Riskante Strategien
Die extremistische Hizb-ut Tahrir strebt eine Vereinigung aller Muslime unter der Herrschaft des Kalifats an. Die "Internationale Kalifats-Konferenz" in Jakarta zeigte, dass sich auch moderat-islamische Organisationen zu wenig von den Radikalen abgrenzen. Von Bettina David
Die "Internationale Kalifats-Konferenz" war im wahrsten Sinne des Wortes ein riesiger Erfolg. Der indonesische Zweig der Hizb ut-Tahrir hatte geladen, über 80.000 zumeist lokale Anhänger und Sympathisanten, ein Großteil davon Frauen und Kinder, waren am 12. August 2007 dem Ruf gefolgt.
Es war den Islamisten tatsächlich gelungen, Indonesiens Nationalstadion Gelora Bung Karno in Jakarta zu füllen. Eine medienwirksame Inszenierung ihrer Stärke - hatten sich doch bei einer ersten, ebenfalls in Jakarta stattgefundenen Konferenz im Jahr 2000 nur rund 5.000 Anhänger eingefunden. Auch war es eine unmissverständliche Demonstration ihres zunehmenden Anspruchs auf politische Einflussnahme.
Für ein globales Kalifat
Die 1953 gegründete, international operierende Hizb ut-Tahrir ("Befreiungspartei") lehnt das Konzept des Nationalstaates und die Demokratie als "unislamisch" ab und strebt ein globales Kalifat an.
Nur in einem transnationalen, theokratischen Kalifat, so wird propagiert, könne die Ummah, die Gemeinschaft der Muslime, wieder zur ursprünglichen Einheit finden und den Aggressionen des gottlosen Westens widerstehen.
Anhänger der Hizb ut-Tahrir stammen oft aus dem akademischen Milieu, ihre Propaganda fällt in studentischen Zirkeln auf fruchtbaren Boden.
Während sie in England und Dänemark erlaubt wird, ist die Gruppierung in Deutschland, Frankreich und vielen arabischen Ländern verboten. In Indonesien ist sie seit dem Ende der Suharto-Ära und der darauf folgenden Demokratisierung sehr aktiv. Insbesondere an den Hochschulen des größten islamischen Landes findet ihre antiwestliche und antisemitische Ideologie Zulauf.
"Nein" zur Demokratie
Über die Konferenz und die dort vertretenen Positionen wurde in den indonesischen Medien ausführlich berichtet. Um eine positive Selbstdarstellung bemüht, betonte Muhammad Ismail Yusanto, Sprecher der indonesischen Hizb ut-Tahrir, man lehne die Demokratie ab und strebe die Herrschaft eines Kalifats an, erkenne aber den "Pluralismus" der indonesischen Gesellschaft an.
Das friedliche Zusammenleben der Religionen in der Blütezeit des maurischen Andalusien beweise: Angst vor der Scharia und dem Kalifat entbehrten jeder Grundlage. Auch für Nicht-Muslime stelle ein ganz auf den Islam gegründetes Gemeinwesen die Lösung aller gegenwärtigen, durch "Säkularismus" und "Liberalismus" hervorgerufenen gesellschaftlichen Probleme dar.
Wiederholt betonten alle Sprecher auf der Konferenz den Verzicht auf Gewalt bei der Durchsetzung ihrer Ziele.
Zwei geladenen internationalen Hizb ut-Tahrir-Persönlichkeiten wurde allerdings ohne Angabe von Gründen am Flughafen von Jakarta die Einreise verweigert:
Dr. Imran Waheed, einem praktizierenden Psychiater aus Großbritannien, angekündigt mit einer Rede zum Thema "Zeichen für den Untergang der westlichen Zivilisation", sowie Scheich Ismail Al Wahwah aus Australien, dessen Vortrag - laut Programm – mit: "Die Welt braucht das Kalifat" überschrieben war. Vertreter aus Dänemark, dem Sudan und Japan konnten hingegen wie geplant auftreten.
Keine Berührungsängste der Moderaten
Wie sehr Hizb ut-Tahrir inzwischen anerkannter Mitspieler in der Arena des indonesischen Islam ist, zeigt die selbstverständliche Konferenzteilnahme von Vertretern auch gemäßigter Organisationen.
Unter den Rednern war der Prediger Aa Gym, eine der populärsten und am stärksten idealisierten Figuren unter Indonesiens Muslimen.
Vom Time Magazine als "Indonesia's Holy Man" bezeichnet, wird er von vielen ausländischen Beobachtern als Vertreter eines - zugegebenermaßen - sehr orthodoxen, aber mit der globalen Moderne durchaus kompatiblen, unpolitischen Islam pietistischer Frömmigkeit gelobt. Doch von Berührungsängsten gegenüber Vertretern des radikalen politischen Islams scheint auch er frei zu sein.
Gleiches gilt für Din Syamsuddin, den Vorsitzenden der als moderat bekannten Muhammadiyah, der zweitgrößten islamischen Massenorganisation Indonesiens.
Seine Äußerungen verfingen sich heillos im Bemühen, Kalifat und Demokratie unter einen Nenner zu bringen und - es im Namen einer allumfassenden muslimischen Gemeinschaft - sowohl den Anhängern einer staatsfeindlichen Ideologie, als auch dem parlamentarischen Establishment recht zu machen.
So forderte er die Muslime auf, das Kalifat als integralen Bestandteil der islamischen Lehre anzuerkennen. Eine Leugnung des Kalifatskonzepts sei Muslimen mithin nicht möglich.
Hinsichtlich seiner formalen Durchsetzung auf der politischen Ebene gebe es allerdings erhebliche Meinungsverschiedenheiten unter den muslimischen Gelehrten. Ausschlaggebend sei daher vielmehr die "Essenz", die in der Förderung der Einheit aller Muslime bestehe.
Riskante inklusive Strategien
Die Idee eines Kalifats begrüße und unterstütze er daher, auf Indonesien bezogen dürften sich die Anstrengungen zu seiner Durchsetzung jedoch nur im Rahmen des nationalen Selbstverständnisses der Republik Indonesien bewegen.
Generell rief er die Öffentlichkeit auf, vor dem Kalifats-Diskurs keine Angst zu haben, denn dieser sei legitimer Teil des demokratischen und pluralistischen Prozesses – diesen Diskurs abzulehnen sei "undemokratisch".
Da die Hizb ut-Tahrir Gewalt ausdrücklich ablehne und keinen paramilitärischen Flügel aufweise, bestehe zudem kein Anlass, sie als extremistische Gruppierung einzustufen.
"Demokratie ist ok, aber nicht genug", so Din in der BBC. Die Indonesier seien eine gläubige Nation, daher müsse die Demokratie zusätzlich auf religiösen, ethischen und moralischen Werten basieren.
Ob die Einbeziehung von Hizb ut-Tahrir hier besonders dienlich sein mag, bleibt zumindest für den "ungläubigen Beobachter" fragwürdig.
Din Syamsuddins zitierte Äußerungen in verschiedenen indonesischen Presseberichten, die die Größenphantasie vom Kalifat erst beschwören, nur um sie dann wenig überzeugend wieder zu relativieren, machen zumindest eines deutlich:
Der Versuch moderater Muslime, fundamentalistische Strömungen durch inklusive Strategien dem so genannten Mainstream anzugleichen, führt mitunter zu reaktiven Argumentationsmustern, die vor der eigentlich längst fälligen, grundlegenden Auseinandersetzung zurückschrecken.
Damit überlassen sie aber den Radikalen auch die Macht, auf Themen öffentlicher Debatten maßgeblichen Einfluss auszuüben. Und es erstaunt eigentlich kaum, wenn eine derart defensive Haltung letztlich wenig überzeugend wirkt.
Denn es ist gerade die vermeintliche Eindeutigkeit und logische Schlüssigkeit der extremistischen Positionen, die nicht nur in Indonesien viele Menschen fasziniert und in ihren Bann zieht.
Bettina David
© Qantara.de 2007
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