Kampf für härtere Strafen bei Femiziden

Nach Ansicht von Juristinnen und Frauenrechtlern ist in der Türkei die Haftdauer für den Mord an Frauen nicht lang genug. Sie fordern, dass die Brutalität der Tat stärker berücksichtigt werden sollte - um abzuschrecken.

Von Burcu Karakaş

Nazmiye Koyuncu war gerade einmal 19 Jahre alt, als ihr Leben brutal beendet wurde. Die junge Mutter verbrachte den Silvesterabend 2019 mit ihrem zwei Monate alten Baby in ihrer eigenen Wohnung im türkischen Ankara, als sich Ramazan D., ein Verwandter, Zutritt verschaffte und auf sie losging.

Die junge Frau wollte fliehen, doch das gelang ihr nicht mehr. D. griff sie mit einem Messer an und stach 15 Mal auf sie ein, Nazmiye Koyuncu starb noch am Tatort. Zu seinem Motiv machte der Mann keine Angaben. Die Familie des Opfers vermutet, dass Koyuncu die Avancen D. nicht erwidert hatte und es so zu der Tat kam. 

Zwei Jahre später wurde D. wegen "vorsätzlicher Tötung" zu lebenslanger Haft verurteilt. Für die Anwälte der Nebenklage ein unbefriedigendes Urteil: Sie forderten eine Verurteilung aufgrund des Straftatbestands des "Zufügens ungeheuerlicher Gewalt oder Folter".

Demonstration gegen den Ausstieg der Türkei aus der "Istanbul Konvention" (2020). (Foto: Getty Images/AFP/Y. Akgul)
Demonstration gegen den Ausstieg der Türkei aus der "Istanbul Konvention" (2020)

Denn in der Türkei liegt die maximale Höchststrafe ohne diesen Straftatbestand - auch bei einer lebenslangen Verurteilung - bei 24 Jahren Haft. Bei guter Führung kann ein Täter auch nach zehn bis 15 Jahren entlassen werden.

15 Messerstiche reichen nicht aus, sagt das Gericht 

 

Der Straftatbestand der "ungeheuerlicher Gewalt oder Folter" hätte eine verschärfte lebenslange Haftstrafe zur Folge. Der Verurteilte müsste 30 Jahre hinter Gitter, eine vorzeitige Entlassung durch eine Begnadigung wäre dann ausgeschlossen. Frauenrechtlerinnen und Juristinnen kämpfen deshalb dafür, dass der Straftatbestand bei Femiziden angewendet wird, auch um potenzielle Täter stärker abzuschrecken.

Ein schwieriges Unterfangen: Denn auch im Fall der erstochenen Nazmiye Koyuncu wollte das Gericht der Argumente der Anwälte der Angehörigen nicht folgen. Die Zahl der Messereinstiche zeige nicht, dass dieser Mord auf monströse Weise begangen wurde, erläutert Anwältin Gülsüm Serttaş die Sichtweise des Gerichts. Für sie ist das nicht nachvollziehbar. Bis heute kämpft die Anwältin für eine Verurteilung für das "Zufügen ungeheuerlicher Gewalt oder Folter".

Nach Angaben des türkischen Frauenverbandes wurden allein im Jahr 2020 in der Türkei mindestens 300 Frauen getötet. Da die Gerichte keine Statistiken führen, stützen sich Nichtregierungsorganisationen auf Polizeiberichte und Aussagen der Opferfamilien.

Auch ohne offizielle Zahlen sind sich türkische Experten sicher, dass die Zahl der Femizide seit Jahren zunimmt. Die Taten würden zudem immer grausamer, Frauen immer wieder zu Tode gequält oder brutal umgebracht. Bei der Verurteilung der Täter würde das oftmals zu wenig berücksichtigt, so die Kritik. 

Auch weil die Türkei nach einem Beschluss von Präsident Recep Tayyip Erdogan die sogenannte Istanbul-Konvention aufgekündigt hat, wird aktuell nach jedem Urteil zu einem Frauenmord zunehmend kontrovers diskutiert. Das Übereinkommen des Europarats aus dem Jahr 2011 soll Gewalt gegen Frauen, insbesondere häusliche Gewalt, eindämmen und die Gleichstellung von Mann und Frau stärken. Im Sommer 2021 wurde der Austritt jedoch von Erdogan besiegelt. 

Wann handelt es sich um eine "Tötung durch brutale Art"?

 

Bei einigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs spielte für die Verurteilung der "Tötung durch brutale Art" die Anzahl der Messerstiche eine Rolle. Bei anderen Urteilen war entscheidend, dass das Opfer "Säure ins Gesicht geschüttet" bekam oder der Täter "Freude am Tod" empfand.

Für Anwältin Serttaş ist diese Sichtweise nicht differenziert genug: Es dürfe beispielsweise nicht nur auf die Zahl der Einstiche abgestellt werden, vielmehr sollte die Grausamkeit der Tat an sich im Vordergrund stehen. Wie auch in dem von ihr vertretenen Fall: "Der Mörder tötete Nazmiye neben ihrem zwei Monate alten Baby in ihrem Haus. Nazmiye starb mit 15 Messerstichen und zahlreichen weiteren Schnittwunden", so Serttaş.

Kunstaktion gegen Femizide in Istanbul (2018): Für jede ermordete Frau ein Paar Schuhe. (Foto: Reuters/M. Bulbul)
Kunstaktion gegen Femizide in Istanbul (2018): Für jede ermordete Frau ein Paar Schuhe.

Auch in anderen bekannten Fällen wurde der Straftatbestand nicht angewandt, obwohl der Täter äußerst brutal vorging. Ayşe Tuba Arslan wurde 2019 von ihrem Ex-Mann Yalçın Ö. mit einem Fleischermesser angegriffen. Die junge Frau flüchtete sich auf die Straße und fiel mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma ins Koma. Nach 44 Tagen erlag Arslan den Folgen des Angriffs.

In erster Instanz verurteilte das Gericht Ö. wegen "vorsätzlicher Tötung mit ungeheuerlichen Qualen" zu einer erhöhten Freiheitsstrafe von 30 Jahren. Später wurde das Urteil wieder aufgehoben, das Opfer habe "provoziert". Ayşe Tuba Arslan soll laut Auswertung ihrer Handydaten eine Affäre mit einem anderen Mann gehabt haben.

Die Anwältin der Familie Arslan, Funda Güney, kritisiert, dass das Urteil wieder aufgehoben wurde: "Wir glauben, dass das Verbrechen vorsätzlich und mit einer ungeheuerlichen Intention begangen wurde", argumentiert die Anwältin. Ö. habe auf alle lebenswichtigen Körperteile eingestochen. Das hätten der Zustand der Toten und die Spuren am Tatort gezeigt, die einen "hohen Grad an Folter" belegen würden.

Auch für Anwältin Gülsüm Serttaş stellt sich die Frage, wie brutal eine Tat denn noch sein müsste, damit Foltermerkmale bei der Verurteilung berücksichtigt werden. Und oft entscheiden die Richter einsam. In türkischen Frauenmordprozessen kommt es äußerst selten vor, dass Sachverständige oder Psychologen zurate gezogen werden, die die Art und Weise der Tötung beurteilen können. 

Burcu Karakaş

© Deutsche Welle 2021

 

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