jamal, Professor der Politikwissenschaften an der Universität Tel Aviv. Mehr und mehr weigerten sich, zur Wahl zu gehen, was in seinen Augen nicht nur falsch ist, sondern auch gefährlich werden kann: "Man sucht sich stattdessen andere Kanäle", wie etwa Gewalt, worauf wiederum rechtsgerichtete Politiker wie Außenminister Lieberman warteten, um Restriktionen zu rechtfertigen.
Hanin Soabi habe viele Unterstützer innerhalb der arabischen Gesellschaft, vor allem mehr und mehr Frauen, weiß Jamal. Die Leute schätzten an der alleinstehenden Politikerin, dass sie so mutig ihre Stimme erhebe. Dabei komme ihre Art nicht überall gut an: "Ihr Mangel an Sensibilität wird kritisiert und einige hätten es lieber, wenn sie nicht so oft in der Öffentlichkeit stünde," sagt der Politikwissenschaftler. Andererseits lauerten die Journalisten inzwischen geradezu darauf, aus jeder Bemerkung Soabis eine Schlagzeile zu machen.
Ausschluss für ein halbes Jahr
Eine dieser Schlagzeilen hatte bereits für weitreichende Konsequenzen gesorgt: Ende Oktober wurde Soabi für ein halbes Jahr aus der Knesset ausgeschlossen. Sie darf bis dahin nicht abstimmen, nicht reden und keine politischen Debatten anstoßen. Diese bis dahin einmalige Höchststrafe hatte die Ethik-Kommission des Parlaments beschlossen, was von einer großen Mehrheit der Abgeordneten bestätigt wurde.
Der Vorwurf: Hanin Soabi soll gegen den Ethik-Kodex der Knesset verstoßen haben. Anlass war ein Radiointerview vom vergangenen Juni, in dem sie Verständnis für die Entführung dreier jüdischer Jugendlicher im besetzten Westjordanland geäußert habe. Die Kidnapper, so Soabi damals, seien keine Terroristen. Die drei Schüler waren später ermordet aufgefunden worden.
Das Interview löste kurz darauf einen Sturm der Entrüstung in Israel aus. Dass Soabi die Tat als solches verurteilte, wurde von der Mehrheit der israelischen Medien jedoch unterschlagen. Unbeachtet blieb auch, dass die Äußerungen außerhalb des Parlaments gemacht wurden und die Knesset-Kommission deshalb gar nicht zuständig ist.
Den Tel Aviver Politikwissenschaftler Jamal wundert es nicht, dass Soabi von ihren Abgeordnetenkollegen so hart bestraft wurde: "Sie fordert die rechts-konservativen Parteien und vor allem auch Männer heraus." Seiner Ansicht nach sei die Maßnahme völlig unangemessen und verletze nicht nur Hanin Soabi als Person, sondern - und das sei viel einschneidender - das "ganze israelische Rechtssystem".
Das zu beweisen, sieht auch Hanin Soabi als ihre Aufgabe an. Sie will gegen den Parlamentsausschluss gerichtlich vorgehen. Ihr Argument: Die Maßnahme habe keine rechtliche Grundlage, sondern sei politisch motiviert. Die Entscheidung des Gerichts steht noch aus.
Ulrike Schleicher
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