Das Potential der Religionen nutzen

Welche Rolle der Islam in der Entwicklungszusammenarbeit spielen soll, darüber streiten die Experten. Erhard Brunn, der für den DED in Uganda und im Niger arbeitete, ist überzeugt, dass die Einbindung der Religion positive Ergebnisse zeitigt.

​​Herr Brunn, sollte Religion in der Entwicklungszusammenarbeit eine Rolle spielen?

Erhard Brunn: Ja, unbedingt. Mein Eindruck in Uganda und im Niger war, dass Religion bei der Vorbereitung auf den Einsatz keine große Rolle spielt. Viele Kollegen hatten geradezu eine areligiöse Einstellung.

Warum stört Sie das? Der Deutsche Entwicklungsdienst ist staatlich, und wir leben in einer säkularen Gesellschaft.

Brunn: Natürlich, aber wenn Entwicklungshelfer in einem zu fast hundert Prozent islamischen Land leben und den Islam für das Hauptproblem des Landes halten, ist das nicht gerade hilfreich. Wer selbst areligiös ist, sollte trotzdem eine Ahnung von der Religion haben, die das Denken und Fühlen der Menschen bestimmt.

Geht es vor allem um Respekt?

Brunn: Ja, das ist das entscheidende Wort. Es geht um Verständnis und Respekt, um Einfühlung, aber auch um Grundkenntnisse. Nicht um religiösen Wettkampf. Bibel und Koran sind Bücher mit hoher ethischer Qualität, die eine hervorragende Grundlage für die gemeinsame Arbeit bilden können. Das Potential von Christentum und Islam wird heute immer stärker in der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt.

Gibt es Leitlinien für den Umgang mit islamischen Strukturen?

Brunn: Die GTZ hat mit ihrem Programm "Islam und Technische Zusammenarbeit in Afrika" seit 2001 sehr viel zu Themen wie islamisches Bankwesen oder "reproductive health" geforscht, um an muslimische Positionen anzuknüpfen, was auch teilweise in die Praxis umgesetzt wurde.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Brunn: Gute Erfahrungen gibt es zum Beispiel beim Ressourcenschutz. Im Wüstenstaat Mauretanien ist Viehhaltung eine angepasste Lebensweise, die Ressourcen schont. Die GTZ hat hier an das traditionelle Recht und die islamische Scharia angeknüpft, um das Bodenrecht so umzugestalten, dass es die mobile Viehhaltung nicht behindert.

Erhard Brunn; Foto: privat

​​Erhard Brunn
war für den Deutschen Entwicklungsdienst DED in Uganda und im Niger. Er ist Autor des Buchs "Christentum und Islam - ein neuer Dialog des Handelns. Begegnungen in Europa und Afrika, Verlag Brandes & Apsel 2006.​​In lokalen und islamischen Rechtsauffassungen fanden sich Grundlagen, die gut zu neuesten Vorstellungen über Ressourcen- und Klimaschutz-Maßnahmen passen.

Behindert nicht die Scharia die Entwicklung eines Landes?

Brunn: Die Scharia stellt sich lokal unterschiedlich dar. Wir finden vieles darin einschränkend, aber sie bietet auch Ansätze für eine nachhaltige Entwicklung. Der Islam betont das kollektive Element, bei uns hat individuelles Recht Vorrang.

Beim Bodenrecht kann es sein, dass man mit dem kollektiven wesentlich besser fährt, so war es in Mauretanien. Muslimische Rechtssprechung kann flexibel sein. Diese Flexibilität muss man unterstützen.

Wie ist es bei der Aids-Aufklärung?

Brunn: Es gibt keine grundsätzlichen Probleme mit islamischen Partnern. Bei uns unterstellt man gerne, muslimische Führer seien konservativ, und Aids sei generell ein Tabu. Das ist nicht unbedingt der Fall.

Zum Beispiel gibt es in Westafrika ein gemeinsames Engagement der religiösen Führer beim Kampf gegen Aids. Die "Karawane der religiösen Führer" durch sieben Länder der Region zum Welt-Aids-Tag 2005 ist ein gutes Beispiel für das Potential dieser Kooperation.

Beim Thema Aids ist die katholische Kirche ein stärkerer Bremser, weil sie Kondome ablehnt. Muslime setzen den Schutz des Lebens sehr hoch an. Wenn die religiösen Führer ihren Einfluss auf Moral, Ehe und Familie nutzen, um klar zu machen, dass Aids eine reale Gefahr ist, dann ist viel gewonnen.

Können die religiösen Führer zur Friedensarbeit beitragen?

Brunn: Es gibt zum Beispiel in Norduganda ein weit verzweigtes interreligiöses Friedensnetz von christlichen Kirchen und Muslimen. In dieser Gegend terrorisiert die "Lord Resistance Army" die Bevölkerung.

Zwar können die religiösen Führer solche Terroristen nicht daran hindern, Krieg zu führen. Sie können aber dafür sorgen, dass die Ethnien nach Gewalttaten nicht gegeneinander aufgehetzt werden. Diese Gefahr bestand öfter, und immer wieder gelang es den religiösen Führern, dies zu verhindern.

Sie konnten schon dazu beitragen, Kindersoldaten wieder in ihre Dörfer einzugliedern oder Konflikte zwischen Nomaden und sesshafter Bevölkerung zu entschärfen. Dazu greift man aber interessanterweise weder auf moderne noch christliche oder muslimische, sondern auf traditionelle afrikanische Riten zurück.

Welche Ansätze gibt es in der nicht-staatlichen Zusammenarbeit?

Brunn: Es gibt zum Beispiel die Grünhelme von Rupert Neudeck und Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime. Die Grünhelme stehen in der Tradition von Peace-Corps: Junge Christen und Muslime leisten Wiederaufbauhilfe in Krisenregionen wie Kaschmir, Indonesien oder Afghanistan. Die interreligiös zusammengesetzten Grünhelme bauen Schulen auf, aber auch mal eine Moschee oder Kirche.

Schildern Sie das nicht zu positiv? Es gibt doch bestimmt jede Menge Widerstände?

Brunn: Es gibt viele Bemühungen deutscher Organisationen, die im Süden so nicht gewollt sind. Zum Beispiel wollte das katholische Hilfswerk Misereor, dass bei Neubauten katholischer Schulen in Nord-Nigeria auch Gebetsräume für die muslimischen Schüler entstehen. Katholische Bischöfe in Nord-Nigeria weigerten sich jedoch, dieses Konzept anzunehmen.

Allerdings erhält die mittlerweile sehr enge Kooperation christlicher und muslimischer religiöser Führer im Niger kaum internationale finanzielle Unterstützung.

Wie kann man sich Kooperation mit muslimischen Hilfsorganisationen in Deutschland vorstellen?

Brunn: In Europa gibt es muslimische Hilfsorganisationen, die wachsen und ihre Auslandstätigkeit intensivieren. Es gibt ein steigendes Interesse an Absprachen mit Hilfsorganisationen wie "Islamic Relief" oder dem Verein "Muslime helfen", wenn man in derselben Region arbeitet. Sichtbare Absprachen und Kooperation würden die Akzeptanz in der Bevölkerung verbessern.

Interview: Claudia Mende

© Qantara.de 2007

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