Heilung für Körper und Seele 

Eine Initiative, die sich mit den Methoden der Permakultur für ökologische Landwirtschaft und soziale Gerechtigkeit einsetzt, bietet Menschenrechtsaktivisten aus Afghanistan die Chance auf einen Neuanfang in Portugal. Marta Vidal berichtet.

Von Marta Vidal

An einem sonnigen Wintermorgen sammeln zwei junge Frauen eine Handvoll Zweige des Erdbeerbaums, einer mediterranen Art mit gewundenem Stamm und roten Beeren. Vorsichtig pflanzen sie die Stecklinge auf einem Feld in der Hoffnung, dass sie in der Nähe der kleinen Stadt Mértola mit ihren weißen Häusern und gepflasterten Straßen im Süden Portugals Wurzeln schlagen.

Die Frauen sind 2021 nach dem Fall von Kabul aus Afghanistan geflohen. Seit einem Jahr sammeln sie hier Samen, pflegen Setzlinge, pflanzen und ernten auf einem von bewaldeten Hügeln umgebenen Landstrich in der Nähe des Rio Guadiana, der durch die semi-aride Region Alentejo fließt. 

"Es tut gut, in der Natur zu sein“, sagt Norina, die jüngste von ihnen. Bevor die Taliban die Macht in ihrer Heimatstadt übernahmen, war sie eine Frauenrechtsaktivistin und wollte Journalistin werden. Während sie Stecklinge in die vorbereitete Erde steckt, erklärt sie, dass selbst die kleinsten Zweige zu großen, robusten Bäumen heranwachsen können. 

Terra de Abrigo – "Land der Zuflucht“ 

Norina gehört zu einer Gruppe von acht jungen Afghaninnen und Afghanen, die wegen ihres Engagements für Menschenrechte aus Kabul fliehen mussten. Sie kamen nach Portugal und wurden Teil des Projekts Terra de Abrigo (deutsch "Land der Zuflucht“), das Flüchtlinge aufnimmt und sie in ihr Engagement zur Regeneration von Böden miteinbezieht. 

"Unser Programm basiert auf der Idee, dass Fürsorge für Menschen und ein fürsorglicher Umgang mit der Erde zusammengehören“, sagt Eunice Neves, Landschaftsarchitektin und Permakultur-Designerin. Sie koordiniert die Arbeit von Terra de Abrigo und seiner Partnerorganisationen Terra Sintropica, einem lokalen Verein für Agrarökologie und Landregeneration, und der internationalen Organisation Permakultur für Flüchtlinge. "Um eine wirklich nachhaltige Welt zu schaffen, brauchen wir Menschen, die mit der Natur arbeiten, und eine faire und gerechte Verteilung der Ressourcen“, ergänzt sie.

Ein Meeting bei Terra de Abrigo in Mertola, Portugal (Foto: Marta Vidal)
"Unser Programm basiert auf der Idee, dass Fürsorge für Menschen und ein fürsorglicher Umgang mit der Erde zusammengehören“, sagt Eunice Neves, Landschaftsarchitektin und Permakultur-Expertin. Sie koordiniert die Arbeit von Terra de Abrigo und seinen Partnerorganisationen Terra Sintropica, einem lokalen Verein für Agrarökologie und Landregeneration, und der internationalen Organisation Permakultur für Flüchtlinge. "Um eine wirklich nachhaltige Welt zu schaffen, brauchen wir Menschen, die mit der Natur arbeiten, und eine faire und gerechte Verteilung der Ressourcen“, ergänzt sie.



Die Idee zu der Initiative entstand, als Neves begonnen hatte, mit dem Konzept der Permakultur zu arbeiten – einem Ansatz zur Landbewirtschaftung, der auf natürlichen Ökosystemen basiert und darauf abzielt, durch den Menschen verursachte Schäden im Ökosystem wieder zu beheben.



Sie wollte einer Gruppe junger Afghanen helfen, die bereits mit der Permakultur vertraut waren und fliehen mussten. Für sie fand sie einen sicheren Ort. So hat die Permakultur, eine Form der regenerativen Landwirtschaft, Neves dazu inspiriert, ein Projekt zur Aufnahme von Flüchtlingen zu entwickeln, das Ökologie, Agroforstwirtschaft, soziale Gerechtigkeit und Solidarität verbindet. 

Mohammad Ali, Absolvent der Rechts- und Politikwissenschaften, der wegen seines Einsatzes für Menschenrechte aus Afghanistan fliehen musste, sieht viele Verbindungen zwischen Landregeneration und sozialer Erneuerung. "Wenn wir Chemikalien einsetzen, tun wir dem Boden Gewalt an. Wenn wir Wälder zerstören, ist das auch Gewalt“, sagt er. Er träumt von einer Welt ohne Gewalt gegen Menschen oder die Umwelt. 

"Diese Arbeit mit der Natur kann nicht nur die Erde, sondern auch die Seele regenerieren“, sagt Neves. Für Mohammad, einen Piloten aus Kabul, der vor den Taliban fliehen musste, bietet der Umgang mit Pflanzen Trost und Erleichterung zugleich. "Es ist ein Segen, am Boden bleiben zu können und hier die Erde zu bearbeiten“, sagt er. 

"Wir haben hier Sicherheit, Frieden und Ruhe gefunden“, meint Rahim, ein Landwirtschaftsstudent, der schon an der Universität Kabul mit Permakultur experimentiert hat. Er erzählt stolz von seinem YouTube-Kanal, auf dem er Videos über regenerative Landwirtschaft und Agroforstwirtschaft auf Farsi veröffentlicht. "Ich möchte dieses Wissen mit anderen Menschen teilen“, erklärt er.



Das Teilen von Erlebnissen ist ein zentraler Wert in diesem Projekt. "Wir essen oft gemeinsam und organisieren soziale und kulturelle Veranstaltungen“, sagt Laura Marques, die als Koordinatorin für das Projekt arbeitet. "Wir wollen ein Gemeinschaftsgefühl schaffen, damit sich die Gruppe sicher und unterstützt fühlt." Ähnlich wie die Permakultur einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, der Land, Ressourcen, Menschen und die Umwelt einbezieht, betrachtet Terra de Abrigo auch das Wohlbefinden der Menschen als ganzheitliche Aufgabe: "Es geht nicht nur um Wohnraum, sondern auch um finanzielles, soziales und ökologisches Wohlbefinden“, erklärt Marques.

Neue Wege zur Aufnahme von Flüchtlingen 

Portugal ist Flüchtlingen gegenüber generell aufgeschlossen. Wer im Rahmen einer Quote kommt, hat Anspruch auf 18 Monate kostenlose Unterkunft, eine monatliche Unterstützung von 150 Euro und Sprachunterricht, angeboten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Nach Ablauf dieses Zeitraums wird von den Flüchtlingen jedoch erwartet, dass sie selbstständig werden.



Für einige ist die angebotene Unterstützung nicht ausreichend. Etwa die Hälfte der Flüchtlinge verlässt Portugal und geht in andere europäische Länder in der Hoffnung, dort leichter einen Job und eine Wohnung zu finden oder auf Familienmitglieder und besser etablierte Exilgemeinschaften zu stoßen, denen sie sich anschließen können.

Mertola, eine kleine Stadt im Süden Portugals, berühmt für ihr islamisches Erbe (Foto: Marta Vidal)
Ansiedelung von Flüchtlingen gegen die Landflucht? Ländliche Räume bieten Frieden und Ruhe für Flüchtlinge aus den Krisenherden dieser Welt. Das Projekt Terra de Abrigo verpflichtet sie aber nicht dazu, sich dort für immer niederzulassen. "Vielmehr schaffen wir hier gute Bedingungen für eine Phase des Übergangs. Hier können sie ankommen und sich regenerieren, ihre Wunden können heilen. Während dieser Monate, die sie an diesem ruhigen Ort verbringen, haben sie Zeit nachzudenken, was sie tun möchten. Sie können planen und entscheiden, ob sie bleiben oder lieber in die Stadt ziehen möchten, um dort zu arbeiten oder zu studieren“, sagt Koordinatorin Laura Marques. 



"Ein Jahr ist nicht genug, um eine neue Sprache zu lernen. Integration braucht Zeit“, findet Koordinatorin Laura Marques. Terra de Abrigo ist es dank der Finanzierung durch verschiedene private Geber und internationale Organisationen, inzwischen ergänzt durch staatliche Unterstützung, gelungen, der Gruppe von Afghanen bessere Bedingungen zu bieten.



Seit anderthalb Jahren werden alle Ausgaben für sie bezahlt und sie erhalten für ihre Teilzeitarbeit im Projekt eine höhere Hilfsleistung als Anerkennung. "Mértola ist ein guter Ort, um neue Initiativen zu entwickeln und neue Wege bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu erproben“, fügt Marques hinzu. "Die ganze Stadt engagiert sich, damit die Afghanen sich willkommen fühlen.“

In der Antike war Mértola dank seiner strategischen Lage auf einem Hügel über dem Rio Guadiana ein wichtige Hafenstadt am Fluss. Die Stadt ist berühmt für ihre Wahrzeichen aus islamischer Zeit: eine mittelalterliche Burg, die einst eine maurische Festung war, und eine Kirche, die als Moschee errichtet worden ist. Das Land, das für die Permakultur genutzt wird, wurde von der wissenschaftlichen Vereinigung Campo Arqueológico de Mértola gestiftet. 

Der führende Archäologe der Stadt, Claudio Torres, war in den 1960er Jahren selbst ein Flüchtling. Er entkam der portugiesischen Diktatur und dem Krieg in den Kolonialgebieten. Als er nach der Nelkenrevolution und dem Sturz des autoritären Regimes 1974 nach Portugal zurückkehrte, spezialisierte er sich auf islamische Archäologie und half, die vergessene islamische Vergangenheit Portugals aufzuspüren.

Der ländliche Raum profitiert von den Flüchtlingen

Wie ein Großteil des ländlichen Raums in Portugal leidet auch Mértola unter Wüstenbildung und Entvölkerung. In den letzten Jahrzehnten sind viele Menschen vom Land in die Städte gezogen. 

"Projekte zur Aufnahme von Flüchtlingen in Verbindung mit Landwirtschaft und Landerneuerung könnten eine Möglichkeit sein, unsere Probleme mit entvölkerten ländlichen Gebieten zu lösen. Ziel ist es, für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen zu entwickeln, für diejenigen, die aufnehmen, wie auch für diejenigen, die aufgenommen werden“, sagt Eunice Neves.

"Ländliche Räume bieten Frieden und Ruhe, davon könnten viele Menschen profitieren. Wir werben dafür, das ländliche Hinterland als einen Ort der Erholung und Regeneration wahrzunehmen. In Kleinstädten und Dörfern kann es außerdem zu einem intensiveren Austausch mit der lokalen Bevölkerung kommen“, erläutert sie. Das bedeute aber nicht, dass die Flüchtlinge sich dort für immer niederlassen müssten. 

"Es ist nicht ein Teil des Plans, dass sie bleiben müssen, weil diese Orte junge Leute brauchen. Vielmehr schaffen wir hier gute Bedingungen für eine Phase des Übergangs. Hier können sie ankommen und sich regenerieren, ihre Wunden können heilen. Während dieser Monate, die sie an diesem ruhigen Ort verbringen, haben sie Zeit nachzudenken, was sie tun möchten. Sie können planen und entscheiden, ob sie bleiben oder lieber in eine Stadt ziehen möchten, um dort zu arbeiten oder zu studieren“, sagt Marques.

Ein Satz an der Wand des PREC-Büros auf Portugiesisch: "Sie wollten uns begraben. Sie haben vergessen, dass wir Samen sind." (Foto: Marta Vidal)
Seit mehreren Jahren unterstützt die Organisation Permaculture for Refugees (P4R), einer der Partner von Terra de Abrigo, Flüchtlinge bei der Umgestaltung der Orte, an denen sie leben. Die Initiative sieht im Gartenbau ein wichtiges Instrument zur Unterstützung von Geflüchteten und unterweist sie in den Techniken der Permakultur, sowohl für die Anwendung in Flüchtlingslagern als auch in Aufnahmeländern. P4R-Gründerin Rosemary Morrow beschreibt die Organisation als ein Netzwerk der Unterstützung, dem es darum geht, Informationen zu teilen. "Es geht um Kooperation statt Konkurrenz, darum, an die Ränder zu gehen, dorthin, wo es am wichtigsten ist“, sagt sie. 

"Sie wollten uns begraben. Sie haben vergessen, dass wir Samen sind“ 

Seit mehreren Jahren unterstützt die Organisation Permaculture for Refugees (P4R), einer der Partner von Terra de Abrigo, Flüchtlinge bei der Umgestaltung der Orte, an denen sie leben. Die Initiative sieht im Gartenbau ein wichtiges Instrument, um Flüchtlinge zu unterstützen und unterrichtet Vertriebene in der Kunst der Permakultur, sowohl für die Anwendung in Flüchtlingslagern als auch in Aufnahmeländern.



Gründerin Rosemary Morrow beschreibt P4R als ein Netzwerk der Unterstützung, dem es darum geht, Informationen zu verbreiten. "Es geht um Kooperation statt Konkurrenz, darum, an die Ränder zu gehen, dorthin, wo es am wichtigsten ist“, sagt sie. 

Gartenbau inmitten von Krieg, Konflikten und Vertreibung ist eine Möglichkeit, sich zu vergewissern, dass man durchhalten kann, dass Heilung und Regeneration möglich sind.



Morrows nimmt aus ihrer Erfahrung bei der Verbreitung der Permakultur in verschiedenen Teilen der Welt mit, dass Permakultur eine transformative Wirkung haben kann, denn sie verbindet Vertriebene mit der Erde und fördert Hoffnung, soziale Zusammenarbeit und die ökologische Regenierung der Böden. "Mit der Permakultur können wir den Menschen eine wichtige Aufgabe bieten. Sie können eigene Nahrungsmittel anbauen und es ihnen hilft gleichzeitig, eine Verbindung zu ihren Nachbarn herzustellen und so ihre Situation zu verändern. Jeder kann das machen“, sagt sie. 

In Mértola werden die frischen Produkte von Terra Sintropica für die Zubereitung vegetarischer Gerichte verwendet. Serviert werden sie in einem einladenden Café-Restaurant und Lebensmittelladen namens PREC – Processo Regenerativo em Curos – (dt.: "Fortlaufende Regeneration“), der zu Ernährungssouveränität, verantwortungsvoller Produktion und nachhaltigem Konsum beitragen will. Zur Mittagszeit füllt sich das PREC mit Gelächter und heiteren Gesprächen in mehreren Sprachen. Die Afghanen reichen eine Gitarre herum, erzählen sich Geschichten und tauschen ihre Pläne für die Zukunft aus. 

Ein Spruch ziert die weiße Wand: "Sie wollten uns begraben. Sie haben vergessen, dass wir Samen sind.“ 

Marta Vidal

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