Bilder wie Dynamit
Mosab Hassan Yousef ist Sohn eines Gründungsmitglieds der radikal-islamischen Hamas und wird Informant des israelischen Inlandsgeheimdienstes. Zehn Jahre lang gelingt es ihm, Terroranschläge gegen Israelis zu vereiteln. Als sein Verbindungsoffizier Gonen Ben Itzhak entlassen wird, beendet Yousef seine Zusammenarbeit mit Israel. Er konvertiert zum Christentum und lässt sich in den USA nieder. Diese Geschichte wird im neuen Dokumentarfilm 'The Green Prince' zu einem packenden Krimi über Terror und Gewalt, aber auch über Vertrauen und Freundschaft. Mit Bildmaterial aus Nachrichtensendungen unterlegt und Kommentaren seines Führungsoffiziers Gonen Ben Itzhak reflektiert und inszeniert der Film nicht, sondern zeichnet auf.
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Nadav Schirman, die Dokumentation 'The Green Prince' ist bereits Ihr dritter Film über Spionage und Terror. Was reizt Sie an diesen Themen?
Nadav Schirman: Für mich liegt der Fokus dieser drei Filme eher auf den Beziehungen der Akteure, die einem enormen Druck ausgesetzt sind, als auf den Themen wie Spionage oder Terrorismus. Der Blick in eine geheime Welt macht diese bewegenden menschlichen Dramen nur interessanter. Wer mich kennt, würde sagen, dass diese Filme über mich sind. Da ich in vielen Ländern aufgewachsen bin, beschäftige ich mich in allen drei Filmen mit Identitätsfragen.
Mein erster Film, 'The Champagne Spy', handelt von einer Vater-Sohn-Beziehung. Der Vater ist ein Mossad-Agent und der Film zeigt den seelischen Preis, den er als Spitzel bezahlt. Mein zweiter Film 'In the Darkroom' ist die Geschichte der Frau und der Tochter von Carlos, eines der bekanntesten Terroristen weltweit. 'The Green Prince' thematisiert die einzigartige Beziehung zwischen einem palästinensischen Informanten und seinem israelischen Verbindungsagenten.
Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?
Schirman: Ich suchte einen Film für meine Trilogie, als ein Freund mir von Mosab Hassan Yousefs Autobiographie erzählte: 'Sohn der Hamas. Mein Leben als Terrorist'. Ich habe es in nur zwei Stunden verschlungen und war von seiner Perspektive als Insider und Sohn eines Mitbegründers und Anführers der Hamas fasziniert. Ich begriff, dass wir über die Hamas, die ja unsere Nachbarn sind, abgesehen von einigen Schlagzeilen in der Presse gar nichts wissen.
Wie haben Sie Mosab erreicht und ihn überredet, bei dem Filmprojekt mitzumachen?
Schirman: Ich kam ihm über den früheren israelischen Geheimdienstler Gonen Ben Itzhak, den ich in einem Café in Tel Aviv traf. Es war das erste Mal, dass ich einen Agenten des Inlandsgeheimdienstes getroffen habe. Gonen überraschte mich.
Inwieweit? Was für ein Mensch ist er?
Schirman: Ich erwartete einen 'harten' Typen. Gonen sprach aber leise und wirkte sofort sympathisch und vertrauenswürdig auf mich. Das ist wohl sein Erfolgsrezept. Auf Jiddisch würde man sagen, er ist ein 'Mentsch' – ein Mann mit einem guten Herz. Für ihn war diese Arbeit sehr kompliziert, weil sie ihn immer wieder in Konflikt mit seinen moralischen Werten brachte. Er musste jedoch zusammen mit Mosab Terroranschläge verhindern.
Für Gonen war es das erste Mal, dass er in der Öffentlichkeit redete. Die Chemie zwischen uns stimmte jedenfalls, so dass wir uns stundenlang unterhielten. Je mehr er seine einzigartige Beziehung zu Mosab beschrieb, desto mehr bekam ich Gänsehaut. Das ist meine Art, emotionale Wahrheit aufzuspüren. Es war sehr wichtig, dass Gonen mitmachte, denn dadurch vertrautemir auch Mosab.
Wie kam Ihr erstes Treffen mit Mosab zustande?
Schirman: Weil ich in Frankfurt lebe und er in Los Angeles, trafen wir uns 'in der Mitte' – in New York. An jenem Abend wartete ich in einer Hotel-Lobby, als plötzlich die Nachricht hereinbrach, dass Osama bin Laden getötet worden sei. Zwei Minuten später kam Mosab hinein. Er hatte die Nachricht auf dem Weg vom Flughafen gehört und sagte sofort: 'Komm, lass uns zum Ground Zero gehen!'. Dort waren schon Tausende Amerikaner versammelt, die 'Amerika, Amerika!' skandierten – als ob die USA gerade die Fußball-Weltmeisterschaft gewonnen hätten. Mosab wollte an dieser Kundgebung teilnehmen, weil die USA ihm Asyl gegeben und damit wohl auch sein Leben gerettet hatten. Ich begriff sofort, wie groß seine Identitätskrise gewesen sein musste: Vor zehn Jahren hätte er wohl an einem solchen Abend auf der anderen Seite gestanden.
Welche Rolle spielte Mosab Konversion vom Islam zum Christentum? Hat dies auch seine Entscheidung beeinflusst, für die Israelis zu arbeiten?
Schirman: Der Übertritt kam viel später. Als Mosab entschied, für Israel zu arbeiten, war das für ihn sehr kompliziert. Er konnte nicht zu einem Psychologen gehen und darüber sprechen, sondern er musste das für sich selbst verarbeiten. Ich glaube, dass die Bergpredigt, worin steht 'Liebe deine Feinde', für ihn doch sehr viel Sinn gemacht hat. Er verinnerlichte diese Lehren quasi als eine Art 'spiritual guide'. Heute ist er ein sehr gläubiger Mensch geworden. Diese Arbeit mit Israel war für ihn eine Horizonterweiterung, weil er in einer radikalen islamischen Gruppe mit Scheuklappen aufgewachsen war.
Als Zuschauer hat man das Gefühl, dass die Kamera Mosab vor und während der Arbeit als Informant ständig begleitet. Weshalb haben Sie diese Perspektive gewählt?
Schirman: Wir wollten den Film dramaturgisch packend gestalten. Wir hatten das große Glück, seltenes Archivmaterial zu finden, etwa die Aufnahmen, die Mosab in Ramallah zeigen, als er noch 'undercover' tätig war. Hassan Yousef war ein bekannter Politiker im Westjordanland, so dass arabische Fernsehsender über seine Reden berichteten. Sie konnten aber nicht verstehen, warum wir uns ausgerechnet für Aufnahmen interessieren, die für sie völlig unwichtig waren, wie beispielsweise als Yousef von seinem Sohn mit dem Auto gefahren wird. Im dramatischen Kontext des Films wirken diese Bilder jedoch wie Dynamit. Vom israelischen Militär erhielten wir Filmaufnahmen aus Drohnen.
Warum lassen Sie die beiden Protagonisten einzeln in kahlen Räumen direkt in die Kamera sprechen, wie bei einem Verhör?
Schirman: Diese Räume mit ihren fünf Meter hohen Betonwänden, die wir in München aufbauten, erinnern an die Verhörräume des Geheimdienstes, an die Sperranlage im Westjordanland, aber auch an die Isolation der beiden in der eigenen Community.
Wir haben für die Interviews das 'Interrotron' benutzt. Dieses Gerät ermöglicht es, mit dem Interviewpartner zu sprechen, der direkt in die Kamera und in die Augen der Zuschauer blickt. Die Körpersprache macht 70 Prozent der Kommunikation aus, und dieses Gerät funktioniert daher wie ein Lügendetektor: der Zuschauer kann besser erkennen, ob jemand wirklich die Wahrheit sagt.
Wie gefährdet ist Mosab, der jetzt in den USA lebt?
Schirman: Als wir mit Mosab in Deutschland drehten, mussten wir seine Reise- und Unterkunftsplanungen sehr diskret behandeln. Außerdem hatten wir für den ersten Teil der Dreharbeiten bewaffnete Leibwächter am Set. Als wir in Ramallah drehten, kam er aus Sicherheitsgründen nicht mit. Im Westjordanland mussten wir uns sehr bedeckt halten, was sich mit einer internationalen Crew, die auch aus Israelis bestand, schwierig gestaltete. Das brachte aber auch eine gewisse Spannung mit sich und ließ uns die Sicht des Protagonisten besser verstehen.
Wie hat die Begegnung mit diesen beiden Menschen Ihr Leben beeinflusst?
Schirman: Diese besondere Beziehung zwischen Gonen und Mossab war möglich, weil beide ein großes Risiko auf sich nahmen, um das Richtige zu tun. Beide haben eine starke moralische Veranlagung und keine Angst, gegen den Strom zu schwimmen. Die beiden sind eine absolute Ausnahme im Israel-Palästina-Konflikt, in dem die meisten Menschen einfach folgen, statt zu führen und wo niemand das Risiko in Kauf nimmt, dem anderen zu vertrauen. Die Freundschaft der beiden Protagonisten gibt daher Hoffnung.
Das Interview führte Igal Avidan.
© Qantara.de 2014
Der Film "The Green Prince" läuft derzeit noch in deutschen Kinos. Regie und Buch: Nadav Schirman. Mit: Mosab Hassan Yousef, Gonen Ben Itzhak, Sheikh Hassan Yousef, Länge: 95 Minuten