Alles andere nur kein Leisetreter

Die französische Nationalmannschaft ist seit 23 Spielen ungeschlagen. Das ist auch ein großer Verdienst von Samir Nasri, dem Spielmacher mit algerischen Wurzeln. Der Heißsporn sorgt regelmäßig für Aufregung – auf und neben dem Platz. André Tucic stellt Frankreichs Fußball-Star vor.

Dossier von André Tucic

Samir Nasri legte sich den Ball zurecht, zog aus 16 Metern ab und versenkte ihn gekonnt im linken unteren Toreck. Der Ausgleich gegen England im ersten Gruppenspiel dieser Europameisterschaft war sein Augenblick, sein erster Treffer bei einem großen Turnier.

Doch statt beim Torjubel glücklich zu sein, schaute Samir Nasri grimmig drein. Er lief zur Pressetribüne und legte mehrfach den Finger auf seine Lippen, von denen sich sogar ein unflätiger Satz ablesen ließ. Eine überdeutliche Geste, die zum Schweigen auffordert. "Damit habe ich euch gemeint", sagte Samir Nasri nach dem Spiel. Die Adressaten waren die Journalisten der Sportzeitung "L'Èquipe", die ihn unlängst kritisiert hatten. Er würde dem Spiel der Franzosen keine Impulse geben, angesichts seiner Qualitäten sei das zu wenig.

Seine Geste nach dem Tor sorgte in Frankreich für große Aufregung. "Er bereut es nicht, aber er gibt zu, dass es ungeschickt war", sagte Vater Abdelhamid Nasri danach.

Frankreichs Fußballprofis Ribéry (l.) und Nasri beim Training; Foto: dpa
Neuer Elan für Frankreichs "Equipe Tricolore": Samir Nasri vom Premier-League-Meister Manchester City steht bei der EM im Offensivtrio mit Franck Ribéry und Karim Benzema.

​​"Ich habe ihm erklärt, dass es nicht die beste Art ist, zu reagieren", fuhr er fort. Verbandspräsident Noël Le Graët zeigte sich wenig begeistert von der Geste des Spielmachers, bestrafte Samir Nasri jedoch nicht.

Die Schatten der letzten Weltmeisterschaft

In Frankreich ist man von "Les Bleus" Schlimmeres gewohnt. Denn bei der letzten Weltmeisterschaft in Südafrika sorgten die Spieler für einige Eklats: In der Halbzeitpause des Spiels gegen Mexiko wurde Trainer Raymond Domenech vom Stürmer Nicolas Anelka aufs Übelste beschimpft, sodass dieser daraufhin ausgewechselt und vom Turnier ausgeschlossen wurde.

Teile des Teams zeigten sich mit dem Stürmer solidarisch und verweigerten das öffentliche Training. Der fassungslose Teammanager Jean-Louis Valentin trat umgehend zurück. Ebenso kam es zwischen Kapitän Patrice Evra und dem Fitnesstrainer Robert Duverne auf dem Trainingsplatz beinahe zu einer Schlägerei.

Mit diesen peinlichen Szenen hatte Samir Nasri nichts zu tun, denn er stand nicht im Kader der Nationalmannschaft. Für viele war das unverständlich. Seine Karriere im Dress mit dem gallischen Hahn begann im März 2007 und er gehörte zum Aufgebot der Europameisterschaft 2008, kam dort aber nur zu zwei Kurzeinsätzen.

Offenbar konnte er den damaligen Nationaltrainer nicht von sich überzeugen. Der setzte auf Altstars anstatt auf junge aufstrebende Spieler. Daher auch die Nichtberücksichtigung bei der letzten Weltmeisterschaft. "Das ich nicht nominiert wurde, tat mir weh, aber nach all dem was passiert ist war es vielleicht eine gute Sache", sagte Samir Nasri kürzlich.

Nach der beschämenden WM kam in Laurent Blanc ein neuer Trainer, der vollends auf Samir Nasri zählte. Er machte ihn zum Spielmacher. Das sollte sich bezahlt machen, nicht zuletzt weil der filigrane Techniker jenes Tor schoss, dass Frankreich zur EM brachte: Im letzten Qualifikationsspiel gegen Bosnien verwandelte er wenige Minuten vor Schluss einen Elfmeter zum 1:1.

Samir Nasri nach dem Sieg von Man City bei der englischen Meisterschaft; Foto: dpa
Erfolgreiche Jagd nach Titeln und Trophäen: Gleich in der ersten Saison gewann Samir Nasri mit Manchester City die englische Meisterschaft.

​​Der 24-Jährige musste also lange warten, ehe er in der Nationalmannschaft für Furore sorgen konnte. Dabei gilt er schon lange als Top-Talent.

Wie ein nasses Stück Seife

Samir Nasri wurde in Marseille geboren, der zweitgrößten Stadt Frankreichs, eine Arbeiterhochburg mit vielen Migranten. Dort wuchs Samir Nasri in einer Familie mit algerischen Wurzeln auf, in einer heruntergekommenen Nordrand-Siedlung. Inmitten der Tristesse von Stahlbetonbauten von Gavotte-Peyret begann er als Steppke mit dem Fußballspielen.

Bereits im Alter von 13 Jahren wechselte er zur Jugendabteilung von Olympique Marseille. Schnell bemerkten die Verantwortlichen, dass sie einen Rohdiamanten in ihren Reihen besaßen. Wenig verwunderlich, dass er nur vier Jahre später bei den Profis debütierte.

Doch der schmächtige Samir konnte sich nicht auf Anhieb bei den großen Jungs durchsetzen. Dennoch schaffte er es, sich auf internationalem Terrain für behaupten. Denn mit der französischen U-17-Nationalmannschaft holte er 2004 den Europameistertitel. Ein Jahr später lief Samir Nasri dann schon bei der U-20-Weltmeisterschaft auf. Von nun an war er Stammspieler bei Olympique Marseille und lenkte die Geschicke des Traditionsvereins.

Das machte er so gut, dass er in der Saison 2006/07 die Auszeichnung als bester Spieler der Ligue 1 erhielt. Ein Jahr später wechselte er für 15 Millionen Euro zu Arsenal London, dessen Trainer Arsen Wenger ein Faible für junge, trickreiche französische Spieler hat. In dieses Profil passte Samir Nasri perfekt. Denn manchmal wirkt es so, als würde er seinen Gegenspieler entgleiten, wie ein nasses Stück Seife. Zu seinen technischen Fähigkeiten gesellen sich eine sehr gute Spielübersicht und ein perfektes Timing für Pässe.

Verbale Scharmützel

Arsenal London ist zwar eine Top-Adresse des europäischen Fußballs. Allerdings haftet dem Team der Makel an, dass sie wunderschönen, aber erfolglosen Fußball spielen. Daher wechselte er 2011 für rund 25 Millionen Euro zu Manchester City. "Wäre ich nur an Geld interessiert, hätte ich in London bleiben können. Dort gibt es genug Spieler, die einfach ihr Geld überwiesen bekommen, dafür aber nicht mit Leidenschaft und vollem Einsatz kämpfen", sagte Nasri kurz nach dem Wechsel.

Seiner Meinung nach würde sein ehemaliges Team auf lange Sicht keine Titel gewinnen. Er wolle jedoch mehr erreichen. Sein Plan sollte aufgehen: Gleich in der ersten Saison gewann er mit Manchester City die englische Meisterschaft. Im Zuge des Erfolgs, trat er jedoch gegen seinen alten Club nach: "Ich hoffe die Arsenal-Fans vergessen mich und feiern ihren erfolgreichen dritten Platz. Ich werde weiter nach Titeln jagen."

Das versucht er derzeit auch mit der französischen Nationalmannschaft. Am liebsten würde er seinen 25. Geburtstag in Polen oder der Ukraine feiern. Denn er ist am 26. Juni geboren, einen Tag nach dem ersten EM-Halbfinale.

André Tucic

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de