Historische Animositäten
Das Buch "Eine Araberin im Iran: Die unbekannte Seite der Iraner“, sticht unter den arabischsprachigen Veröffentlichungen hervor. Dabei geht die Autorin weniger auf politische oder militärische Fragen ein, sie vermittelt vielmehr Eindrücke aus dem iranischen Alltag.
Nada Azhari lebte von 2006 bis 2010 in Teheran und kehrte später mehrfach zu Besuchen in den Iran zurück, zuletzt im Jahr 2019. Ihre Erfahrungen und die Sichtweise der Iraner hat sie in Buchform festgehalten.
Stellenweise ähnelt das Buch Tagebucheinträgen und Reisenotizen. Aber die Autorin bringt auch ihre intime Kenntnis der iranischen Literatur- und Filmszene zur Geltung.
In einigen Kapiteln geht es um das Leben junger Frauen und ihren Kleidungsstil. Hier äußert die Autorin Vorbehalte gegenüber Deutungen, die in den Versuchen, den Hijab abzulegen, ein Indiz für säkulare Bestrebungen sehen. Azharis Eindruck ist vielmehr, dass viele Iraner bei allem Wunsch nach Emanzipation doch Wert darauflegen, zur islamischen Familie zu gehören.
Nada Azhari erzählt aus dem Alltag einer Taxifahrerin, mit der sie durch Teheran fuhr, und gibt so bisher unbekannte Einblicke in das Leben marginalisierter Gruppen, z.B. afghanischer Arbeiter. Sie zeigt auch die Gegensätze zwischen dem wohlhabenden Norden Teherans und dem verarmten Süden der Stadt.
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Hinter der französischen Maske
Azhari stammt ursprünglich aus dem syrischen Homs und ist mit einem französischen Diplomaten verheiratet, der lange Jahre im Nahen Osten tätig war. Dieser war ab 2006 an der französischen Botschaft in Teheran eingesetzt und so kam sie als Französin mit ihrem Mann in die Stadt.
Europäische Reisende haben den Iran und den Mittleren Osten in den letzten Jahrzehnten zwar besucht, sie waren aber manchmal gezwungen, sich zu verkleiden, um der Verfolgung der Sicherheitskräfte zu entgehen.
Obwohl Azhari selbst nicht an eine Verkleidung dachte, erschien ihr im Rückblick das Maskenspiel als hilfreich, um die Sichtweise der (bürgerlichen) iranischen Eliten auf die Araber zu verstehen.
Denn sie bekam Dinge zu hören – wie sie in der Einleitung des Buches anführt – die sie nicht gehört hätte, wenn sie als Araberin sichtbar gewesen wäre. Offenbar war die Bereitschaft, sich zu öffnen, in Anwesenheit westlicher Personen höher als gegenüber einer arabischen Person. "Eine Araberin im Iran" zeigt daher den Alltag im Iran aus der Sicht einer arabischen Frau.
Einblick in die Lebenswirklichkeit
Warum haben Sie sich dafür entschieden, jedes Kapitel mit einem Zitat aus einem iranischen Film zu beginnen? Worin unterscheidet sich die iranische Wirklichkeit vom iranischen Film?
Nada Azhari: Filme haben es mir möglich gemacht, zu schreiben, zu reisen, Völker und Bräuche kennenzulernen… Ich konnte viele Länder bereisen und in einigen davon auch leben. Der Film war für mich in mindestens zwei Ländern ein Medium zur Integration: in Indien und im Iran.
Durch meine Beschäftigung mit dem Film habe ich den Iran besser kennengelernt, vor allem durch meine Interviews mit großen Künstlern von Abbas Kiarostami bis zu Ashgar Farhadi und Rakhshan Banietemad.
Natürlich habe ich zuerst den Iran als Land und erst dann den Film entdeckt. Wegen der iranischen Filme habe ich mich noch mehr für die iranische Gesellschaft interessiert und wollte diese noch besser kennenlernen. Ich habe dem Film also viel zu verdanken. Die Idee mit den Überschriften kam spontan, als ich im Zusammenhang mit dem Blick auf die iranische Gesellschaft auf den Film "Blut und Gold" von Jafar Panahi verwies.
Bei einigen Kapiteln drängten sich mir Bilder aus bestimmten iranischen Filmen geradezu auf, beispielsweise im Kapitel "Religion und Leben", bei dem ich an den Film "Die Eidechse" von Kamal Tabrizi denken musste.
Zu ihrer zweiten Frage: Wie überall auf der Welt unterscheidet sich die die Welt des Films von der gesellschaftlichen Realität. Filmschaffende und Film sind eine Welt für sich, auch wenn sie gesellschaftlichen Problemen aus ihrer Perspektive Ausdruck verleihen. Dennoch kann man sagen, dass die Welt des Films im Iran weniger von den Menschen und ihren Herausforderungen entkoppelt ist als vielleicht in anderen Ländern.
Der iranische Film befasst sich in seinem Realismus beispielsweise mit verschiedenen Gesellschaftsschichten, auch wenn die Mittelschicht und dann die unteren Schichten im Mittelpunkt stehen, die ein wichtiger Bestandteil der iranischen Gesellschaft sind, aber zugleich wenig Gehör finden. Sie sind im iranischen Film auf authentische und realistische Weise sehr präsent, sei es in Äußerlichkeiten, in der Sprache oder in den Handlungsorten.
Wenn man nicht im Iran lebt, fallen einem einige Gesichtspunkte und Verhaltensweisen gar nicht auf. Meiner Meinung nach bringt der Film das gut zum Ausdruck. Man kann sagen, dass der iranische Film einen guten Einblick in die Lebenswirklichkeit des Iran gibt.
Ungläubiges Staunen
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Stereotype über Araber und Iraner
Sie sind syrischstämmige Französin. Hat ihre französische Staatsangehörigkeit dabei geholfen, dass die Iraner Ihnen manchmal ihre Sicht auf die Araber offenbart haben? Wie sehen die Iraner die Araber?
Azhari: Ich bin Syrerin und habe später die französische Staatsbürgerschaft angenommen. Ich bin also als Französin in den Iran gekommen. In meinem Buch habe ich versucht, meine Wahrnehmung des iranischen Blicks auf die Araber sensibel und objektiv darzustellen.
Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, denn das würde den Kontext sprengen. Wenn ich sage, dass es historisch bedingte gegenseitige Animositäten gibt, würde das der Komplexität dieser Beziehung nicht gerecht werden. Alle Aussagen von Iranern mir gegenüber wurden in einem bestimmten Kontext getroffen.
Einige Ansichten wurden mir als Französin zufällig aufgrund meiner Anwesenheit im Land zugetragen. Wenn ich die Iraner nach ihren Gefühlen gegenüber Arabern gefragt habe, habe ich aber vorher meine arabische Herkunft transparent gemacht.
Wie ist es umgekehrt und vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Erfahrung in Teheran, welche Vorurteile haben Araber über Iraner?
Azhari: Zum Glück gibt es eine Annäherung der Sichtweisen, die beide Seiten oft auf die Geschichte zurückführen. Aber immer, wenn ich in Syrien über Iraner spreche, stelle ich fest, dass die Leute über meine Berichte überrascht sind und manches so nicht erwartet hätten. Das Bild des Iran ist einerseits historisch geprägt, aber auch durch das Auftreten iranischer Besucher in Damaskus. Die Syrer denken, dass die Iraner alle ähnlich sind. Diesen Fehler macht man im Westen genauso.
Im Westen sieht man nur das emanzipierte iranische Bürgertum, in der arabischen Welt nur die konservativ-religiösen Bevölkerungsschichten. Hinter beidem verbergen sich Vorurteile und die Tatsache, dass wir den anderen nicht so sehen wollen, wie er ist, sondern so, wie er uns gerade passt.
Die Iraner und die Geschichte
Sie erwähnen im Buch, dass sie ab ihrem zweiten Jahr im Iran ein Gefühl der Verzweiflung überkam, ob Araber und Perser überhaupt zusammenleben können. Wie kam es dazu? Bedeutet das, dass sich die aktuellen Spannungen zwischen Arabern und Iranern auch dann nicht abbauen lassen, wenn Iran nicht mehr durch den politischen Islam geprägt ist?
Azhari: Diesen Eindruck habe ich nach zahlreichen Diskussionen mit sowohl mit Arabern als auch mit Iranern gewonnen. Ich spürte, dass sie die Geschichte nicht vergessen haben und das auch nicht wollen, insbesondere die bürgerlichen Schichten. In meinen ersten beiden Jahren hat es mich wütend gemacht, wenn ich mit diesen Ansichten konfrontiert wurde. I
Ich hätte nicht gedacht, dass die Vergangenheit noch derart präsent ist. Mit der Zeit und je mehr ich mit der iranischen Gesellschaft vertraut wurde, verstand ich mehr und mehr, welcher Anstrengungen es bedarf, um eine Annäherung zu erreichen und diesen Blick „von oben herab“ loszuwerden oder zu verändern. Aber die politischen Ereignisse machten meine Hoffnungen zunichte.
Das hat nichts mit einem Rückzug oder dem Ende eines Regimes zu tun. Es ist eine gesellschaftliche Frage, keine der Politik. Zufällig habe ich vor ein paar Tagen in Frankreich einen Iraner getroffen, der den Iran nach der Revolution als vierjähriges Kind verlassen hat, weil sein Vater Offizier in der Armee des Shahs war. Er ist also Gegner des aktuellen Regimes. Er gab aber exakt das wieder, was Iraner im Iran selbst über den Blick auf ihre Geschichte mit den Arabern sagen.
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Der iranische Tschador und Taxi Teheran
Viele Studien haben versucht, die Veränderungen im Iran anhand der Kontroversen um den Hijab zu interpretieren. Sie sehen das anders, aus welchem Grund?
Azhari: Über den Hijab wurde schon zu Zeiten des Shahs gestritten und als Reza Shah 1936 den Hijab verbot, kam es zu großen Demonstrationen. Der Hijab ist Teil von allem, Teil der Republik, nicht das Ganze. Der Fokus allein auf den Hijab verdeckt den Blick auf andere Anliegen der Iraner. Der Westen blickt oft nur auf Themen mit Bezug zu den Frauen. Er überhöht diese Themen und will seine eigene Sichtweise auf das Thema aufdrängen und alle folgen ihm.
Man darf nicht vergessen, dass es im Iran Schichten gibt, die am Hijab und am traditionellen Tschador festhalten, auch wenn der Tschador staatlich nicht vorgegeben ist. Das sehen wir insbesondere in der konservativen Stadt Isfahan, wo schon junge Mädchen beim Spielen in öffentlichen Parks den Tschador tragen. Wer hat sie denn dazu gezwungen? Das sind Traditionen, es ist nicht die Islamische Republik.
Ich war einmal mit einer iranischen Freundin dort, die ein langes Kleid trug, das aber die Knöchel nicht bedeckte. Wer hat sie daraufhin bedrängt? Nicht die islamische Religionspolizei, sondern eine Frau auf der Straße, die sie empört anschaute und sie bat, ihre Beine gut zu bedecken. Auch die Demonstrationen im Iran waren in der Vergangenheit meist politischer oder ökonomischer Natur. Das heißt natürlich nicht, dass die Anliegen jener Frauen nicht berechtigt sind. Auch einige Konservative und Unterstützer des Regimes halten den Hijab-Zwang nicht für zwingend.
In Ihrem Buch weisen Sie darauf hin, dass die iranischen Behörden das Auslegen von Krawatten oder Papillons in Schaufenstern verboten haben. Wie blickt eine arabische Frau auf iranische Männer?
Azhari: Man kann Iranern ganz allgemein mehrere Eigenschaften zuschreiben: Diskretion, Höflichkeit und natürlich, dass sie Frauen nicht die Hand geben. Das allgemeine Erscheinungsbild verrät kulturelle, soziale und religiöse Hintergründe. Konservative tragen beispielsweise einen kurzen Bart und einen grauen Anzug, während andere sehr viel Wert auf ihr Äußeres legen, manchmal sogar übertrieben, und sich beispielsweise die Nase operieren lassen oder trendige Frisuren von Fußballstars nachahmen.
Wenn man manchen Aussagen Glauben schenken darf, sind einige Männer der Meinung, Frauen hätten zuhause das Sagen. Insgesamt war es die Kultur der Iraner, die mich am meisten überrascht und beeindruckt hat.
In einem Abschnitt Ihres Buches geht es um Gespräche mit Iranern im Taxi oder mit Taxifahrern. Das erinnert mich an Filme, in denen Veränderungen aus Sicht der Taxifahrer gezeigt werden. Wenn wir Teheran und die Iraner anhand Ihrer Taxifahrten und Gespräche mit Taxifahrern (in Teheran) beschreiben wollen, was können wir über sie sagen? Sind sie gesprächig? Sind sie konservativ?
Azhari: Ich fuhr in Teheran viel mit privaten Taxis. Da Teheran für seine Staus bekannt ist, die selbst auf kürzesten Strecken zu langen Fahrten führen, haben die Fahrer mich angesprochen und nach meiner Identität gefragt, die sie verwirrt hat.
Sobald sie dann wussten, dass ich Ausländerin bin, war ihre Neugier geweckt und sie wollten reden, aber immer äußerst höflich und ohne sich aufzudrängen. Ich habe sie nicht als geschwätzig wahrgenommen. Die Gespräche mit ihnen waren interessant und unterhaltsam, ja ergiebig. Da meine Persischkenntnisse begrenzt sind, haben sie für mich oft Dinge wiederholt, bis ich sie verstand.
Die islamische Revolution und der Film
Einige iranische Intellektuelle verbinden die iranische Filmgeschichte mit der Zeit vor 1979. Sie vertreten da eine andere Ansicht. Hat denn die islamische Zensur zur Weiterentwicklung des iranischen Films beigetragen? Auf welche Weise?
Azhari: Zensur gab es im iranischen Film auch schon vor der Revolution. Tatsächlich hat die Revolution aber zur Entwicklung des iranischen Films beigetragen und dazu geführt, dass es mehr Frauen unter den Filmschaffenden gibt. Mein Eindruck war, dass die Zensur wirklich eine Herausforderung ist. Sie führt dazu, dass Filmschaffende versuchen müssen, für alle Tabu-Themen eine Lösung zu finden.
Beispielsweise sagte Asghar Fahadi mir, dass die Schwierigkeiten des iranischen Films weit über den Hijab, verbotene Berührungen und oberflächliche Themen hinausreichen. Obwohl die Zensur die Herausforderungen vervielfacht hat und auch lähmend sein konnte, war sie zugleich auch ein Katalysator für Kreativität. Das wird von vielen bestätigt.
Auch ist bekannt, dass der Film als populärste Kunstform im Iran nach der Revolution von Frauen "übernommen" wurde. Es wurde zum gemeinsamen Anliegen von Filmemacherinnen, die Gesellschaft zu kritisieren und Anliegen der Frauen aufzuwerfen. Laut einer in Frankreich lebenden iranischen Filmwissenschaftlerin gab es im Iran vor der Revolution lediglich drei Regisseurinnen, nach der Revolution waren es dreißig.
Die Revolution hat den Status der Frauen in der iranischen Gesellschaft verändert. Ihre Position wurde stärker und rückte ins Zentrum der Aufmerksamkeit, was paradoxerweise dazu beitrug, dass Frauen hinter die Kamera gehen mussten. Entscheidend war, wie ich las, der Standpunkt Ayatollah Khomeinis, der den Film als Kunstform nicht verleugnete und von Anbeginn der Revolution an betonte, dass er nicht gegen Film und Fernsehen sei, wohl aber gegen unmoralische und imperialistische Aspekte darin.
Das Konzept der "Keuschheit", das den iranischen Film zu kennzeichnen begann, führte auch zu einer Öffnung von Teilen der konservativen und religiösen iranischen Gesellschaft für Filme. Konservative Familien waren nun dem Film gegenüber weniger misstrauisch und assoziierten ihn nicht mehr mit Dekadenz, wie es während der Herrschaft des Schahs der Fall war, sondern sahen ihn vielmehr als einen Raum, in dem Frauen sich ausdrücken können.
Das Interview führte Mohamad Turki Al-Rubaio.
© Qantara.de 2024
Aus dem Arabischen übersetzt von Daniel Falk