"Eine kulturelle und mentale Revolution"

Die Sängerin, Songschreiberin und Multiinstrumentalistin Golnar Shahyar hat mit ihren Prägungen aus Iran, Kanada und Europa eine außergewöhnliche Musik zwischen Jazz, Songwriting und persischen Roots mit starken Texten geschaffen.
Die Sängerin, Songschreiberin und Multiinstrumentalistin Golnar Shahyar hat mit ihren Prägungen aus Iran, Kanada und Europa eine außergewöhnliche Musik zwischen Jazz, Songwriting und persischen Roots mit starken Texten geschaffen.

Die iranische Sängerin, Songschreiberin und Multi-Instrumentalistin Golnar Shahyar hat eine außergewöhnliche Musik zwischen Jazz, Songwriting und persischen Roots geschaffen. Im Interview mit Stefan Franzen spricht sie über ihr Album "Tear Drop“ und ihr Verhältnis zur iranischen Bewegung "Frau, Leben, Freiheit“. 

Von Stefan Franzen

Frau Shahyar, wenn man Ihrer Stimme zuhört, hat man den Eindruck, dass Sie oft innerhalb ein- und desselben Stückes in verschiedene Persönlichkeiten schlüpfen, so unterschiedlich sind die Färbungen. 

Golnar Shahyar: Ich sehe meine Stimme als Spiegel meines Charakters, ich habe eine große Neugier, unterschiedliche Menschen kennenzulernen. Außerdem bin ich auf drei verschiedenen Kontinenten aufgewachsen, mit drei verschiedenen Kulturen, Sprachen, Verständnissen vom Leben.



Meine Stimme ist daher eine Mischung aus allen musikalischen Welten, die ich entdeckt habe, in denen ich mich finden konnte. Ich bin nicht nur beeinflusst von den vielen Musiktraditionen aus verschiedenen Folk-Regionen im Iran, sondern auch von nordwestafrikanischer Musik, von Jazzvokalistinnen und Vokalkünstlerinnen, die experimentelle Sachen mit der Stimme gemacht haben.  

 

Ihre Musik klingt sehr international, hat aber immer wieder den Rückbezug zum Iran. Wie entstehen Ihre oft sehr langen Songs? 

 

Shahyar: Mein Weg als Musikerin, ist kein typischer gewesen, ich habe wirklich sehr spät mit bewusstem Hören angefangen, vorher habe ich Biologie studiert. In Kanada und Österreich habe ich zum Beispiel die Arbeit von Joni Mitchell entdeckt, ihre Musik und ihre Poesie waren eine große Inspiration für mich.



Die iranischen Skalen sind mir vom Hören vertraut. Ich verwende sie, schreibe aber nicht nach ihren strengen Regeln. Gleichzeitig lasse ich mich von der Musik anderer Regionen der Welt beeinflussen, in meinem Stück "Ode To Trust“ etwa hört man die Gesänge mauretanischer Frauen heraus. Alle diese Einflüsse finden in meiner Musik zusammen zu einer eigenen Sprache. 

Cover von Golnar Shahyars Album "Tear Drop" (erschienen bei bandcamp.com)
Die Stärke der Frauen: Was im Iran gerade passiert, sei eine Revolution, sagt Golnar Shahyar im Interview mit Stefan Franzen, obwohl wir noch keine politische Veränderung sehen. "In unseren Köpfen ist schon ein kultureller und mentaler Sprung passiert. Deshalb nenne ich die Proteste eine mentale, kulturelle Revolution. In dieser kulturellen Revolution haben sich Frauen emanzipiert. Sie haben zwar immer schon gekämpft und extrem hart gearbeitet, aber ihr Image war nicht so. Jetzt stimmen Realität und Image überein.“

Den eigenen Klang finden



Sie haben im Laufe der letzten Jahre in etlichen Bandprojekten mitgewirkt, "Tear Drop“, ist jetzt das erste Album unter Ihrem eigenen Namen. Die Aufnahmen sind auch unter dem Eindruck der furchtbaren Ereignisse im Iran seit September 2021 entstanden. Ist die Musik für Sie ein Mittel, um diese Zeit zu bewältigen?  

 

Shahyar: Das ist eine komplexe Thematik. Ich finde es sehr interessant, dass dieses Album genau zu dem Zeitpunkt herauskommt, während die Revolution stattfindet. Denn was gerade im Iran passiert, ist eine Revolution, obwohl wir noch keine politische Veränderung sehen. In unseren Köpfen ist schon ein kultureller und gedanklicher Sprung passiert. Deshalb nenne ich die Proteste eine mentale, kulturelle Revolution.



Das war aber ein langjähriger Prozess, den wir alle durchgemacht haben. Die Entdeckung meiner selbst, der Versuch mich, meinen Charakter, meinen Klang zu finden durch meine Musik, ist ein Teil dieses Prozesses gewesen. Ich komme ja aus einer Generation, die nach dem Krieg mit dem Irak (1980-1988) keine Idole mehr hatte.



Unsere Präsenz wurde aus der Öffentlichkeit gestrichen. Unsere Identität hat nicht existiert. Ich sehe dieses Album als "Blume“, als meine persönliche Reise, die sich auch in den aktuellen Ereignissen der iranischen Kultur spiegelt. Es ist, als ob diese konstante Suche jetzt plötzlich ein Bild hat. Und in meinem Fall, im Fall von "Tear Drop“ hat sie auch einen Klang. 

 

Sie leben in Wien, sind also gewissermaßen "weit weg“ von den Ereignissen. Wie können Sie die Bewegung "Frau, Leben, Freiheit“ unterstützen? 

 

Shahyar: Weil ich im Ausland lebe, habe ich eine Plattform, um meine Musik zu präsentieren. Ich kann sehr viel Energie weitergeben. Musik hat diese Kraft, sie bringt Menschen zusammen. Durch meine Musik kann ich den Wunsch nach Veränderung verstärken. Und das tue ich so viel ich kann. Natürlich würde ich sofort ins Gefängnis kommen, sobald ich in den Iran reise. Aber außerhalb des Landes, egal wo, wenn ein Platz geschaffen wird für ein "Frau – Leben – Freiheit“-Event oder Proteste, nutze ich meine Stimme und meine Musik. 

 

Wird Ihre Musik denn im Iran gehört? 

 

Shahyar: Ja, aber dort habe ich keine große Plattform. Und in der iranischen Diaspora zählt meine Musik auch zu einer Nische. Meine Musik ist ja keine populärer, sondern ein neuer Klang, der erst noch seinen Platz finden muss. Sehr häufig wird die Stimme von Frauen im Iran als traurig gedacht, aus einer Opferrolle heraus.



Doch auf diesem Album habe ich nicht nur über Leid und Traurigkeit gesungen, sondern auch über die Macht der Stimme, über Freude, diese unendliche emotionale Quelle, die wir in uns haben. Ich erkenne also nicht nur diese Trauer an, sondern ich singe eben auch über die Macht, etwas zu verändern.

Frauen nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand

Ihr Lied "Tell my mother she has no daughter anymore“ wendet sich direkt an das Unrechtsregime, worum geht es dabei? 



Shahyar: Es geht darum, dass es so verdammt schwierig ist, dein Kind loszulassen und nicht zu wissen, ob es zurückkommt! Und natürlich um noch etwas: Dass Frauen jetzt ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen. Sie gehen auf die Straße und riskieren ihr Leben.

 

Früher haben immer Männer gekämpft und es wurden über Männer Texte geschrieben, die ihr Leben für das Land oder die Freiheit geben, aber jetzt sind es die Frauen. Das ist extrem stark. Extrem stark! In dieser kulturellen Revolution haben sich Frauen emanzipiert. Sie haben zwar immer schon gekämpft und extrem hart gearbeitet, aber ihr Image war nicht so. Jetzt stimmen Realität und Image überein. Das verstärkt diese Bewegung. Das ist extrem schön zu sehen, aber natürlich auch sehr traurig.  

 

Ein ganz starkes Stück auf Ihrer Platte, "Maman Djan“, ist Ihrer Großmutter gewidmet, das dazugehörige Intro dem Vogel Simorq aus der iranischen Mythologie. Wie passt das zusammen? 

 

Shahyar: Meine Großmutter hat mich sehr geprägt. Diese Frau war so voller Leben, voller Liebe, voller Schönheit und Wärme. Aber sie hatte auch ein sehr schwieriges Leben, sowohl aus kulturellen als auch aus familiären Gründen. Ich beschreibe meine Großmutter im Lied auch symbolisch, stellvertretend für das Schicksal vieler Frauen ihrer Generation.



Ich beschreibe sie als Simorq, dieses mythische Symbol für Schönheit, Kraft und Führungsstärke, das all diese Jahre marginalisiert und unterdrückt wurde. Der Simorq mag im Käfig leben, doch seine Träume leben weiter. Die Natur des Menschen ist so: Er wird immer wieder nach Freiheit streben.  

Das Interview hat Stefan Franzen geführt.

© Qantara.de 2023

Golnar Shahyar ist im Iran aufgewachsen, hat in Kanada studiert und lebt seit 2008 in Wien.