"Die Nachfrage nach persischen Büchern ist groß“
Frau Redisiu, Ihr Verlag Forough zählt neben Nakojaa in Frankreich zu einer Handvoll Verlage, die außerhalb Irans Literatur auf Persisch publizieren, die im Land selbst verboten ist. Gegründet haben den Verlag und die Kölner Buchhandlung Ihre Eltern in den 1990er Jahren. Wie kam es dazu?
Anahita Redisiu: Meine Eltern haben die Buchhandlung Forough am Weltfrauentag 1998 gegründet, dabei waren beide keine Buchhändler. Meine Mutter hat Sozialarbeit studiert, mein Vater Bauwesen. Es ging ihnen zum einen um ein Stück Heimat, und Literatur war ihnen immer wichtig, Bücher spielten seit jeher eine zentrale Rolle bei uns.
Zum anderen waren sie selbst aus politischen Gründen geflüchtet und wollten weiter politisch aktiv bleiben. Die Hoffnung auf einen freien Iran haben sie nie aufgegeben. Außerdem war schon damals die Nachfrage nach persischen Büchern groß, selbst hier in Köln lebten schon in den 1990ern viele Iraner, die das Land selbst nicht besuchen konnten, wie wir auch, das wäre zu gefährlich gewesen.
Verlag und Buchhandlung sind nach der Dichterin Forough Farrokhsad benannt...
Anahita Redisiu: Ja, sie war eine der bedeutendsten iranischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Für mich als Frau ist sie ein Vorbild, weil sie trotz enormer Widerstände, gesellschaftlich und sogar in der eigenen Familie, über ihre innersten Gefühle geschrieben hat. Das hatte es so zuvor nicht gegeben. Mutige Frauen wie sie haben späteren Generationen den Weg geebnet.
Literatur gibt wichtige Einblicke in die Gesellschaft
Wie finden Sie die Bücher für das Verlagsprogramm?
Anahita Redisiu: Das Hauptkriterium ist, dass ein Buch im Iran verboten ist oder nur zensiert erscheinen kann. Unsere Bücher sind weltweit erhältlich, nur im Iran nicht. Dieser Aspekt ist wichtiger als wirtschaftliche Erwägungen. Und wir schauen natürlich, ob das Buch für iranische Leser interessant ist. Dazu gehören auch Übersetzungen aus anderen Sprachen ins Persische und Bücher von iranischen Autorinnen und Autoren im Exil, sowie unzensierte Fassungen von Werken, die im Iran nur gekürzt erscheinen können.
Bitte nennen Sie ein Beispiel für ein vom Verlag Forough verlegtes und in Iran verbotenes Buch, das für die Menschen im Land und im Exil besonders wichtig ist?
Anahita Redisiu: Da ist zum Beispiel Monireh Baradarans Buch "Erwachen aus dem Alptraum“, das es auch auf Deutsch gibt. Die Autorin schreibt darin über ihre neun Jahre in einem iranischen Gefängnis, und das Buch hat leider nichts an Aktualität verloren, obwohl es um die 1980er Jahre geht. Dann Bücher von Manouchehr Bachtiary und Mahmoud Sabahy über die religiöse Minderheit der Bahai, die im Iran verfolgt werden.
Bachtiary sieht zum Beispiel Tahereh Qurratu'l-Ayn als Vorreiterin der heutigen Frauenbewegung und zeichnet nach, wie sie schon im 19. Jahrhundert für die Unabhängigkeit von Frauen und die Gleichberechtigung der Geschlechter gekämpft hat, etwa indem sie bei einer Veranstaltung im Jahr 1848 ihr Kopftuch abgenommen hat.
Sie haben mal gesagt, Sie würden sich freuen, wenn im Iran Raubkopien Ihrer Bücher auftauchen – warum?
Anahita Redisiu: Iran gehört zu den wenigen Länder, die das internationale Copyright-Abkommen nicht ratifiziert haben. Das heißt: Wer im Iran ein Buch verlegen will, muss sich nicht mit dem Rechteinhaber auseinandersetzen. Deshalb sind auch die meisten Übersetzungen ausländischer Literatur in Iran gewissermaßen Raubkopien. Für Autoren und Verlage ist das natürlich ein Problem, weshalb sich das ändern wollen.
"Es könnte gut tun, verbotene Bücher zu lesen"
Aber uns geht es in erster Linie darum, dass die Bücher gelesen werden, insbesondere von Menschen, denen sie vorenthalten werden. Daher freut es mich schon, wenn ich sehe, dass die Bücher ihren Weg in den Iran finden. Die junge Generation dort ist bei der Einschätzung der Verhältnisse viel weiter als Sie und ich, aber der älteren, religiös-konservativen Generation könnte es gut tun, in Kontakt mit verbotenen Texten zu kommen. Und da gibt es nunmal zur Zeit keine andere Option als Schwarzdrucke oder digital herumgereichte Texte.
Unter den mehr als tausend Menschen, die seit September in Iran verhaftet wurden, sind auch zahlreiche Autoren, Künstler und Journalisten – wie sieht deren Situation zur Zeit aus?
Anahita Redisiu: Das Regime sieht offensichtlich sogar in Kindern eine solche Bedrohung, dass es sie bei Demonstrationen ermordet, also kann man sich ausmalen, wie es zu Menschen steht, die für das freie Wort und für Demokratie eintreten. Das Regime hat Angst und erkennt, dass die große Mehrheit der Gesellschaft es nicht mehr will. Geständnisse werden unter Zwang und Folter erpresst oder indem Angehörige bedroht werden. Alle wissen, dass die Geständnisse nicht echt sind.
Seit den 1990er Jahren gab es immer wieder Proteste gegen das Regime. 1999 protestierten Studierende, 2009 schlossen sich ihnen Teile der Mittelschicht an, in den letzten Jahren waren es oft Arbeiter, Lehrer, Gewerkschaftler. Jedes Mal wurden die Proteste gewaltsam niedergeschlagen. Was ist heute anders?
Anahita Redisiu: Ich würde die jetztigen Proteste Revolution nennen – eine feministische Revolution, an der sich fast alle Gesellschaftsschichten beteiligen. Ich kann nicht für sie sprechen, aber ich vermute, die Menschen sehen, dass sie keine Wahl mehr haben. Entweder sie befreien sich vom Regime oder sie vegetieren weiter vor sich hin in einem Leben, das von Zwängen geprägt ist, die sie ablehnen. Wenn junge Menschen, besonders Mädchen, zu Hause und mit dem Internet so leben wie andere junge Leute, zum Beispiel in Europa, in der Öffentlichkeit aber eingesperrt sind in all diese religiösen Regeln, entsteht auch ein großer psychischer Druck.
Sie müssen ihren Eltern versprechen, das Kopftuch zu tragen und sich nicht mit Jungs zu treffen – nicht, weil die Eltern dagegen sind, sondern weil sie Angst um ihre Kinder haben. Es gibt zwar Partys und Untergrundcafés, aber man weiß nie, ob der Mensch neben einem nicht vom Regime ist oder ob gleich die Sicherheitskräfte kommen und alle mitnehmen. Die junge Generation in Iran ist sehr selbstbewusst und entspricht so gar nicht dem Klischeebild, dass viele in Deutschland von ihr haben.
Es gibt auch Profiteure des Regimes
Über zwei Drittel der Iraner haben die letzten Wahlen boykottiert um das Regime zu delegitimieren. Aber eine Minderheit unterstützt das Regime weiter. Wer sind diese Menschen?
Anahita Redisiu: Es gibt natürlich auch Profiteure des Regimes. Oder Menschen haben sich etwas aufgebaut und Angst, es zu verlieren. Daneben gibt es die ärmeren Schichten, denen mitunter Geld gezahlt wird, damit sie an Demonstrationen zur Unterstützung des Regimes teilnehmen. Und natürlich gibt es die Mullahs, die um ihre Macht fürchten.
Im Arabischen Frühling wurden zwar viele Regime gestürzt, wirklich demokratische Ideen haben sich aber nur in Tunesien und dort nur eine Zeitlang durchgesetzt. Glauben Sie, die Chancen stehen im Iran besser?
Anahita Redisiu: Das Problem ist, dass es keine klare Opposition gibt. Viele Oppositionelle wurden ermordet, sind im Exil oder in Haft, andere stehen unter Hausarrest, so dass sie sich nicht mehr organisieren können. In der Exil-Opposition gibt es auch Strömungen wie zum Beispiel die Anhänger des Schah-Sohnes, die aber auch nicht genau wissen, was die Menschen vor Ort wirklich wollen.
Die Chancen stehen dann besser, wenn es keine Einmischung des Westens gibt wie in anderen Ländern der Region. Das wird oft missverstanden: Die Iraner fordern nicht, dass der Westen militärisch eingreift. Sie wollen nur, dass er dem Regime keine Macht mehr gibt, indem er zum Beispiel weiter enge wirtschaftliche Beziehungen pflegt.
Tut die deutsche Bundesregierung genug, um die iranische Opposition zu unterstützen?
Anahita Redisiu: Nein. Was bringt es, wenn die Außenministerin erst unter Druck ihr Mitgefühl ausdrückt oder halbherzige Sanktionen verhängt werden, während der Iran weiterhin ein wichtiger Handelspartner für deutsche Unternehmen ist? Dabei gäbe es die Mittel. Es gibt die Terrorliste der EU, die Sanktionen wurden noch nicht ansatzweise ausgeschöpft, man kann den Handel mit dem Regime unterbinden. Deutschland muss verstehen, dass das iranische Regime kein Partner ist und man keinen Vorteil hat, wenn man beim Status Quo bleibt, im Gegenteil. Ein demokratischer Iran hingegen könnte ein Partner sein.
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