''In Bahrain unterdrückt das Regime alle Menschen''
Im letzten September wurden in Bahrain 13 Ärzte und Krankenschwestern, die während einer Demonstration Regierungsgegner behandelt hatten, zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf lautete, sie hätten gegen den Staat gehandelt. Außerdem wurden sieben weitere medizinische Fachkräfte von einem Sondertribunal zu Haftstrafen zwischen fünf und zehn Jahren verurteilt. Halten die Repressionen gegen Ärzte und Krankenschwestern weiter an?
Maryam al-Khawaja: Der Prozess der Ärzte wurde von Menschenrechtsgruppen sehr genau beobachtet und scharf kritisiert, denn die Regierung in Bahrain hatte spezielle Militärgerichte eingesetzt, die mit Militärrichtern –und Staatsanwälten zusammenarbeiten, um Zivilisten strafrechtlich zu verfolgen.
Die meisten dieser Ärzte und Krankenschwestern arbeiteten im Salmaniya Medical Centre in Manama, die von Einheiten der Armee gestürmt wurde, nachdem im letzten März Demonstranten von dem nahe gelegenen Perlenplatz, dem Zentrum der Protestbewegung, vertrieben wurden.
Seit 2011 halten die Proteste an, beinahe jeden Tag werden Kundgebungen abgehalten. Allerdings hat sich etwas Entscheidendes verändert: die Selbstsicherheit der Regierung Bahrains. Sie glauben, dass sie nun keine Konsequenzen für ihr Handeln fürchten müssen – allenfalls internationale Protestnoten, doch keine wirklichen politischen Konsequenzen. Sie fühlen sich daher frei zu tun, was immer sie wollen. Daher gehen sie jetzt auch gegen renommierte Menschenrechtsaktivisten vor – etwas, was sie noch vor einem Jahr niemals getan hätten.
Ihr Vater, Abdulhadi al-Khawaja, ist einer der prominentesten Menschenrechtsaktivisten in Bahrain. Nach zwölf Jahren im Exil kehrte er 1999 nach Manama zurück. Nach der Unterdrückung der demokratischen Protestbewegung sitzt er jedoch heute im Gefängnis. Im letzten Juli wurde auch Khawajas langjähriger Freund und Partner Nabeel Rajab inhaftiert, weil er die Führung des Landes auf Twitter kritisiert hatte. Er wurde angeklagt, illegale Proteste organisiert zu haben. Und Ihre Schwester Zaynab, auch bekannt als "angry arabia", wurde ebenfalls wegen der Teilnahme an Protesten verhaftet. Was wissen Sie über den Verbleib der Inhaftierten und ihren Gesundheitszustand?
Al-Khawaja: In den letzten Jahren war mein Vater Zielscheibe ständiger Schikanen, seien es körperliche Angriffe oder mediale Hetzkampagnen. Auch wurde er gefoltert. Im Gefängnis entschloss er sich kürzlich dazu, in einen Hungerstreik zu treten. Rajab wurde vor kurzem zu drei Jahren Haft verurteilt. Amnesty International hat die Freilassung von Oppositionellen und gewaltlosen politischen Gefangenen gefordert, was jedoch bislang nicht geschehen ist.
Ich bin die einzige Person aus meiner Familie, die sich frei bewegen und sprechen kann, da ich inzwischen in Dänemark und nicht mehr in Bahrain lebe. Wäre ich noch in Bahrain, so ginge es mir wohl genauso wie die anderen.
Bahrains sunnitische Königsfamilie regiert über eine mehrheitlich schiitische Bevölkerung im Land. Es gibt Menschen, die behaupten, die Demonstranten in Bahrain erhielten ihre Anweisungen aus dem Iran, während andere argumentieren, die Saudis unterstützen das Regime in Manama. Welche Rolle nehmen Schiiten und Sunniten bei diesem Volksaufstand ein?
Al-Khawaja: Bahrain ist kein schiitisches Land. Bahrain gehört den Bahrainern – und zwar allen. Auch die Proteste sind nicht auf eine bestimmte Gruppe begrenzt. In vielen autoritären Ländern versuchen die Regierungen, das Volk entlang religiöser Linien aufzuspalten, um es so besser kontrollieren zu können. In Ägypten wurde versucht, die Welt davon zu überzeugen, es gebe einen Kampf zwischen Muslimen und Kopten. In Syrien behaupten sie, die Alawiten richteten sich gegen die Sunniten. Aber das ist nicht der Fall.
In Bahrain unterdrückt das Regime alle Menschen, ganz unabhängig von ihrer Religion. Das Regime versucht, die Revolte als einen Konflikt der Ethnien oder Konfessionen darzustellen – aber das entspricht nicht der Wahrheit. Kritisiert ein Sunnit das Regime, so wird er ins Gefängnis gesteckt und gefoltert. Verteidigt ein Schiit die Regierung, so kann er zum Minister aufsteigen. Es kommt nicht darauf an, ob man Schiit oder Sunnit ist, sondern darauf, ob man für oder gegen das Regime ist.
Wie äußert sich der Widerstand gegen das Herrscherhaus heute, nachdem das Regime die Proteste im März 2011 mit der Hilfe saudischer Truppen blutig niedergeschlagen ließ?
Al-Khawaja: Die Proteste haben gezeigt, dass junge Menschen nicht nur sehr aktiv, sondern auch gut organisiert sind. Junge Menschen haben über Facebook zu den Protesten aufgerufen – und zwar am 14. Februar, denn an diesem Tag vor zehn Jahren änderte der König einseitig die Verfassung zu seinen Gunsten als höchste Autorität im Land. Auf dem "Platz der Märtyrer", wie die Protestierenden den Perlenplatz nach dem Tod einiger Demonstranten bezeichneten, kannten sich die Menschen zwar nicht, doch sie organisierten sich in verschiedenen Gruppen. Eine Gruppe hat beispielsweise ein Medienzentrum auf dem Platz eröffnet, eine andere bot sich an, die Straßen während und nach den Protesten zu säubern.
Welche Rolle spielen die Frauen beim Aufstand in Bahrain?
Al-Khawaja: Die Frauen spielen eine zentrale Rolle. Manchmal glauben westliche Beobachter, dass sie wichtige Funktion einnehmen, nur weil sie in einer anderen Reihe als die Männer stehen, aber das ist kulturell bedingt. Ich denke, wir sollten Frauen nicht als unterdrückt ansehen, nur weil sie in einer anderen Gruppe demonstrieren als die Männer. Manchmal ist es einfach angenehmer, auf Demonstrationen nicht zwischen zwei Männern eingeklemmt zu sein.
Ein Ziel des Arabischen Frühlings ist es, westliche Stereotype zu beseitigen. Mein Lieblingsvideo des Arabischen Frühling ist eines, auf dem Frauen aus Bahrain ein Graffiti an die Wand sprühen, auf dem geschrieben steht: "Selbst wenn die Männer aufhören zu protestieren, werden die Frauen weitermachen!".
Interview: Azzurra Meringolo
© ResetDOC 2012
Maryam al-Khawaja ist Vorsitzende des "Bahrain Center for Human Rights" (BCHR) und Leiterin des internationalen Büros des "Gulf Center for Human Rights" (GCHR). Sie lebt heute in Kopenhagen.
Übersetzt aus dem Englischen von Laura Overmeyer
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de