Aus der Not anderer Kapital schlagen
Muhammad Iqbal war einmal ein Bär von einem Mann. Heutzutage ist der Gesundheitszustand des ehemaligen Fabrikarbeiters so schlecht, dass er noch nicht einmal seiner Lieblingssportart "Kabaddi", einer uralten, südostasiatischen Variante des Ringens, nachgehen kann.
Schuld daran trägt der 44-jährige Pakistani selbst. Im Jahr 2012 traf der achtfache Familienvater eine Entscheidung, die sein Leben ruinieren sollte: "Ich war über beide Ohren verschuldet", berichtet Iqbal. "Ich habe damals in einer Ziegelsteinfabrik in der Nähe von Lahore, im Nordosten von Pakistan, gearbeitet und mir umgerechnet rund 1.600 Euro von meinem Chef geliehen. Obwohl ich rund um die Uhr geschuftet habe, wurde der Schuldenberg immer größer. Ich war so verzweifelt, ich hätte alles dafür getan, um mehr Geld in der Tasche zu haben."
"Verkauf doch deine Niere"
Sein Cousin Ashraf hätte dann diese Idee gehabt. Er könne doch seine Niere verkaufen, um Geld zu machen. Zunächst hätte ihn die Vorstellung schockiert. Aber das Elend, in dem er damals gelebt hatte, habe ihn gezwungen, noch einmal darüber nachzudenken. Sein Cousin, der ein halbes Jahr zuvor selbst seine Niere verkauft hatte, habe ihn letzten Endes zu dem Schritt überredet.
"Er hat mir den gesamten Ablauf erklärt, wie einfach doch alles wäre. Vor allem versicherte er mir, dass ich während der Operation nicht sterben würde. Das war die größte Sorge, die ich hatte."
Sein Cousin habe dann auch das Treffen mit Faqir Hussain organisiert, einem Mann aus Lahore, der Nieren verkaufe. "Hussain hat mir angeboten, dass er meine Niere für umgerechnet knapp 940 Euro kaufen würde. Ich habe es geschafft, ihn auf 1.160 Euro hochzuhandeln." Er sei zunächst einer ganzen Reihe von medizinischen Tests unterzogen worden. Man wollte sichergehen, dass "ich nicht unter einer schweren Krankheit leide".
Ausführlicher Gesundheitscheck
Anschließend sei er gebeten worden, ins rund 300 Kilometer entfernte Rawalpindi zu kommen, dem ehemaligen Sitz der pakistanischen Regierung: "Ich kann mich nicht an das genaue Datum erinnern. Ich bin aber sicher, dass wir im Winter 2012 einen Bus von Lahore nach Rawalpindi genommen haben."
Im Morgengrauen seien sie angekommen und von Fahrern abgeholt worden, die "schon auf sie gewartet hätten und sie in einen palastartigen Bau in der Nähe der Innenstadt gebracht hätten. Das Haus gehörte Faqir Hussain."
Die Gangs, die das Geschäft mit den Nieren organisieren, hätten den Ruf, vor einer Operation besonders nett mit den Spendern umzugehen. Auch Muhammad Iqbal hat diese Erfahrung gemacht: "Zunächst sollten wir duschen, danach hat man uns direkt etwas zu essen angeboten."
Nach ein paar Stunden hätte man dann mit den Tests begonnen. "Acht Tage lang hat man uns einer ganzen Reihe von medizinischen Untersuchungen unterzogen."
Insgesamt seien sie 15 Tage in Rawalpindi geblieben, hätten Essen und Unterkunft gestellt bekommen. "Weil die Testergebnisse nicht bei allen eindeutig waren, hatten sie einige wieder nach Hause geschickt."
Die Krankenhäuser, in denen solche Operationen vorgenommen werden, verstecken sich häufig unter einer falschen Identität. Im Fall von Muhammad Iqbal war es eine Augenklinik. "Im Keller dieser Klinik war eine hochmoderne Station eingerichtet, in der die Nierenoperationen vorgenommen wurden. Am Tag der Operation wurde ich in das Krankenhaus gebracht.
Dort habe ich auch Pathal, den Empfänger meiner Niere, kennengelernt. Er hat mir ein wenig mehr als den vereinbarten Preis bezahlt." Jeder einzelne der Ärzte und Krankenschwestern habe Bescheid gewusst. "Einige haben uns auch ihr Mitgefühl ausgedrückt."
Die Ärzte hatten sich - genau wie die beteiligte Gang - so gut wie möglich rechtlich abgesichert, so Iqbal: "Vor der Operation bat mich ein Arzt darum, schriftlich zu bestätigen, dass ich mich aus freien Stücken zu der Operation entschlossen habe, und dass das Krankenhaus in keiner Art und Weise für mögliche Komplikationen oder Schädigungen in der Folge der Operation aufkommen müsse. Dies hätte auch gegolten, wenn ich während der OP gestorben wäre."
Eine OP mit katastrophalen Folgen
Doch dazu kam es nicht - schon einen Tag nach der Operation, die unter Vollnarkose stattfand, habe er einen Bus nach Hause genommen. Wie Iqbal schnell herausfinden sollte, begann erst jetzt sein Leidensweg. "Von den knapp 1.160 Euro, die ich für meine Niere bekommen hatte, musste ich allein rund 290 Euro für Medikamente ausgeben. Eigentlich hätte ich viel Rindfleisch essen sollen, konnte mir das aber nicht leisten. Um meine ursprünglichen Schulden zurückzuzahlen, musste ich also noch meine Rikscha verkaufen."
Heute sei er ein gebrochener Mann: Durch die gesundheitlichen Einschränkungen in der Folge der Operation habe er seine reguläre Arbeit in der Ziegelsteinfabrik aufgeben müssen. Er könne nur noch Gelegenheitsjobs annehmen, wodurch wieder neue Schulden entstanden seien.
"Damit wir nicht im Schuldenberg ersticken, müssen meine beiden Töchter, 13 und 12 Jahre alt, in Lahore als Hausmädchen arbeiten. Sie verdienen noch nicht einmal zehn Euro im Monat und müssen auch dort im Haus wohnen."
"Niemals", so gibt Iqbal unter Tränen zu, würde er jemandem raten, seinen Weg einzuschlagen. "Ich bitte die Regierung inständig, den tausenden Betroffenen, die genau wie ich nicht aus dieser finanziellen Abwärtsspirale herauskommen, die Schulden zu erlassen und den Mindestlohn zu erhöhen."
Denn eines sei klar: Niemand würde seine Niere freiwillig verkaufen. Einzig und allein die Bekämpfung der Armut im Land sei eine wirksame Methode, so Iqbal, um diesen "Verbrecherbanden das Handwerk zu legen".
Sattar Khan
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