Frankreichs neue Dialoginitiative in Nahost
Frankreichs Außenminister Kouchner hat jüngst Geheimkontakte zur radikal-islamischen Hamas bestätigt. Worauf zielen diese Gespräche ab und drohen sie nicht, die Position von Palästinenserpräsident Abbas zu schwächen? Darüber hat sich Khaula Saleh mit dem Nahostexperten Rudolph Chimelli unterhalten.
Frankreich hat nach Angaben von Außenminister Kouchner Kontakt mit der radikal-islamischen Palästinenserorganisation Hamas aufgenommen. Das Außenministerium sei erst nach dem Gespräch informiert worden, das zwischen dem ehemaligen französischen Botschafter im Irak Messuzière und dem Hamas-Führer Mahmud Sahar und Regierungschef Ismail Hanija stattgefunden hat. Was weiß man über diese Gespräche und wurden sie tatsächlich ohne Absprache mit dem Außenminister geführt?
Rudolph Chimelli: Das ist nicht möglich. Der Außenminister hat zu diesem Treffen selber Stellung genommen und sich davon nicht distanziert. In Frankreich sind solche Gespräche mit Sicherheit an höchster Stelle abgesegnet. Der französische Außenminister Kouchner hat auch ausdrücklich erklärt, es handle sich nicht um Verhandlungen, sondern um Kontakte. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es Gespräche gegeben hat. Im Übrigen ist bekannt, dass Frankreich nicht alleine dasteht – einige andere EU-Staaten wünschen sich ebenfalls Gespräche mit der Hamas oder haben diese möglicherweise schon geführt. Gegenwärtig wird in einigen EU-Kreisen die Haltung, die Hamas zu boykottieren, als unproduktiv und unrealistisch befunden.
Warum finden solche Kontakte bislang ausschließlich geheim statt?
Chimelli: Die EU befürchtet, dass die Stellung des Palästinenserpräsidenten Abbas geschwächt wird, wenn gleichzeitig auch ein anderer Partner in Palästina – in diesem Fall in Gaza – ins Gespräch kommt. Das wollen die meisten EU-Staaten nicht. Gespräche müssten in gemeinsamer Koordination und im Gleichgewicht erfolgen. Soweit ist man jedoch noch nicht. Von sachlichen Ergebnissen ist man ebenfalls noch weit entfernt.
Das einzige, was sich wirklich abzeichnet, ist ein Stillhalteabkommen zwischen Israel und der Hamas, in dem sich die Hamas dazu verpflichtet, die Raketenangriffe auf israelische Städte einzustellen und sich Israel im Gegenzug dazu bereit erklärt, den Lastwagenverkehr in den Gaza-Streifen wieder zu normalisieren. Diese Lösung ist auch im Gespräch zwischen dem israelischen Verteidigungsminister und dem ägyptischen Präsidenten Mubarak. Aber das wird nur unter vorgehaltener Hand besprochen.
Die EU stuft die Hamas als Terrororganisation ein. Trotzdem befürworten manche ihrer Mitglieder Kontakte zu dieser Organisation. Warum kann die EU keine einheitliche Strategie im Umgang mit der Hamas formulieren?
Chimelli: Die Hamas als Terrororganisation zu deklarieren, ist eine offizielle Klassifizierung, mit der einige EU-Staaten intern und inoffiziell unzufrieden sind. Sie möchten davon etwas Abstand nehmen. Insgesamt besteht jedoch die Tendenz, die harte, unkonziliante Haltung der EU etwas aufzuweichen.
Meinen Sie nicht, dass Geheimkontakte mit der Hamas, die Position des palästinensischen Präsidenten Abbas doch schwächen würden?
Chimelli: Ja, das ist eine Folge, die man vermeiden möchte, indem man gleichzeitig Bestrebungen unterstützt, Mahmud Abbas und die Hamas sich auf ihre Weise verständigen zu lassen. Die Gesprächsbasis muss den Palästinensern überlassen bleiben. Die Lage ist kompliziert. Sie wird noch zusätzlich dadurch erschwert, dass am 13. Juli in Paris die Gründungsversammlung der Mittelmeerunion stattfinden wird, der auch Palästina angehören soll. Welches Palästina und welche Rolle dabei die Hamas spielen soll, macht die Sache nicht einfacher. Vielleicht ist dies ein Ansporn, eine Lösung zu finden.
Was bezweckt Frankreich mit seinen Gesprächen mit der Hamas?
Chimelli: Frankreich ist stets darum bemüht, zumindest an der Südflanke Europas, eine eigene Rolle zu spielen. Durch die EU-Erweiterung ist Frankreich etwas an die Peripherie der Gemeinschaft gerückt. Präsident Nikolas Sarkozy hat von Anfang an das Bestreben erkennen lassen, die EU neu zu zentrieren und ihr eine Wendung nach Süden zu geben, sodass Frankreich wieder mehr im Mittelpunkt stehen würde.
Wie hoch schätzen Sie die Erfolgschancen der Bemühungen Frankreichs ein, Hamas in den politischen Prozess einzubinden?
Chimelli: Ich halte die Chancen für nicht gering, denn es liegt auch im Interesse der Hamas, eine international akzeptierte Rolle zu spielen. Wie bereits erwähnt, werden parallel Gespräche zwischen Israel und Ägypten über eine Lösung geführt, die auf eine Einstellung der Gewalt seitens der Hamas sowie auf eine Aufhebung der Blockade durch Israel abzielen. Das dürfte auch im Interesse der Hamas sein.
Das Interview führte Khaula Saleh.
© DEUTSCHE WELLE 2008
Rudolph Chimelli ist Nahostexperte und langjähriger Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung".
Qantara.de
Interview mit Rudolph Chimelli über die Mittelmeerunion
Der neue Traum von der alten Führungsrolle
Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatspräsident Sarkozy haben sich darauf geeinigt, dass die bisherige Kooperation mit den Mittelmeer-Nachbarländern der EU in eine Mittelmeerunion umgewandelt wird. Was das bedeutet, erläutert der Nahostexperte Rudolph Chimelli im Gespräch mit Abed Othman.
Sarkozys Traum von der "Mittelmeer-Union":
Eine Alternative zum Barcelona-Prozess?
Die erste außereuropäische Reise führte den französischen Präsidenten Sarkozy Anfang Juli nach Algerien und Tunesien, wo er für seine Idee einer Mittelmeer-Union warb. Über die Ergebnisse berichtet Salim Boukhdhir.
Sarkozys Türkei-Politik
Wo Europas Grenze liegt
Frankreichs Präsident Sarkozy möchte die Türkei auf keinen Fall in die EU aufnehmen und sucht nach Möglichkeiten der Grenzziehung. Europa braucht aber keine Grenzen, sondern Verständnis für das, was in der Welt vor sich geht, meint Zafer Senocak.