"Am schlimmsten ist die Selbstzensur"
In Ihrem Roman "Fereydun hatte drei Söhne" betrachtet Ihr Held Madjid geradezu zwanghaft alte Familienfotos, die ihn in seine Vergangenheit im Iran zurückführen. Geht es Ihnen selbst manchmal wie Madjid? Sie leben seit zwanzig Jahren in Deutschland – sind Sie noch oft mit Erinnerungen an den Iran beschäftigt?
Abbas Maroufi: Sehr oft kehren meine Erinnerungen zurück, und manchmal schreibe ich sie dann auf. Das kann sehr spontan geschehen: Ich sehe zum Beispiel jemanden am Fenster vorbeigehen und plötzlich erinnert mich diese Person an jemand von damals. Und aus dieser Erinnerung erwachsen weitere Einzelheiten – und diese verzweigen sich dann in hundert weitere Details. Manchmal geht es mir wie dem Ich-Erzähler in Prousts "Recherche", dem bekanntlich eine in Tee getränkte Madeleine das Tor zu seiner Vergangenheit öffnete. Bei mir sind es Farben, Töne oder ein bestimmter Geruch. Erinnerungen sind nie linear geordnet, und genauso ist es beim modernen Schreiben, das etwa im Unterschied zu Balzac oder Flaubert nicht mehr eine singuläre Erzähllinie besitzt, sondern mit Brüchen arbeitet. So erklärt sich auch mein eher assoziativer Erzählstil in meinem neuen Roman "Fereydun hatte drei Söhne".
Wie sehr spiegelt Ihr Roman Ihre damalige Situation wider, als Sie den Iran verlassen hatten? Ihr Held steht vor einem Scherbenhaufen, lebt als Asylant in einer Nervenheilanstalt und ist kurz gesagt ein seelisches Wrack. Doch gleichzeitig lässt ihn der Wunsch nach Rückkehr nicht los. War es bei Ihnen auch so, wollten Sie zurück in Ihre Heimat?
Maroufi: Heimat ist für einen Schriftsteller sehr wichtig, eine dauernde Quelle seines Schreibens, seiner täglichen Arbeit. Ich konnte aber nicht mehr zurück, da ich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt war. Ich kam nur durch Unterstützung von außen, mit Hilfe des PEN-Zentrums, bei dem ich Mitglied war, und durch den persönlichen Einsatz von Günter Grass aus dem Iran frei. Was Madjids Verfassung in meinem Roman angeht, so stellt sie durchaus etwas Typisches dar: Er hat nicht nur seine Heimat verloren, auch seine Arbeit, sein soziales Umfeld: Und so quälen ihn "schlechte Gedanken" - er wird depressiv, fühlt sich erniedrigt, nutzlos, oder er wird aggressiv gegenüber Mitbewohnern in der Heilanstalt. Nur wenn er seine tägliche Arbeit hat, geht es ihm gut.
Madjid erlebt die damalige Zeit der späten 1970er Jahre, die Phase des Umbruchs im Iran, der Schah wird gestürzt, die Islamische Revolution und die Rückkehr Khomeinis verändern alles im Land. Madjid und seine Brüder betätigen sich politisch und geraten mit der Regierung in Konflikt. Sie selbst wurden wegen "Beleidigung der islamischen Grundwerte" zu Peitschenhieben und Gefängnis verurteilt, was dann durch internationale Proteste nicht vollzogen wurde. Für welche politischen Ziele traten sie damals ein? Hatten Sie anfangs Sympathien für die Islamische Revolution?
Maroufi: Seit ich 19 Jahre alt war, war ich Mitglied des iranischen Schriftstellerverbands und arbeitete als Lehrer und Musikmanager. Ich habe mich nicht politisch betätigt, war gerade erst 21 Jahre alt, als der Schah gestürzt wurde. Später wurde mir die Leitung eines Symphonischen Orchesters untersagt und ich gründete die Zeitschrift "Gardoon" (zu deutsch "Himmelsleiter"). Fünf Jahr lang hatte ich um die Erlaubnis für das Erscheinen der Zeitschrift im Iran gekämpft, dann betrieb ich sie etwa sieben Jahre sehr erfolgreich, bis die Redaktionsräume durch die Regierung eines Tages geschlossen wurden und ich zusammen mit anderen Mitarbeitern wegen "Beleidigung der islamischen Grundwerte" angeklagt wurde. Doch ich hatte damals noch Glück, weil ich ausreisen durfte – andere hingegen haben mit ihrem Leben bezahlt.
Sie leben heute als Schriftsteller in Berlin. Haben Sie zu Ihren Schriftstellerkollegen im Iran noch regelmäßig Kontakt? Und was erzählen Ihnen Autoren aus dem Iran über die allgegenwärtige Zensur in der Islamischen Republik? Haben sie sich mit den drakonischen Zensurmaßnahmen arrangiert?
Maroufi: Ich stehe bis heute im regen Austausch mit Schriftstellern, Künstlern und Schauspielern aus dem Iran – teilweise über das Internet, aber auch in Form von persönlichen Treffen. Ich bekomme regelmäßig Besuch von Autoren und Künstlern, dann treffen wir uns in meiner Buchhandlung "Hedayat" in Berlin. Ich selbst kann immer noch nicht in den Iran reisen (das Urteil wurde bis heute nicht aufgehoben) und auch meine neuen Bücher dürfen dort noch immer nicht erscheinen. Doch umso mehr engagiere ich mich für den Verlag, in dem bis jetzt etwa 240 Bücher erschienen sind, überwiegend Bücher von "verbotenen" Autoren aus dem Iran.
Sie sind auch als Schreiblehrer und Universitätsdozent tätig. Woher kommen Ihre Studenten? Sind darunter auch Studenten aus dem Iran?
Maroufi: Ja, ich gebe regelmäßig Kurse und Workshops, hauptsächlich im Internet, und arbeite auch noch mit zwei Assistenten zusammen, die mir dabei behilflich sind. Meine Studenten kommen aber nicht nur aus dem Iran, es sind auch Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern wie Nepal, Kanada oder den USA dabei. Diese Arbeit bedeutet mir sehr viel, denn sie verbindet literarisches Wissen mit der eigenen Kreativität. Die staatliche Zensur ist nicht einmal das größte Übel für einen Schriftsteller, viel schlimmer ist die Selbstzensur, welche die eigene Kreativität behindert. Dies kann sich äußerst blockierend auf das Schreiben auswirken. Es ist wie ein "Stalin im Kopf". Dagegen versuche ich anzugehen und rate meinen Studenten: Schreiben Sie an gegen diese Selbstzensur, indem Sie zum Beispiel auf die Frage reagieren: Was ist Angst? Und dann lasse ich meine Studenten zugleich auch Fotos zu diesem Thema machen. Das ist eine sehr spannende Arbeit!
Das Interview führte Volker Kaminski.
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