Kleiner großer Mann im Team von Giganten
Als "Oranje" mit dem jetzigen Bondscoach Marco van Basten den Europameistertitel gewann, war Ibrahim Afellay gerade einmal zwei Jahre alt. Zwanzig Jahre gingen ins Land, in denen der in Utrecht geborene Marokkaner zu einem Klassefußballer herangereift ist. Er hat sich sogar derart gut entwickelt, als das er bei der jetzigen EM die Nummer 20 auf dem Trikot trägt und sich sein Antlitz hinter Klebebildchen Nummer 267 im offiziellen Paninialbum verbirgt. Er darf also dem niederländischen Traum beiwohnen, den zweiten großen Titel in der Geschichte des fußballverrückten Landes zu gewinnen.
Es scheint kein vermessener Traum zu sein, schließlich spielt sich die Elftal dieser Tage in einen Rauschzustand. Afellay aber indes ist weitestgehend nur Zuschauer. Doch das der Mittelfeldspieler vom PSV Eindhoven überhaupt mit von der Partie sein darf, ist schon ein Ritterschlag – ist er doch der einzige Akteur vom niederländischen Serienmeister.
Im ersten Gruppenspiel durfte er neun Minuten mitwirken, wurde für Dirk Kuijt eingewechselt und hat beinahe sogar ein Tor erzielt – nur die verflixte Latte stand im Weg. Im nächsten Spiel jedoch fand sich Afellay auf der Ersatzbank wieder und wurde nicht einmal eingewechselt, während Holland den Einzug ins Viertelfinale perfekt machte.
Der Lockruf der einer vergessenen Heimat
Aber es ist keine Schande, im holländischen Team – das Weltmeister Italien mit 3:0 und Vizeweltmeister Frankreich mit 4:1 bezwang – auf der Ersatzbank zu hocken. Immerhin tragen seine Konkurrenten um einen Mittelfeldplatz klangvolle Namen wie Wesley Snejder, Arjen Robben, Dirk Kuijt oder Rafael van der Vaart. Also heißt es für "Ibi" – so sein Spitzname – erst einmal zurücklehnen, den Auftritt von "Oranje" genießen und darauf hoffen, hier und dort mitwirken dürfen.
Das durfte er in der Partie gegen Rumänien, als die Niederlande mit ihrer zweiten Garde antrat und 2:0 gewann. Afellay machte auf sich aufmerksam und sorgte für die Vorbereitung des 1:0. Ein Highlight für den Kleinen unter den ganz Großen.
Afellays Länderspielkarriere ist noch jung: Etwas weniger als zehn Länderspiele hat er bislang für die Niederlande absolviert. Aber es hätte gut und gerne auch anders kommen können. Denn "Ibi" wurde auch vom marokkanischen Fußballverband umgarnt. Nämlich nach der U-20 Weltmeisterschaft 2005, als er den orangen Dress überstreifte und zwei bemerkenswerte Partien gegen Japan und Australien machte, ehe er sich eine Knöchelverletzung zuzog. Nun waren sie deutlich hörbar, die Alarmglocken beim marokkanischen Fußballverband.
Immerhin hatte Afellay noch kein A-Länderspiel hinter sich gebracht, er hätte sich also noch für die Heimat seiner Eltern entscheiden können. Doch die niederländische Konkurrenz bemühte sich im Gegensatz zu den Nordafrikanern konstant um den verheißungsvollen Rechtsfuß. Daher wurde er kurz nach der U-20 WM auch für die niederländische A-Nationalmannschaft nominiert, jedoch nicht eingesetzt. Also blieb die Chance, ihn für Einsätze im Trikot von Marokko zu begeistern, noch weiterhin bestehen. Rein theoretisch.
Kraft und Dynamik
Doch die Sympathiebekundungen kamen viel zu spät, die Entscheidung des Spielers war längst gefallen. Und im Januar 2007 folgte sein erster Auftritt in der holländischen Elf: Er debütierte beim EM-Qualifikationsspiel gegen Slowenien. Und schon bei diesem Spiel konnte er seine Qualitäten zeigen: Er gilt als kraftvoller und dynamischer Spieler, der ein Spiel ankurbeln kann. Jedoch ist er oft impulsiv und erhält von Zeit zu Zeit gelbe Karten wegen Meckerns oder Lamentierens.
Dass er derart explosiv ist, will man nicht meinen: Mit seinen großen dunklen Augen und den gerade einmal 70 Kilogramm Körpergewicht, sieht er eher harmlos aus. Zu Jungendzeiten war das nicht anders. Doch er konnte sich immer schon gegen größere und stärkere Gegenspieler durchsetzen, weil er im Umgang mit dem Ball brillierte. Folgerichtig wechselte er 2003 von USV Elinkwijk Utrecht nach Eindhoven.
Nachwuchstalent des Jahres
Wenige Wochen später, im Alter von 17 Jahren, feierte Afellay sein Profidebüt. Der Durchbruch folgte zwei Jahre danach. Seither ist er aus dem Spiel des PSV nicht mehr wegzudenken. Im letzten Jahr wurde er in den Niederlanden sogar zum Nachwuchstalent des Jahres gewählt. Wenig verwunderlich, ist er doch hinter den Spitzen, im zentralen oder dem rechten Mitelfeld die treibende Kraft beim holländischen Serienmeister, der die letzten drei Meisterschaften allesamt für sich entscheiden konnte.
Dem Interesse aller renommierten Klubs zum Trotz, hat Afellay seinen Vertrag bis 2011 verlängert. Immerhin kann er sich in Eindhoven in aller Ruhe entwickeln und regelmäßig Champions League-Erfahrung sammeln. Vielleicht reicht es dann bei der WM 2010 erneut zu einem Klebebildchen im Paninialbum und sogar zu mehr Einsatzzeiten im orange-farbigen Dress.
André Tucic
© Qantara.de 2008
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