"Öffentliches Leben in privaten Räumen"

Worüber diskutieren Musliminnen beim Kaffeekränzchen? Friederike Stolleis stellt fest: nicht nur über Schönheit oder Kindererziehung, sondern auch über gesellschaftliche Belange.

Von Susanne Enderwitz

Friederike Stolleis möchte umsetzen, was Clifford Geertz schon vor Jahren angemahnt hatte, was aber bisher nur vereinzelt in die Tat umgesetzt wurde. Es geht um die Annäherung von Ethnologie und Islamwissenschaft dergestalt, dass sich die Ethnologie der Geschichte und die Islamwissenschaft der Feldforschung öffnet.

In fünf Kapiteln, in deren Zentrum drei verschiedene Formen von Frauentreffen in Damaskus stehen, versucht sie die Debatte über das Verhältnis der Geschlechter in nah-mittelöstlichen Gesellschaften und den Anteil der Frauen am öffentlichen Leben neu zu akzentuieren.

Sie gewinnt ihre Sicht der Dinge daraus, dass sie für mindestens eine Modifizierung, wenn nicht sogar Aufhebung der ursprünglich auf den Westen gemünzten Zweiteilung von "Privatsphäre" und "Öffentlichkeit" Partei ergreift. Tatsächlich greifen diese Begriffe für die nahöstlichen Gesellschaften nicht, und sie haben es auch in der Vergangenheit nicht getan.

Die Arbeit ist eine Dissertation, was in der Regel zur Folge hat, dass der Leser sich auf die akademischen Gepflogenheiten einlassen muss. So auch hier. Auf das erste Kapitel, das den theoretischen und methodologischen Hintergrund der Arbeit erörtert, folgt Kapitel zwei mit einer Darstellung des gesellschaftspolitischen Kontexts, in dem sich syrische Frauen heute wieder finden.

"Privat" und "öffentlich" werden neu bestimmt

Den Kapiteln drei und vier, die der Beschreibung und Analyse dreier verschiedener Formen von Frauentreffen gewidmet sind, folgt dann als Arbeitsergebnis im Kapitel fünf eine Neubestimmung der Begriffe "privat" und "öffentlich" im gegebenen Kontext.

Es sind dreißig Frauen unterschiedlichen Hintergrunds (Herkunft, Alter, Ausbildung, Ausrichtung, Religion), die Friederike Stolleis über einen längeren Zeitraum hinweg auf drei verschiedene Arten von Frauentreffen begleitet hat.

Diese sind das Frühstückstreffen (subhiya), das in lockerem Rahmen unter Nachbarinnen stattfindet; der repräsentative Empfang (istiqbal), ein eher nachmittägliches Treffen, das formellere Züge trägt und Frauen aus einem größeren Radius zusammenbringt; und der Sparzirkel (dscham'iyya), bei dem turnusmäßig die von allen eingezahlten Beträge an eine der beteiligten Frauen wandern.

Keine eindeutige Systematisierung

Die drei Arten von Treffen überschneiden sich, unterscheiden sich aber auch voneinander, zumal sie unterschiedliche Interessen und damit Frauen aus durchaus unterschiedlichen Schichten ansprechen.

Ausgehend von der eigenen Erfahrung, den Fallbeispielen und – last but not least – Beispielen aus der Belletristik, versucht die Autorin immer wieder, systematisch dann am Schluss, ihre Erkenntnisse in ein allgemeines Schema zu überführen. Sie arbeitet dabei präzise und genau, was sich nicht zuletzt an der Schlussfolgerung zeigt, dass eben keine eindeutige Systematisierung vorzunehmen ist.

Die Messlatte von Öffentlichkeit und Privatheit im europäischen Sinn lässt sich nicht einfach auf syrische Maßstäbe übertragen, so viel wird ganz klar. Aber darüber hinaus begegnen wir einer Vielfalt von Lebenssituationen, die ihrerseits nicht einfach in Tradition und Moderne einzuteilen sind. Sicher wird deutlich, dass eine Frau, je jünger, besser ausgebildet und mit Beruf, Mann und Kindern sie beschäftigt ist, desto weniger besucht sie die traditionellen Frauentreffen.

Kaffeehaus und Kaffeekränzchen

Aber was heißt andererseits Tradition? Offenbar sind diese Treffen, jedenfalls ihrer Form nach, ein schlagendes Beispiel für die gegenseitige kulturelle Beeinflussung von Orient und Okzident. Das Kaffeehaus, eine Männerdomäne, wanderte im 16. Jahrhundert nach Westen, wo es sich, immer noch als Männerdomäne, etablierte.

Gewissermaßen im Gegenzug und aus männlicher Sicht eine Karikatur, etablierte sich dann im Lauf der Zeit das Kaffeekränzchen der Frauen, das in osmanischer Zeit seinen Weg zurück in den Osten fand, nunmehr auch hier auf Seiten der Frauen. Die zeremoniellen Frauentreffen in Damaskus, mit denen Friederike Stolleis uns bekannt macht, sind also nicht älter als maximal 150 Jahre!

Es ist eine hoch interessante Welt zwischen Politik und Familie, die wir in diesem Buch kennen lernen, eine Welt, in der Gespräche über Politik verpönt sind, aber Heiratspolitik getrieben wird. In der man sich beständig auf die Männerwelt bezieht, aber untereinander um Ansehen und Status ringt, in der man Anzüglichkeiten tauscht, aber auch bemüht ist um Anstand und Dekor.

Wie lange diese Welt noch Bestand haben wird, ist schwer zu sagen; auch Versuche der Erhaltung oder Wiederbelebung im Zeichen des Islam lassen schwer Prognosen zu. Umso besser, wenn sich Bücher wie das vorliegende an ihre Beschreibung wagen.

Ein Manko allerdings hat die Studie. Um dem anfangs formulierten Geertz'schen Anspruch gerecht zu werden, fehlt der Arbeit ein Stück weit die historische Dimension. Wie fand der Austausch unter Frauen statt, bevor der Empfang bei Kaffee und Kuchen aus Europa reimportiert wurde? Und welchen Stellenwert haben die beschriebenen Phänomene, wenn man sie im größeren gesellschaftlichen Zusammenhang betrachtet?

Susanne Enderwitz

© Qantara.de 2005

Susanne Enderwitz ist Professorin am Seminar für Sprache und Kulturen (Islamwissenschaft) an der Universität Heidelberg

​​Friederike Stolleis: Öffentliches Leben in privaten Räumen. Muslimische Frauen in Damaskus. Würzburg, Ergon Verlag 2004

Qantara.de

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