Ein irakisches Dorf in der Wüste von Texas
Alles scheint so in Medina Wasl – zu Deutsch "Stadt an der Kreuzung" (Crossroads Junction) – wie wir es aus den Nachrichten über den Irak kennen: Eine Bombe explodiert, Maschinengewehre rasseln, Autos gehen in Flammen auf, Leichen und Verletzte übersähen den Boden. Iraker kommen zu Tode, ihre Frauen beweinen den Verlust. Schiiten kämpfen gegen Sunniten, die US-Armee versucht dem Chaos Herr zu werden.
Dann, auf ein Kommando hin, ist das ganze Spiel vorbei. Die Toten stehen wieder auf, klopfen sich den Staub ab. Sekunden später stopfen sie sich ein Sandwich in den Mund und fangen an zu scherzen.
Medina Wasl ist einer von 13 Orten, an dem die US-Armee in der kalifornischen Mojave-Wüste, 150 Kilometer von Los Angeles entfernt, den Irak-Krieg simuliert. Das Dorf, das als Kulisse dient, ist eine Ansammlung von Bretterbauten, die ein wenig an einen Western erinnern. Aus mehreren Schichten Holz zusammengezimmert ist auch die Moschee, deren Minarett am Straßenende emporragt. Daneben liegt ein zusammengezimmerter irakischer Friedhof, dessen Grabplatten ebenfalls aus Holz und nicht aus Stein sind.
Plastikpuppen, Kunstblut, echte Tränen
Authentisch sind dagegen die über 200 irakische Zivilisten, die zusammen mit den echten US-Soldaten feste Rollen in dem virtuellen Kriegszenario zugewiesen bekommen haben.
Bassam spielt den stellvertretender Bürgermeister von Medina Wasl und sitzt einem US-Kommandeur gegenüber, der in die Kamera sagt: "Die kulturellen Normen der Iraker sind uns wichtig. Wir wollen professionell, höflich und umsichtig auftreten".
Das Drehbuch des zwei- bis dreiwöchigen Trainings-Camps sieht neben Propaganda auch Anti-US-Demonstrationen vor. Einige der irakischen Schausteller skandieren im Pulk "Down with George Bush!" und "Hang the yankees!"
Plastikpuppen mit drehbaren Gliedmassen und Wunden voller Kunstblut werden als Verwundete zurechtgemacht, verarztet und gepflegt, als handele es sich um Menschen. Es rollen echte Tränen für das Begräbnis unechter Toter. Nichts wird dem Zufall überlassen. Das wirkt auf den Zuschauer professionell, mit zunehmender Dauer des Films aber auch befremdlich und absurd.
Ein patriotischer oder ein kritischer Film?
"Die Wirklichkeit ist weitaus komplexer, schwieriger und gefährlicher als sie die US-Armee in so einem Lager inszenieren kann", sagt Jesse Moss, einer der beiden Regisseure. "Unser Film soll eine Allegorie sein auf die Lügen und guten Absichten des US-Militärs, die sich in ihr Gegenteil verkehrt haben."
Ohne die Interviews mit den irakischen Darstellern wäre der Film nur halb so spannend. Angesichts der Musik, die unter einigen Bildern liegt, könnte man sogar auf die Idee kommen, die Aufnahmen sollen eine patriotische Wirkung erzeugen. Bei der Uraufführung während der Berlinale empfanden das einige Zuschauer immerhin so.
"Unser Ziel war ein beobachtender Dokumentarfilm. Keiner, der den Zuschauer pädagogisch bei der Hand nimmt und ihm erklärt, was er wie zu bewerten hat", so Moss. "Dieser Krieg ist ein Irrsinn und die Bush-Regierung trägt die Verantwortung dafür und für viele Tote".
Vorwurf des Heimatverrats
Im Film entlarvt die angeblich auf kulturelle Sensibilisierung angelegte Inszenierung des Militärs sich selbst. In einer Szene schaut ein US-Soldat mit zwei irakischen Darstellerinnen eine ägyptische Sitcom. Das kindliche Gesicht des Soldaten versteht weder das Geschehen auf dem Bildschirm noch das Lachen seiner Mitstreiterinnen.
"Die ersten drei Tage eines Trainings-Camps tue ich mich immer schwer mit den Irakern", gesteht einer der Soldaten, der bereits im echten Irak zum Einsatz kam.
Unter den irakischen Darstellern sind mehrere vor dem Krieg aus dem eigenen Land geflohen. Die Schauspielerei ist für sie alles andere als selbstverständlich: "Anfangs habe ich mich schuldig gefühlt, hier zu arbeiten. Einige in der irakischen Community werfen mir und meinen Kollegen vor, wir würden unsere Heimat verraten", erzählt einer der Akteure, der die Rollennummer '4491' trägt: "Ich habe darüber nachgedacht, ob ich aufhören soll, aber ein Teil des Geldes, das ich hier verdiene, schicke ich meiner Familie in den Irak."
Fiktives Schlachtfeld – echte Darsteller
Im Film feiern die irakischen Darsteller eine arabische Hochzeit. Man sieht ein Hinrichtungsvideo, in dem einer von ihnen als Opfer herhält. Ohne schwarzen Humor ist die Szene kaum zu ertragen. Am Ende übergibt das US-Militär Medina Wasl den irakischen Behörden. In die abschließenden Jubelfeiern fällt ein weiterer Anschlag. Der neue Bürgermeister kommt zu Tode.
"Die Armee verhält sich wie ein großer Konzern, der zeigen will, dass man in die Zukunft plant", so Tony Gerber, der zweite Regisseur. "Diese Maschinerie läuft immer weiter und hält diese Angst-Kultur in den USA am Leben, bei der man ständig fürchten soll, wieder von neuen Gegnern angegriffen zu werden."
Zurzeit wird Medina Wasl umgerüstet. Aus dem irakischen Dorf wird für 12 Millionen Dollar eine Kulisse für den Afghanistan-Krieg.
Martin Gerner
© Qantara.de 2008
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