Bulldozer gegen deutsche Entwicklungshilfe
Sie gehören zur ärmsten Bevölkerung im Westjordanland: Beduinen und Bauern in den Südhebronhügeln. Ihre Behausungen sind meist nicht mehr als Blechhütten, Zelte oder Höhlen. Sie haben kein fließendes Wasser und sind nicht an das Stromnetz angeschlossen.
Trotzdem haben sie seit kurzem Strom, mit dem sie Glühbirnen und Kühlschränke betreiben können. Ermöglicht wird das durch kleine Solar- und Windkraftanlagen, die Menschenrechtsaktivisten für sie errichtet haben - mit deutschem Geld. 600.000 Euro hat das Auswärtige Amt zur Verfügung gestellt, hinzu kommen Spendengelder.
"Die Idee war, regenerative, dezentrale Energie in den Dörfern aufzubauen, damit die Menschen dort endlich Strom bekommen, damit sie endlich in der Moderne ankommen und dort bleiben können", erklärt Tsafrir Cohen von Medico International. Die Hilfsorganisation unterstützt das Projekt, das von zwei israelischen Aktivisten initiiert wurde und das Hunderte von Palästinensern in den abgelegenen Dörfern des Westjordanlandes mit Strom versorgt.
Keine Baugenehmigungen für Palästinenser
Doch nun ist das Projekt bedroht, denn Israel will die Solar- und Windkraftanlagen abreißen. Sie seien ohne Genehmigung gebaut worden, heißt es zur Begründung in Jerusalem. Eine Baugenehmigung aber ist für Palästinenser im sogenannten C-Gebiet nicht zu bekommen. Denn hier herrscht Israel nach wie vor uneingeschränkt, auch zwanzig Jahre nach Beginn des Friedensprozesses.
Dabei war die im sogenannten Oslo II-Vertrag von 1995 festgeschriebene Aufteilung der besetzten Gebiete in drei Zonen ursprünglich als Übergangslösung gedacht. Die A- und B-Gebiete, in denen die Palästinenser begrenzte Autonomie genießen, umfassen die dicht besiedelten Gebiete im Westjordanland.
Die C-Zone jedoch erstreckt sich über mehr als 60 Prozent der besetzten Gebiete und umfasst fast das gesamte landwirtschaftlich nutzbare und weitgehend unbebaute Gebiet. Hier leben die mehr als 320.000 jüdischen Siedler, die palästinensische Bevölkerung dagegen ist inzwischen auf 150.000 zurückgegangen.
Verdrängung der Palästinenser
Kein Wunder, sagt Tsafrir Cohen, denn Israel versuche die Palästinenser aus diesen Gebieten herauszudrängen. Mit unfreiwilliger Hilfe der westlichen Geldgeber, deren Unterstützung fast ausschließlich in die A- und B-Gebiete fließe.
"Hier entsteht mit Hilfe der ausländischen Geber eine attraktive Infrastruktur, die die Bevölkerung natürlich anzieht", erläutert Cohen. Das sind zum Beispiel Schulen, Kindergärten, Gemeindezentren und andere wichtige Versorgungseinrichtungen. "Für viele Palästinenser ist dies der Grund, aus den unterversorgten C-Gebieten in diese neuen Zentren umzuziehen", so Cohen.
Diejenigen aber, die trotz aller Hürden der Besatzungspolitik im C-Gebiet bleiben wollen, sind strengen Beschränkungen unterworfen. Für sie gelten Bebauungspläne aus der britischen Mandatszeit der 40er Jahre. Mittlerweile habe sich die Bevölkerung verzehnfacht, betont Cohen. "Es sind neue Orte entstanden, für die es keine Bebauungspläne gibt. Andere Orte hatten auch damals keine Bebauungspläne.
Von den israelischen Behörden aber wird alles, was über die vorhandenen Pläne der 40er Jahre hinausgeht, einfach abgelehnt." Wenn ein Palästinenser also ein Haus bauen oder eine Gemeinde einen Kindergarten oder ein Gesundheitszentrum errichten wolle, verweigere Israel die notwendigen Genehmigungen. Gleiches gelte natürlich auch für Infrastrukturprojekte wie Windkraft- und Solaranlagen.
Israelische Annexion der C-Gebiete?
Während die Palästinenser in ihrer Entfaltung also systematisch behindert werden, wachsen in dieser Region die israelischen Siedlungen, die an das staatliche israelische Strom- und Wassernetz angeschlossen werden und mit Infrastruktur bestens ausgestattet sind. Auch das Straßensystem, das den Siedlern dient, wird beständig ausgebaut. Der israelische Verkehrsminister denkt sogar darüber nach, ein Eisenbahnnetz aufzubauen, das die Siedlungen miteinander und mit Kern-Israel verbinden soll.
All dies deute klar darauf hin, dass Israel die C-Gebiete annektieren will, erklärt Wafeeq Khaled Ibrahim Alnatour, politischer Beobachter aus Ramallah. "Das israelische Siedlungsprojekt auf palästinensischem Boden schreitet so sehr voran, dass es die Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 unmöglich macht", fürchtet er. Israel plane ganz offensichtlich, die Palästinenser in den A- und B-Gebieten zusammenzudrängen, um sich dann die C-Gebiete einverleiben zu können.
Diese Befürchtung teilen offenbar auch die Diplomaten der Europäischen Union. Im Januar verfassten sie einen Bericht, in dem sie auf die zunehmende Isolierung der Palästinenser in den C-Gebieten und ihre fortschreitende Verdrängung hinwiesen. Sie empfahlen der EU, mehr Geld in die Entwicklung palästinensischer Projekte in dieser Zone zu investieren, um damit der weiteren Marginalisierung der palästinensischen Bevölkerung entgegen zu wirken.
Alnatour appelliert an die Bundesregierung, ihren Einfluss innerhalb der EU geltend zu machen, um die Vertreibung der Palästinenser aus den ländlichen Gebieten des Westjordanlandes zu stoppen.
Sorge in Berlin
In Berlin beobachtet man die Entwicklungen in den besetzten Gebieten mit Sorge. Bundesaußenminister Guido Westerwelle habe das Thema bei seinem letzten Besuch in Israel und den palästinensischen Gebieten angesprochen, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Die Bundesregierung sei in dieser Angelegenheit in enger Abstimmung mit den europäischen Partnern.
Auch der SPD-Außenpolitiker Günter Gloser äußerte sein Unverständnis über das israelische Vorhaben, die Solar- und Windkraftanlagen abzureißen. Dies sei inakzeptabel, sagte er im Gespräch mit der Deutschen Welle, "nicht allein, weil sie mit deutschem Geld gebaut worden sind. Wir wissen doch, wie schwer es für die palästinensische Bevölkerung ist, an Wasser und Strom zu kommen. Insofern wäre das ein falsches Zeichen".
Die Begründung, die Anlagen seien ohne Baugenehmigung entstanden, sei nicht ausreichend. In den palästinensischen Gebieten seien schließlich auch israelische Siedlungen entstanden, die dort nicht sein dürften. Für seine Partei, so Sozialdemokrat Gloser, sei die Zweistaatenlösung nach wie vor der einzige Weg, um den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zu lösen. Gegenwärtig sehe er keinen anderen Ausweg.
Autorin: Bettina Marx
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de