Die Gülen-Bewegung und die deutschen Medien
Yunus Ulusoy vom Essener Zentrum für Türkei-Studien ist sich sicher: Das Netzwerk der Gülen-Bewegung hat auch in Deutschland eine Machtstruktur entwickelt, die sich von außen weder durchschauen noch kontrollieren lässt. Ihre ganze Kraft widme die Bewegung einem neuen Image: als Vorreiterin für Demokratie. Und die Botschaft scheint in den deutschen Medien anzukommen. Kritische Stimmen über mangelnde Transparenz innerhalb der Bewegung oder die von Gülen geforderte Unterordnung unter die "absolute Wahrheit des Korans" kommen nur selten zur Sprache.
Die vielfach unkritische Wahrnehmung der Gülen-Bewegung in Deutschland hänge mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zusammen, sagt Ulusoy. "Er steht für einen autoritären und antidemokratischen Führungsstil und ist eine verhasste Person in der deutschen Öffentlichkeit."
Zum positiven Image der Bewegung tragen aber auch deutsch-türkische Journalisten aus dem Gülen-Umfeld bei. Das organisatorische und ideologische Zentrum der Gülen-Bewegung in Deutschland war bis zum Putsch der Medienkonzern "World Media Group AG" (WMG) mit Sitz in Offenbach am Main. Das Unternehmen brachte die Zeitung "Zaman-Europa" heraus, betrieb mehrere TV-Sender und verantwortete das online erscheinende Deutsch-Türkische-Journal (DTJ). Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten nach dem Bruch zwischen Erdoğan und Gülen musste die WMG nach und nach ihre einstmals 250 Mitarbeiter entlassen.
Anfang 2018 sei das Offenbacher Gelände mit Verlagsräumen und Studios verkauft worden, sagt der ehemalige "Zaman-Europa"-Chefredakteur Mahmut Çebi. Er selbst sei derzeit arbeitslos, erzählt er. Anderen ehemaligen Kollegen ginge es ähnlich. Nach seiner Schätzung arbeiten zehn Prozent der ehemaligen WMG-Mitarbeiter in Deutschland in anderen Medien - als Journalisten oder in der Werbebranche.
Einer der ehemaligen "Zaman"-Journalisten ist bei der Regionalzeitung "Die Rheinpfalz" in Ludwigshafen untergekommen. Trotz jahrelanger Berufserfahrung hat er dort eine Stelle als Volontär angetreten. Über den Konflikt zwischen Erdoğan und Gülen würde er in seiner neuen Stelle nicht berichten. "Im Moment habe ich keine Verbindung zur Gülen-Bewegung", beteuert er schriftlich auf Anfrage. Er habe lediglich zu ehemaligen "Zaman"-Kollegen sporadischen Kontakt, mit denen er sich gut verstanden habe.
Netzwerkstrukturen funktionieren noch
Die Werbe- und Medienagentur "Pinien Art & Media" in Hilden (NRW) schreibt auf ihrer Seite: "Unsere Rechercheure arbeiten präzise, seriös und sauber, sammeln Fakten, Indizien und beziehen Insider-Informationen aus erster Quelle… Unsere Rechercheure bedienen zahlreiche politische Magazine in öffentlich-rechtlichen Medien sowie internationale Medien."
Einer der vier Gründer ist der Druckerei-Unternehmer Erkan Köktaş. Er bestätigt auf Anfrage seine Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung und sein ehemaliges Engagement im Gülen-Unternehmerverband "Fidan". Laut Impressum der Homepage (Stand 10.6.2018) sind für die journalistischen und redaktionellen Inhalte der Seite die beiden ehemaligen "Zaman"-Mitarbeiter Hüseyin Topel und Fatih Aktürk zuständig.
Topel und Aktürk werden auf der Homepage neben Köktaş ebenfalls als Gründer genannt. Sie arbeiten als freie Autoren für verschiedene deutsche Medien. So war Topel 2017 an zwei Beiträgen des ARD-Magazins "Monitor" als Co-Autor beteiligt, die die Folgen der Repression des türkischen Staates gegen Gülen-Anhänger behandelten. In einem Beitrag ging es um deren Schwierigkeiten, in Deutschland als Asylbewerber anerkannt zu werden.
In einem anderen Beitrag wird die Entlassung hochrangiger Manager von Turkish Airlines in Deutschland behandelt. Lediglich an einer Stelle wird in diesem TV-Beitrag auf eine andere Sichtweise auf Gülen verwiesen: "Die Bewegung ist auch in Deutschland nicht unumstritten. Doch für Terror- oder Putschvorwürfe gibt es keine belastbaren Beweise", heißt es in dem Film über die Airline-Manager.
Zwischen Ahnungslosigkeit und kritischer Distanz
Der WDR sieht in der Beschäftigung Herrn Topels mit Beiträgen über Gülen-Anhänger kein Problem: "Herr Topel hat bereits zu Beginn der Zusammenarbeit der Redaktion 'Monitor' gegenüber offen gelegt, dass er über gute Beziehungen zu Gülen-Anhängern verfügt. Seine frühere Tätigkeit bei 'Zaman' hat er der Redaktion mitgeteilt, auch seine Tätigkeit für die von Ihnen genannte Agentur ("Pinien Art & Media", Anm. d. Red.). Über die Tätigkeiten von Herrn Köktaş und dessen von Ihnen behauptete Beziehung zur Gülen-Bewegung ist der Redaktion nichts bekannt. Es ist auch nicht üblich, dass die Redaktion über die Gesinnung von Geschäftspartnern von Autoren Nachforschungen anstellt", schreibt die WDR-Pressestelle.
Im ARD-Magazin "Kontraste" kam Topel im Frühjahr 2018 als Co-Autor in einem Beitrag über Erdoğans Kriegspropaganda in Deutschland zum Einsatz. Auf Anfrage erklärt die Pressestelle, die Beschäftigung Topels bei der "Zaman" und sein familiärer Hintergrund sei der Redaktion bekannt. "Herr Topel hatte keinerlei Entscheidungsbefugnis in Bezug auf Themensetzung, Themenumsetzung oder Auswahl des Recherchematerials und hat keine Interviews selbst geführt".
Auch beim ZDF ist Topel für das Magazin "Frontal 21" und andere Redaktionen tätig. Für das Investigativ-Flaggschiff des Senders entstand 2017 unter seiner Co-Autorenschaft ein Beitrag über Erdoğans Repressionsapparat. Laut Pressetext kam darin auch Ercan Karakoyun zu Wort. Das ZDF sieht als einziger in dem Zusammenhang angefragten Sender Klärungsbedarf: "Grundsätzlich unterliegen freie Mitarbeiter keiner Genehmigungspflicht für die Ausübung anderweitiger Tätigkeiten. Dennoch führen die zuständigen ZDF-Redaktionen mit Hüseyin Topel Gespräche über seine weiteren Tätigkeitsfelder als deutsch-türkischer Journalist", teilt die ZDF-Pressestelle mit.
Für den Deutschlandfunk berichtet Topel in der Religionssendung "Tag für Tag" am 22. August 2016 über die Theologie Gülens. "Diese Darstellung leistet der Beitrag 'Der vergessene Gelehrte', erklärt die Pressestelle des Deutschlandradios. Der Sender sieht keinerlei Grund zu einer Beanstandung im Sinne einer nicht sachlichen oder parteiischen Berichterstattung. Das gelte auch für andere Beiträge für die Politik-Redaktion des DLF, in denen es um den Umgang von Erdoğan mit Kritikern ging. Auch dass Topel seinen Geschäftspartner Aktürk in einem Beitrag als "deutsch-türkischen" Journalisten zu Wort kommen lässt, ohne den Hörer über deren geschäftliche Verbindung zu informieren, sieht der Sender als unproblematisch an.
Aktürk hat in der Vergangenheit unter anderem für "cicero-online", die Online-Plattform "Huffingtonpost" und die "Südwestpresse" (swp) zu Erdoğans Repressionspolitik geschrieben. In zwei Artikeln aus dem Jahr 2017 für die "swp" kommen Gülen-Anhänger zu Wort, die auf der Spionage-Liste stehen sollen oder Probleme bei der Einreise nach Deutschland bekommen.
An keiner Stelle erfährt der Leser davon, dass der Autor selbst für die "Zaman" in Düsseldorf gearbeitet hat und mit einem bekennenden Gülen-Mitglied gemeinsam die Agentur "Pinien Art & Media" gegründet hat. Die zuständige Redakteurin habe von einer möglichen "Gülen-Nähe" des Autors nichts gewusst, heißt es auf Anfrage. Die Zusammenarbeit sei aus anderen Gründen beendet worden. Aktürk selbst hat auf Fragen zu seiner journalistischen Tätigkeit und einer möglichen Nähe zur Gülen-Bewegung bislang nicht geantwortet.
Rettung eines Gülen-Mediums
Die Verbindungen von "Pinien Art & Media "-Mitbegründer Köktaş zur Gülen-Bewegung gehen noch weiter. Als Vorsitzender ist er laut Homepage in dem Verein "Deutsch-Türkischer Journalismus und Recherche e.V." aktiv, der das DTJ weiter betreibt. Mit im Vorstand des Vereins ist Süleyman Bağ, der lange Jahre in leitender Funktion beim DTJ war. "Wir haben uns gemeinsam mit Süleyman Bağ nach der Lossagung von der "World Media Group" in Mitte 2017 entschieden: Das DTJ soll ein Nachrichtenportal sein, bei dem alle Meinungen vielfältig vorkommen und nützliche gesellschaftliche Debatten anstoßen, bei dem kritische Berichterstattung in allen Themen möglich ist", erklärt Köktaş auf Anfrage.
Die "Pinien Art & Media" hat nach Angaben von Köktaş rund 20 freie Mitarbeiter. Es sei ihm nicht bekannt, ob unter ihnen Gülen-Anhänger seien, so Köktaş. Bei der Beschäftigung ginge es um ihre berufliche Qualifikation. Auf Anfrage, wie viele der freien Mitarbeiter journalistisch tätig sind, kam bislang keine Antwort von dem Unternehmen.
Angesprochen auf die familiären und geschäftlichen Verbindungen ins Gülen-Umfeld sagt Topel, er sei kein Gülen-Anhänger. Sein Vater sei an der Gründung eines Nachhilfevereins der Bewegung beteiligt gewesen und habe bei der Gründung einer Gülen-nahen Schule in NRW mitgewirkt. Ihn deshalb in die Nähe der Bewegung zur rücken, bedeute, ihn "in Sippenhaft" zu nehmen. Auch dass er nach seinem Studium bei der "Zaman" in Düsseldorf als Redakteur angeheuert hat, lässt er als Beleg für eine Gülen-Nähe nicht gelten. Er legt Wert darauf, dass es sich um eine Halbtagsstelle gehandelt habe. Die Mitgliedschaft von Köktaş bei der Gülen-Bewegung spiele für ihn genau so wenig eine Rolle wie dessen Engagement für die Rettung des DTJ. Topel und Aktürk haben in der Vergangenheit selbst für das DTJ geschrieben.
Volker Siefert
© Deutsche Welle 2018
Redaktioneller Hinweis: Die Journalisten Topel und Aktürk haben jeweils auf Nachfrage mitgeteilt, sie seien weder Anhänger noch Sympathisanten der Gülen-Bewegung.