Rohanis unmögliche Mission
Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi waren bei den umstrittenen Präsidentschaftswahlen von 2009 die Herausforderer des später zum Sieger gekürten Mahmud Ahmadinedschad. Sie protestierten gegen das Ergebnis der Wahlen, warfen dem Regime Wahlbetrug vor und führten die sogenannte "Grüne Bewegung" an. Deren Proteste wurden blutig niedergeschlagen und die Integrationsfiguren Karrubi, Mussawi und dessen Ehefrau Zahra Rahnavard als "Anführer" unter Hausarrest gestellt.
Dieser Hausarrest ist eine der größten innenpolitischen Herausforderungen des iranischen Regimes in den vergangenen Jahren. Umso größer wäre der politische Sieg für denjenigen, der hier das Blatt wenden könnte.
Für den Hausarrest und dessen Fortbestand wird der geistliche Führer der Islamischen Republik, Ayatollah Ali Khamenei, verantwortlich gemacht – doch er schweigt bislang dazu.
Der damalige Teheraner Polizeipräsident Esmail Ahmadimoghadam erinnerte sich drei Jahre nach den Wahlen 2012 in einem Interview mit der Teheraner Tageszeitung Kayhan an die Ereignisse von 2009: "Im Zuge der Unruhen habe ich unseren geistlichen Führer um Erlaubnis gebeten, einige Schlüsselfiguren der Protestbewegung festnehmen zu lassen, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Er wollte aber die Festnahmen persönlich überwachen. Als wir eine Liste von 40 Personen vorgelegt haben, sagte er: Um die kümmere ich mich selbst."
Kein Zeichen für einen Richtungswechsel
Als der heutige Vizepräsident des Parlaments, Ali Motahari, Khamenei bei einem Besuch im Sommer 2014 zu diesem Thema ansprach, verteidigte Khamenei den Hausarrest: "Ihre Straftat wiegt zu schwer. Wäre der edelmütige Imam [gemeint ist der Gründer und erste Führer der islamischen Republik, Ayatollah Khomeini] noch am Leben, würde er härter handeln. Wenn sie vor Gericht gestellt würden, würde ihre Strafe wesentlich schärfer ausfallen und sie würden das definitiv nicht wollen", zitierte ihn später Motahari.
Motahari kritisiert den Hausarrest als Verstoß gegen das Grundgesetz und plädiert seit Jahren für dessen Ende beziehungsweise einen fairen Prozess für alle Beteiligten, auch den früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Denn der Sieger der Wahlen von 2009 habe damals mit seinen Worten und Taten die protestierenden Bürger beleidigt und provoziert und somit für eine Eskalation der Lage gesorgt, meint Motahari.
Die Aufhebung des Hausarrests wird nicht nur direkt verlangt. Im vergangenen Februar, etwa am 6. Jahrestag des Arrests, sprach der reformorientierte Ex-Präsident Mohammad Khatami von der Notwendigkeit einer "nationalen Versöhnung". Angesichts der durch die US-Regierung unter Präsident Donald Trump drohenden Gefahren wäre es der beste Zeitpunkt, ein Zeichen der Einigkeit zu setzen, so Khatami.
Gespaltene politische Lager
Sein Vorschlag, der in der iranischen Gesellschaft ein lautes Echo fand, war ein deutliches Zeichen für die tiefe Kluft zwischen zwei politischen Fronten im Iran: Die eine, von den islamischen Hardlinern vertreten, wünscht sich innen- und außenpolitische Härte und sucht die Konfrontation mit dem Westen. Auf der anderen Seite stehen die Gemäßigten und Reformer, die nach mehr Öffnung im Inneren und nach Außen streben.
Die Hardliner haben mehr Macht, Geld und Waffen. Sie kontrollieren einflussreiche staatliche Instanzen – unter anderem die Revolutionsgarde, die Justiz und die mächtigen Stiftungen. Das andere Lager genießt dagegen mehr gesellschaftliche Unterstützung. In den Wahlen vom letzten Mai verkörperten die beiden Hauptkandidaten die beiden Fraktionen: der Hardliner Ebrahim Raisi und der Gemäßigte Hassan Rohani.
Die Hardliner kritisierten Khatamis Idee der nationalen Versöhnung scharf, auch, weil sie zur Aufhebung des Hausarrests geführt hätte. Ayatollah Khamenei wies sie als "sinnlos" zurück.
Präsident Hassan Rohani hat zwei Wochen nach seiner Wiederwahl im Mai vor einer kleinen Studentengruppe sein Wahlversprechen wiederholt: Er werde "allen Einschränkungen zum Trotz" seine Möglichkeiten nutzen, damit der Hausarrest der Oppositionsführer ein Ende findet.
Die roten Linien des Systems
"Manche erlauben sich dieser Tage, die roten Linien des Systems zu überschreiten, sogar den Hausarrest gegen die Oppositionspolitiker in Frage zu stellen", reagierte prompt Justizchef Ayatollah Sadegh Laridjani: "Wer sind Sie überhaupt, dass Sie den Hausarrest aufheben wollen?", fragte er den Präsidenten öffentlich.
Der Hausarrest sei vom nationalen Sicherheitsrat verhängt worden, sollte dieser seine Entscheidung rückgängig machen, wäre der Weg für die Justiz frei, ihrer Pflicht nachzugehen, drohte der Ayatollah. Im Klartext heißt das: Die protestierenden Kandidaten von 2009 würden nach der Aufhebung des Hausarrests vor Gericht gestellt.
Auch der Sprecher der Justiz, Gholam-Hossein Mohseni-Ejei, beteuerte Ende Juni, dass der nationale Sicherheitsrat für den Hausarrest von Mussawi und Karrubi zuständig sei. Sollte die Entscheidung tatsächlich nicht von Khamenei, sondern vom nationalen Sicherheitsrat getroffen worden sein, wäre sie auch von Rohani mitgetragen worden. Er war von 1989 bis 2013 eines der einflussreichsten Mitglieder des Rates und ist seit seiner Wahl zum Präsidenten (2013) dessen Vorsitzender.
Nichtsdestotrotz gibt es hierzu keine offiziellen Angaben. Der Hausarrest ging weder aus einer Gerichtsverhandlung noch aus einem staatlichen Dekret hervor.
Als Hassan Rohani während seines letzten Wahlkampfs von Anhängern mit der Frage konfrontiert wurde, wie er den Hausarrest in seiner zweiten Amtszeit beenden wolle, lautete seine Antwort: Er brauche dafür mehr Stimmen. Je mehr gesellschaftliche Unterstützung er bekomme, desto größer sei der Druck, den er für die Umsetzung seiner Forderungen aufbauen könne.
Seine erste Amtszeit hat Rohani fast komplett dem Abschluss des Atomabkommens mit den UN-Vetomächten und Deutschland gewidmet. Der Durchbruch im Juli 2015 ging ausschließlich auf sein Konto, obwohl ein Abkommen ohne Zugeständnisse des geistlichen Führers Khamenei nicht möglich gewesen wäre.
Suche nach einem neuen nationalen Konsens
Kurz darauf nutzte Rohani den Atomdeal – im Iran kurz "Bardjam" genannt – als gelungenes Beispiel für den nationalen Konsens. Er verlangte einen zweiten "Bardjam" und zwar im Inland: "Die Befürworter der Regierung, die Gegner der Regierung, die Kritiker, alle sollen Hand in Hand arbeiten. Die nationalen Ziele und die Entwicklung Irans stellt keiner in Frage und bei den wichtigsten Problemen sind sich alle einig", sagte er im Winter 2015. Auch die wirtschaftliche Lage lasse sich durch eine Deeskalationspolitik auf der regionalen und internationalen Ebene entspannen.
In seiner Neujahrsrede vom 21. März 2017 kündigte Rohani an, dass mit den Parlamentswahlen der "zweite Bardjam" gelungen sei. Bei den Wahlen drei Wochen zuvor errangen die "Reformisten" und "Gemäßigten" die Mehrheit. Rohani zählt für das Erreichen seiner Ziele auf die Unterstützung des Parlaments.
Ayatollah Khamenei ließ jedoch keinen Tag auf eine Reaktion seinerseits warten. In seiner Neujahrsrede kritisierte er am gleichen Tag die Idee eines zweiten "Bardjam": "Einige sind der Meinung, dass ein Dialog mit den USA in anderen Angelegenheiten […] der zweite, dritte oder vierte 'Barjam' sein könne und damit die Probleme des iranischen Volkes gelöst werden könnten", sagte er in der Pilgerstadt Maschhad. Jeder weitere "Bardjam" wäre ein weiterer großer Sieg für den Präsidenten.
Beleidigung des Führers
Nicht nur Machtkämpfe haben die Freilassung der Oppositionspolitiker verkompliziert. Die Kritiker des geistlichen Führers werfen ihm Arroganz und Machtbesessenheit vor und behaupten, dass er sich von Mussawi und Karrubi beleidigt fühle. Als er 2009 Ahmadinedschad zum Sieg gratulierte, sollten alle anderen Kandidaten diesen anerkennen, hätte Ayatollah Khamenei erwartet.
Die beiden Oppositionsführer beharren auf ihrer Position. Sie erkennen die Ergebnisse der Wahlen von 2009 nicht an. "Da sie keine Reue zeigen, wird es keine Entlassung geben", sagte der frühere Vizeparlamentspräsident und einflussreiche konservative Politiker Mohammad Reza Bahonar in einem Interview im Jahr 2016.
Die Anhänger von Ayatollah Khamenei wollen Reue als Alternative zum Hausarrest. Sie verlangen zudem, dass Mussawi und Karrubi nach einer Freilassung jegliche politische Aktivität einstellen. Im vergangenen Herbst zeigte sich der Vertreter des Ayatollah Khamenei bei der paramilitärischen "Basidsch"-Miliz zuversichtlich, dass "Reue" zur "Gnade" führen würde: "Sonst wäre eine Aufhebung des Hausarrests leichtsinnig", zitierte das Internetportal Entekhab Mohammadreza Tusserkani.
Kritiker sind sich einig: Keine Instanz innerhalb der Islamischen Republik würde sich für die Aufhebung des Hausarrests der Oppositionspolitiker einsetzen, solange der geistlicher Führer Khamenei nicht den Eindruck vermittelt, dass er für die Freilassung der Oppositionsführer ist. Er ist dank der Verfassung allen innerhalb des politischen Systems weit überlegen.
Khamenei - und vor ihm Ayatollah Ruhollah Khomeini - konnte stets alle früheren Präsidenten kontrollieren und lenken. Jede politische Konfrontation ist bis heute für die Präsidenten zum Scheitern verurteilt gewesen. So kann Präsident Rohani nur im Hintergrund Lobbyarbeit leisten, in der Hoffnung, dass Khamenei eines Tages Nachsicht walten lässt.
Iman Aslani