Hetze im Netz
Wenn eine pakistanische Journalistin auf Twitter Kindesmissbrauch und sexuelle Belästigung anprangert, wird sie schon mal mit Vergewaltigung bedroht: "Ich habe abscheuliche Nachrichten von völlig Fremden bekommen, die mir meine Privatadresse nennen und dann online ihre Gewaltfantasien ausleben."
Eine andere Aktivistin hat ähnliches erlebt: "Fast immer, wenn ich auf Facebook, Twitter oder in meinem Blog Tabuthemen anspreche, bekomme ich hunderte hasserfüllter Kommentare. Die meisten bezeichnen mich als eine Atheistin, als schlechte Frau und westliche Agentin. Viele sagen mir, dass ich nicht weiß, wovon ich rede und 'zurück in die Küche' gehen sollte."
Beide haben ihre Erfahrungen auf der pakistanischen Webseite der Kampagne Take Back the Tech veröffentlicht, die auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam macht und die aktive Nutzung digitaler Medien durch Frauen fördern will. Die Kampagne entstand 2006 innerhalb der Association for Progressive Communications, einem Netzwerk, das sich mithilfe neuer Kommunikationstechnologie für Menschenrechte und Entwicklung einsetzt.
Seitdem sind Ableger in mehr als zwanzig Ländern entstanden. Eine zentrale Aktion im Dezember stand unter dem Motto des "digitalen Erzählens": In kurzen Videos und Artikeln berichteten Frauen im Internet von Gewalt und Missbrauch, aber auch von Selbstbehauptung und persönlicher Reife.
Angriffe auf meinungsstarke Frauen
Nighat Dad, Geschäftsführerin der Digital Rights Foundation in Pakistan, beobachtet, dass mit der Verbreitung des Internets mehr Frauen an Onlinedebatten zu Politik, Religion oder Sexualität teilnehmen. "Das fordert den Status quo und die Stereotype männlicher Nutzer heraus. Wenn sie merken, dass ihre Argumente nicht überzeugen, fangen sie an, die Frauen zu beleidigen und ihren Verstand in Frage zu stellen".
Neben Angriffen auf meinungsstarke Frauen gibt es im Netz auch neue Formen von Belästigung und Missbrauch. Take Back the Tech dokumentiert den Fall eines Facebook-Profils, das entwendete Privatfotos junger Pakistanerinnen mit anzüglichen Kommentaren verbreitet. Mitunter werden solche Bilder in Webseiten mit Kontaktanzeigen oder Pornographie montiert.
Auch mit Mobiltelefonen werden Frauen heimlich fotografiert oder verfolgt. Die Journalistin Saba Imtiaz beschreibt in einem Artikel, wie viele Pakistanerinnen von Textnachrichten unbekannter Männer überschüttet werden. Diese finden die Telefonnummern offenbar durch Zufallsanrufe heraus oder erhalten sie unter der Hand von Lieferservices und Mitarbeitern der Mobilfunkanbieter.
Natürlich spiegeln die neuen Medien nur gesellschaftliche Realitäten wider. Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist in Pakistan weit verbreitet. Laut einer Umfrage der niederländischen Rutgers World Population Foundation haben 66 Prozent der pakistanischen Frauen bereits Gewalt erfahren. Armut, Bildungsmangel und soziale Spannungen gelten als zentrale Ursachen.
Hinzu kommt, dass in der konservativen Gesellschaft Pakistans das Verhalten von Frauen eng mit Fragen der Ehre und Moral verknüpft ist. Die Vorstellungen zu Geschlechterrollen bedürfen einer grundlegenden Änderung, fordert die Professorin und Frauenaktivistin Farzana Bari in der Tageszeitung Express Tribune. Um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, müssten diese finanziell, sozial und rechtlich gestärkt werden.
Doch erst seit 2010 gibt es ein Gesetz, das die Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz zum Inhalt hat. Ein Gesetz gegen häusliche Gewalt hingegen wurde durch den Widerstand islamischer Organisationen verzögert, die vor einer Unterwanderung religiöser Werte und Traditionen warnten.
Fehlende Diskretion
Dementsprechend beschränkt sind Wege, um gegen Belästigung im Internet vorzugehen. Ein seit Jahren zur Diskussion stehender Gesetzentwurf zur Cyberkriminalität befasst sich nur mit Straftaten wie Betrug und Datenraub. Die Organisation Bytes For All, die in Pakistan für Meinungsfreiheit im Internet eintritt, beklagt zudem, dass Polizei und Justizbehörden bei Anzeigen zu sexueller Gewalt – ob online oder anderswo – selten die nötige Diskretion zeigen.
Umso wichtiger ist es, Anwender über Risiken aufzuklären. Bytes for All erstellt eine interaktive Karte, auf der Fälle von Gewalt und Belästigung dokumentiert werden. Zudem hält die Organisation Schulungen über Onlinesicherheit ab. Eine Posterkampagne in den sozialen Netzwerken fordert eine Nutzung digitaler Medien ohne Einschränkungen.
Dabei muss nicht nur der Selbstzensur entgegengewirkt werden, mit der Nighat Dad zufolge viele Frauen auf Hetze im Internet reagieren. Verweise auf Religion und Moral liefern auch Vorwand für staatliche Eingriffe ins Netz. Im Mai 2010 schloss die Regierung für zwei Wochen den Zugang zu Facebook, weil auf einem Profil des Netzwerks ein Wettbewerb mit Mohammad-Karikaturen abgehalten wurde.
Auch YouTube ist in Pakistan blockiert, seitdem im September ein antiislamisches Video wütende Proteste provozierte. Zwar hat sich die Aufregung längst gelegt, doch empfahl das Parlament kürzlich eine Verlängerung der Blockade. Shahzad Ahmad, der Leiter von Bytes for All warnt vor einem Missbrauch der Religion für politisch motivierte Zensur. Amateurvideos auf YouTube haben nämlich schon Korruption und Menschenrechtsverstöße dokumentiert.
Strategien gegen staatliche Kontrollen
Ein Punktsieg gegen das staatliche Kontrollbedürfnis gelang im letzten Jahr: In einer Ausschreibung hatte die Regierung Angebote für die Errichtung eines nationalen Filtersystems eingefordert. Zur Begründung verwies man auf die Abwehr von Pornographie und Blasphemie sowie den Schutz der nationalen Sicherheit. Mit einer geschickten Kampagne und internationaler Unterstützung konnten die pakistanischen Netzaktivisten die vorläufige Aussetzung des Plans erzwingen.
Farieha Aziz war ebenfalls an der Aktion beteiligt. Gemeinsam mit der Bloggerin Sana Saleem hat die Journalistin die Organisation "Bolo Bhi" (Sprich lauter!) – gegründet. Beide Frauen nutzen ihre Medienerfahrung, um sich für Frauenrechte und Meinungsfreiheit zu engagieren. Farieha Aziz zufolge haben Twitter und Facebook den Aktivistinnen neue Wege eröffnet, um ihre Belange in die Öffentlichkeit zu tragen. Habe ein Thema genug Aufmerksamkeit im Netz erzeugt, nähmen es auch andere Medien auf.
Zugleich konnte die Berichterstattung von Presse und Fernsehen wiederholt korrigiert werden. Als Reports über Vergewaltigungen die Namen der Opfer veröffentlichten, hätten Proteste in den sozialen Netzwerken eine Änderung dieser unethischen Redaktionspolitik durchgesetzt, erzählt Aziz. Ähnlich reagierten Internetnutzer auf eine Sendung der Moderatorin Maya Khan, die junge Paare in öffentlichen Parks vor laufender Kamera befragte, ob sie verheiratet seien. Khan musste sich entschuldigen und wurde schließlich entlassen.
Der Einsatz für Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung hat in Pakistan viele Facetten. Wie die Erfahrungen der Aktivistinnen zeigen, sind digitale Medien dabei Werkzeug und Austragungsort zugleich.
Marcus Michaelsen
© Qantara.de 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de