Migranten, die mehr können als rappen

Der in Schweden erschienene Roman "Ein Auge rot" soll nächstes Jahr auch auf Deutsch vorliegen. In seinem Debütwerk schildert Jonas Hassan Khemiri den 15-jährigen Jungen Halil, der versucht, sich eine "arabische Identität" zu erschreiben.

Der in Schweden erschienene Einwanderungsroman "Ein Auge rot" soll nächstes Jahr auch auf Deutsch vorliegen. In seinem Debütwerk schildert Jonas Hassan Khemiri den 15-jährigen Jungen Halil, der mit Hilfe eines Tagebuchs versucht, sich eine "arabische Identität" zu erschreiben. Christine Müller sprach mit dem Autor.

Jonas Hassan Khemiri; Foto: Johan Markusson
Jonas Hassan Khemiri: "Als Heranwachsender habe ich versucht, mich gegen die schwedische Identität abzugrenzen."

​​Ihr Buch erschien 2003 in Schweden. Wie war die Reaktion des Publikums?

Jonas Hassen Khemiri: Sehr gut. Einige sahen das Buch als "die wahre Migrantenstimme", die endlich zu vernehmen ist. In Wahrheit habe ich aber versucht zu hinterfragen, ob es so etwas wie "die authentische Migrantenstimme" überhaupt gibt. Was meinen wir, wenn wir "Migranten" sagen?

Wird in der schwedischen jungen Literatur das Thema Hybridität wichtiger?

Khemiri: Ja. Unabhängig von Alter und Ethnizität machen sich Schriftsteller zunehmend auf die Suche nach ihrer Beziehung zur schwedischen Sprache. Das finde ich sehr inspirierend. Auch mein Protagonist begibt sich mit Hilfe der Sprache auf Identitätssuche: Halil kann perfekt schwedisch. Wenn er sich jedoch mit Schweden unterhält, nimmt er den Slang der Migranten auf, verändert die Satzstellung und benutzt eigene Wortkreationen. Das ist sein Versuch, sich gegen eine perfekte Anpassung zu wehren.

Halil rebelliert gegen die Abschaffung des Arabischunterrichts in der Schule und gegen den liberalen Vater. Wie nahe ist Ihnen diese Haltung?

Khemiri: Als Heranwachsender habe ich versucht, mich gegen die schwedische Identität abzugrenzen – bis hin zur völligen Romantisierung meines arabischen Ursprungs. Einmal sagte ich zu meinem Vater: "Bald fahren wir nach Hause." Mein Vater fragte: "Was meinst du?" Ich bin, wie die Hauptfigur meines Romans, in Schweden geboren. Das Buch ist jedoch keine Biografie, sondern Fiktion. Manche Kritiker setzen das Schwarz-Weiß-Denken von Halil mit meiner Haltung gleich, obwohl ich sein Denken beschreibe und entlarven möchte.

Kritisieren Sie damit eine gescheiterte Integrationspolitik?

Khemiri: Die Einstellung Halils stellt beispielhaft eine Reaktion dar. Wenn man ständig daran erinnert wird, dass man nicht schwedisch aussieht, tendiert man dazu, sich selbst als "nicht schwedisch" zu sehen. Ich beschäftige mich eher damit, was gemeint ist, wenn man jemanden als "schwedisch" bezeichnet. Was ist ein echter Schwede? Muss man bei Ikea einkaufen, blond sein oder Abba hören? Bin ich ein echter Schwede oder ein schwedisierter Araber? Ich bin es müde, dass man immer kulturelle Unterschiede fokussiert und plädiere für eine individuellere Sicht auf den Menschen.

In Deutschland gilt Schwedens Integrationspolitik als vorbildlich. Hat sich diese in den letzten zehn Jahren verändert?

Khemiri: Langsam, aber sicher fragt man sich nicht mehr, wie Migranten sich in die schwedische Gesellschaft einfügen können, sondern welche diskriminierenden Prozesse in der schwedischen Gesellschaft die Einwanderer davon abhalten, sich einzufinden. Versuchen wir, die Migranten zu Schweden zu erziehen, müssen sie Schwedischtests absolvieren, um aufgenommen zu werden? Es geht eher darum, schwedische Menschen in die moderne globalisierte Welt zu integrieren.

Wodurch wurde diese Bewusstseinsveränderung bewirkt?

Khemiri: Durch mein Buch natürlich (lacht). Die Menschen realisieren nach und nach, dass sie nicht immer auf die Unterschiede schauen können, auf das was "schwedisch" bedeuten soll. Man findet immer etwas, was einen disqualifiziert "schwedisch" zu sein, seien es Sprachkenntnisse, Hautfarbe usw. Nach diesen Kriterien werden wir nie schwedisch sein. Und ich finde es wichtig zu zeigen, dass dabei nicht die Migranten das Problem sind.

Interview: Christine Müller

© Zeitschrift für Kulturaustausch 1/05

"Ein Auge rot" erscheint voraussichtlich im März 2006 im Piper Verlag.

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