Die Europäer müssen jetzt ohne die USA verhandeln
Mit seiner Entscheidung, sich aus dem Atomabkommen (JCPOA) mit dem Iran zurückzuziehen – oder genauer gesagt: es zu brechen –, fordert der amerikanische Präsident Donald Trump die internationale Staatengemeinschaft und insbesondere die europäischen Partner der USA direkt heraus.
Dabei geht es um mehr als eine bloße Meinungsverschiedenheit zwischen transatlantischen Verbündeten, wie dies noch im Jahr 2003 bei der Invasion des Irak der Fall war. Damals führte die Politik der Amerikaner zu einem Bruch auf der europäischen Seite des Atlantiks und insbesondere zwischen Großbritannien auf der einen und Deutschland und Frankreich auf der anderen Seite. Dieses Mal allerdings vertreten Briten, Franzosen und Deutsche trotz der schwierigen Brexit-Verhandlungen eine gemeinsame Haltung gegenüber dem ihrer Auffassung nach bislang schwersten Fehler der Trump-Präsidentschaft.
Dabei geht es keineswegs nur um Politik. Mit seinem Bruch des gemeinsam mit den E3 sowie der EU-Außenbeauftragten, Russland und China ausgehandelten Abkommens und der Ablehnung eines europäischen Vermittlungsangebots und auch nur einer Fristverlängerung demonstriert Donald Trump seine Haltung gegenüber dem internationalen Recht an sich. Damit verursacht er einen Bruch zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten, der während seiner weiteren Amtszeit wohl kaum wieder überbrückt werden kann.
Kein perfektes Abkommen, aber ein riesiger diplomatischer Erfolg
Die EU/E3 sieht sich nun einem Trilemma gegenüber: erstens muss sie eine Führungsrolle übernehmen, um das Atomabkommen zu retten. Dabei wird weder von den USA noch von Iran große Hilfe zu erwarten sein. Die politische Elite des Iran ist mit Blick auf das Abkommen gespalten. Seine Fürsprecher, darunter Präsident Rohani und sein Umfeld, wurden durch den Rückzug der Amerikaner geschwächt.
Kaum jemand in Europa würde behaupten, dass das Abkommen perfekt sei. Dennoch ist es ein riesiger diplomatischer Erfolg und hat zu einem spürbaren Rückgang der Nuklearaktivitäten des Iran geführt. Allein schon aus diesem Grund ist es wert, am Leben erhalten zu werden. Zweitens können Frankreich, Deutschland und Großbritannien nicht einfach ihren Kurs ändern und das weitere Vorgehen gemeinsam mit den anderen internationalen Vertragsparteien, also Russland und China, festlegen.
Denn dies würde das Misstrauen, die Paranoia und den Zorn des US-Präsidenten und seiner wichtigsten Berater gegenüber den Europäern nur noch verschärfen. Drittens ist es eine gewissermaßen hinterhältige Ironie, dass Washington durch die Wiedereinsetzung der Sanktionen gegen Iran und (direkt bzw. indirekt) europäische Unternehmen einerseits das Abkommen untergräbt, sich andererseits aber auf die Europäer verlässt und sie vermutlich auch dafür zur Verantwortung ziehen wird, die wichtigsten Erfolge des Abkommens zu bewahren. Hierzu zählen insbesondere die Einschränkungen des iranischen Atomprogramms und der Inspektionen durch die Internationale Atomenergieagentur“.
Neuverhandlungen wären absurd
Was also können und sollten die Europäer nun tun?
Mit Sicherheit sollte Europa sich nicht auf die USA und ihren selbsternannten "Dealmaker" verlassen. Jeder Gedanke an eine mögliche Neuverhandlung des Nuklearabkommens zur Nachbesserung der darin unter anderem aus amerikanischer und europäischer Sicht enthaltenen Mängel ist absurd und wäre vor dem Rückzug der Amerikaner nicht einmal in Erwägung gezogen worden. Denn bei dem Abkommen handelt es sich im Grunde um einen Vertrag zur Rüstungskontrolle und damit um einen Kompromiss: fürs Erste für beide Seiten ausreichend, jedoch auch alles andere als perfekt.
Es bedarf eines gemeinsamen Willens aller Beteiligten, das Abkommen neu zu verhandeln. Russland und China haben daran keinerlei Interesse und Iran würde sein Gesicht verlieren, wenn es – unter Druck gesetzt – plötzlich akzeptieren würde, was es stets als inakzeptabel bezeichnet hat. Diese Variante ist also vollkommen ausgeschlossen.Durchaus denkbar ist jedoch eine neue Sondierungs- und später dann Verhandlungsrunde über ein umfassendes Sicherheitsabkommen mit dem Iran. Ein solches Abkommen würde den JCPOA nicht ersetzen, aber auf ihm aufbauen. Es müsste spätestens 2025 in Kraft treten, wenn die ersten Verfallsklauseln des aktuellen Abkommens auslaufen (dabei handelt es sich um qualitative und quantitative Einschränkungen der Urananreicherung). Es müsste sowohl mit Blick auf die vorgesehenen Fristen als auch inhaltlich über das aktuelle Abkommen hinausgehen.
Mit anderen Worten müsste es also längerfristige Vereinbarungen zu den vom JCPOA berührten atomaren Fragen beinhalten, zugleich aber weitergehende Aspekte der Rüstungskontrolle und der regionalen Sicherheit sowie die Herstellung ballistischer Raketen behandeln. Vor allen Dingen aber muss die Weitergabe ballistischer Raketen an nichtstaatliche Akteure geregelt werden.
Wäre Teheran bereit, sich auf solche Verhandlungen einzulassen? Sicher bin ich mir nicht, eine Möglichkeit besteht aber. Höchstwahrscheinlich ist Iran aber bereit, ein solches umfassenderes Abkommen zumindest in Erwägung zu ziehen. In der Vergangenheit war es schließlich der Iran selbst, der wiederholt forderte, die Atomverhandlungen mit den E3 und später mit den E3 und den USA, Russland und China auf regionale Themen auszuweiten. Washington und die Europäer wollten die Gespräche dagegen auf das Atomthema beschränken.
Ausweg aus der Sackgasse
Sondierungen bzw. Verhandlungen zur regionalen Sicherheit und Rüstungskontrolle könnten sich somit als Ausweg aus der aktuellen Sackgasse erweisen. Dabei versteht es sich von selbst, dass die in solchen Verhandlungen zu behandelnden Themen keineswegs vom Westen allein gesetzt werden können.
Sobald es auch um regionale Themen geht, müsste man akzeptieren, dass das Land seine eigenen Interessen mit an den Verhandlungstisch bringt. Und sobald mit Iran regionale Fragestellungen erörtert werden, werden andere Staaten aus der Region, nicht zuletzt die arabischen Nachbarstaaten am Persischen Golf, berechtigterweise darauf bestehen, ebenfalls involviert zu werden. Dies ist durchaus eine diplomatische Herausforderung, aber keineswegs eine unlösbare. Die Europäer verfügen über weitreichende Erfahrungen mit multilateralen Rüstungskontroll- und Sicherheitsgesprächen.
Irgendwann müssten sich dann auch die Vereinigten Staaten an solchen Gesprächen und einem möglichen Abkommen beteiligen. Angesichts der aktuellen Abwesenheit Washingtons auf dem diplomatischen Parkett sollten sich Deutschland, Frankreich und Großbritannien auf ihre Vorgehensweise in den Jahren 2003 bis 2006 besinnen. Sie müssten also wieder als E3 von vorne beginnen und das Verfahren so lange weiterführen, bis die USA mit ins Boot kommen. Dies ist mit Sicherheit erst nach dem Ende der Präsidentschaft Trump denkbar. Die gute Nachricht lautet allerdings, dass die vom JCPOA vorgesehenen Einschränkungen des iranischen Atomprogramms dann noch in Kraft sein werden.
Volker Perthes
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