Vergangenheit und Gegenwart
Zwei der Hauptgründe für das Scheitern der "Grünen Bewegung" liegen in der gewaltsamen Unterdrückung der Aufstände und der Distanzierung eines bedeutenden Teils ihrer Anhänger von der Bewegung. Hinzu kam, dass sie von einer Koalition unterschiedlicher Flügel innerhalb der iranischen Regierung gelenkt wurde. Diese Koalition verfolgte das Interesse, das Ordnungsgefüge der Islamischen Republik zu wahren und die Bewegung zu einem Druckmittel zu reduzieren, um innerhalb des Systems den eigenen Machtanteil zu vergrößern.
Sie versuchte die "Grüne Bewegung" von ihrem eigentlichen Ziel – der Annullierung der Wahlen – abzubringen und trachtete danach, oppositionelle säkulare Gruppen von der Bewegung auszuschließen. Diese Koalitionäre waren von Anfang an gegen das Gros der aufbegehrenden Bevölkerung gerichtet, die sich umfangreiche politische Reformen wünschte. Diese Mischung aus Gegenmaßnahmen führte schließlich dazu, dass die "Grüne Bewegung" zunehmend geschwächt und schließlich lahm gelegt wurde.
Schulterschluss mit Präsident Rohani
Die Islamische Republik ruft die Menschen alle vier Jahre auf, den Staatspräsidenten und das Parlament zu wählen. Nur Anwärter, die vom Wächterrat, einem islamischen Kontrollorgan, dessen sechs Hauptmitglieder vom religiösen Führer bestimmt werden, zugelassen wurden, können kandidieren. Die Wahl bestimmt, welchen Anteil die verschiedenen Flügel der Regierung an der Exekutive und der Legislative haben.
Drei Flügel innerhalb der iranischen Regierung – die religiösen Reformer, die Partei der Diener des Wiederaufbaus ("Hezb-e Kargozaran") und die konservativen Geistlichen der ersten Generation – bildeten die Säulen der Koalition, die bei den Präsidentschaftswahlen 2009 die Kandidaten Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi unterstützte.
Diese Koalition, die die "Grüne Bewegung" anführte, ist heute mit der Regierung von Präsident Hassan Rohani, der bei der Wahl 2013 die Mehrheit erhielt, verbündet, während Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi weiterhin unter Hausarrest stehen.
Die erste Säule der Koalition, die religiösen Reformer, zu denen Mohammed Khatami (Präsident von 1997 bis 2005) gehört, streben begrenzte politische und gesellschaftliche Reformen im Rahmen der Verfassung der Islamischen Republik an. Die religiösen Reformer genießen vor allem die Unterstützung von Teilen der Mittelschicht.
Die zweite Säule der Koalition, die Partei der Diener des Wiederaufbaus, stützt sich auf Unternehmer und Kapitaleigentümer, die dank der Schattenwirtschaft, einer institutionalisierten Korruption und der Erdölprofite zu gewaltigem Reichtum gekommen sind und eine neoliberale Privatisierung der Wirtschaft fordern. Hashemi Rafsandschani, Staatspräsident von 1989 bis 1997 ist ihr prominentester Vertreter.
Die dritte Säule besteht aus konservativen Geistlichen der ersten Generation, die im gegenwärtigen Machtgefüge ihre bisherigen Privilegien unbedingt behalten möchte. Auch sie steht hinter Rafsandschani.Mir Hossein Mussawi, der einflussreichste Präsidentschaftskandidat bei den Wahlen 2009, hatte rund 14 Millionen Stimmen erhalten. Diese stammten nicht nur aus der Wählerschaft der beschriebenen Koalition, die ihn unterstützte. Arme und einkommensschwache Schichten bilden die Mehrheit der iranischen Gesellschaft.
Große Teile der städtischen Unterschicht erinnerten sich noch an das erste Jahrzehnt nach der Revolution, als Mussawi von 1981 bis 1989 Premierminister war und sich als Politiker für soziale Gerechtigkeit eingesetzt hatte. Daher gaben sie ihm ihre Stimme. Und sie waren es auch, die sich an den Protesten in den großen Städten gegen das Wahlergebnis im Sommer 2009 millionenfach beteiligten.
Abkehr von Mussawi
Allerdings distanzierten sich viele rasch wieder von der "Grünen Bewegung". Denn das politische Programm von Mussawi führte ihnen vor Augen, dass er dieses Mal nicht als linksorientierter islamischer Politiker, sondern als Verbündeter der Oligarchie angetreten war und im Konsens mit Rafsandschani handelte, der bei weiten Teilen der armen Bevölkerung eine Symbolfigur für Korruption und Vetternwirtschaft darstellt.
Nachdem große Bevölkerungsteile zunehmend auf Distanz zur "Grünen Bewegung" gingen, schrumpfte die Massenbewegung auf wenige tausend, überwiegend junge Protestierende aus der urbanen Mittel- und Oberschicht zusammen. Die endgültige Niederschlagung der Proteste fiel dem Unterdrückungsapparat daher nicht schwer.
Während der Proteste vom Sommer 2009 wurden auch Slogans gegen den islamischen Führer und die Islamische Republik laut. Die Sicherheitskräfte reagierten darauf mit noch größerer Brutalität. Zahllose Menschen wurden getötet, junge Demonstranten und bekannte Gesichter der "Grünen Bewegung" verschwanden hinter Gittern. Die beiden Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi wurden unter Hausarrest gestellt.
Verlorene Legitimation
Die "Grüne Bewegung" verfehlte zwar ihr Hauptziel, die Annullierung der Wahlen, doch der Funke des Widerstands war entfacht und das Feuer schwelte im Verborgenen jedoch weiter. Als die Koalition, die die Bewegung angeführt hatte, bei den Präsidentschaftswahlen 2013 Hassan Rohani unterstützte, Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi nicht opponierten und sich die religiösen Reformer nach Rohanis Sieg an seiner Regierung beteiligten, war dies als ob man Wasser aufs Feuer gegossen hätte.
Die Koalition, die zuvor Mir Hossein Mussawi unterstützt hatte, konzentrierte bei den Wahlen 2013 alle ihre Anstrengungen auf einen Sieg Hassan Rohanis. Mohammad Khatami und Hashemi Rafsandschani setzten sich offiziell für ihn ein. Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi befürworteten diese Politik mit ihrem Schweigen und ihren doppeldeutigen Aussagen. Indem die meisten Anhänger der "Grünen Bewegung" Rohani ihre Stimme gaben, ließen sie ihr Hauptanliegen, die Annullierung der vergangenen Präsidentschaftswahlen, Geschichte werden. Die Grüne Bewegung verlor ihre Grundlage.
Die Regierung Rohanis konzentrierte ihre Kräfte nach den Wahlen auf die Atomverhandlungen. Durch eine konservative Ausrichtung seiner Innen- und Kulturpolitik versuchte Rohani die Unterstützung der konservativen und traditionalistischen Geistlichen für seine Außenpolitik zu gewinnen und den Widerstand der extremistischen Kräfte abzuschwächen.
Die Koalition, die einst die "Grüne Bewegung" anführte und nun mit Rohani paktiert, ist bislang mit ihrem Anteil an der Regierung weitgehend zufrieden und bereitet sich darauf vor, die Mehrheit der Stimmen für Rohani bei den nächsten Parlamentswahlen im Iran zu gewinnen.
Erdrückende Sanktionen
Die iranische Wirtschaft beruht nicht auf der Produktion, sondern auf den Erdöleinahmen des Landes. Internationale Wirtschaftssanktionen greifen nur dann, wenn sie neben einem Embargo auch den Transfer von Geldern aus den Erdöl- und Erdgaseinnahmen unterbinden.
Alle Flügel der iranischen Regierung, von der Oligarchie, die durch die institutionalisierte Korruption zu gewaltigem Reichtum gekommen ist, bis hin zu den konservativen Geistlichen, vom religiösen Führer und den Befehlshabern der Revolutionsgarde bis hin zu den islamischen Reformern, suchen einen Weg aus der wirtschaftlichen Krise. Sie wissen, dass dies ohne Aufhebung – oder zumindest Lockerung – der Sanktionen nicht möglich ist.
Der Mehrheit der iranischen Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebt, mehr soziale Gerechtigkeit fordert und den konservativen ebenso wie den modernen Teilen der Mittelschicht angehört, ist inzwischen bewusst, dass sich die Wirtschaftskrise ohne Aufhebung der Sanktionen verschlimmern wird und Armut und Arbeitslosigkeit zunehmen werden. Sie wünschen ein Ende der Sanktionen durch einen Kompromiss bei den Atomverhandlungen. Daher ist auch das Schicksal der Regierung Rohani an die Verhandlungen im Atomstreit geknüpft.
Das "symbolische Kapital" der Reformer
Und die "Grüne Bewegung"? Sie verwandelte sich zum "symbolischen Kapital" der religiösen Reformer, um mit Rohani zu verhandeln. Und sie wurde zu einem Mittel, um die eigene Macht festigen.
Ihre zwei inhaftierten Anführer, Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi, stellen die letzten Symbolfiguren der "Grünen Bewegung" dar. Forderungen nach ihrer Freilassung tauchen bisweilen auf, wenn auch nur am Rande. Die Aufhebung des Hausarrests könnte im Vorfeld der Parlamentswahlen die Beliebtheit Rohanis und seiner Unterstützer erhöhen. Mussawis und Karrubis mögliche politische Aktivität wäre jedoch weder für Rohani und seine Unterstützer noch für die beiden selbst von Vorteil. Sollten sie im Falle einer Aufhebung des Hausarrests das politische Programm Rohanis unterstützen, verlören sie ihre Stellung als Oppositionsführer. Eine Ablehnung Rohanis würde sie endgültig aus dem Machtapparat ausschließen und weiter von ihren Hauptunterstützern, die heute in der Regierung Rohanis sind, distanzieren.
Die frühere Präsidentschaft von Hashemi Rafsandschani ging Ende der 1990er Jahre mit massiven Aufständen in den größeren Städten zu Ende. Armut, Arbeitslosigkeit und die Unzufriedenheit der einkommensschwachen Schichten waren damals die Hauptgründe für die Unruhen. Rohani führt diese Wirtschaftspolitik Rafsandschanis fort.
Eine Gesellschaft im Schwebezustand
Wenn es ihm nicht gelingt die Wirtschaftskrise zu beenden, droht ihm, dass sich die Unzufriedenheit der Menschen erneut entlädt. Der Minister für Nachrichtenwesen und Staatssicherheit in der Regierung Rohanis warnte vor kurzem vor der "Gefahr der Linken in der Gesellschaft". Weitere Minister im Kabinett Rohanis griffen diese Aussage auf. Die Warnungen beziehen sich auf geheime Regierungsberichte, die eine wachsende Unzufriedenheit der armen und einkommensschwachen Schichten konstatieren.
Die "Grüne Bewegung" gehört mit ihrer Forderung nach Annullierung der Präsidentschaftswahl von 2009 zwar der Vergangenheit an, aber Teile der Bevölkerung, die diese Bewegung einst formten und politische Forderungen stellten, könnten heute wieder in Erscheinung treten. Auch in den Köpfen der inhaftierten Anführer ist die Bewegung noch immer präsent.
Bis das Ergebnis der Atomverhandlungen definitiv feststeht, befindet sich die iranische Gesellschaft quasi in einem Schwebezustand. Wenn die wirtschaftliche und politische Unzufriedenheit nochmals in einer Protestbewegung kanalisiert werden kann, wird die Gesellschaft die "Grüne Bewegung" aus der Vergangenheit in die Gegenwart holen und neu besetzen. Eine Neuauflage der Bewegung würde dann auch ihre Vergangenheit neu definieren.
Faraj Sarkohi
© Qantara.de 2014
Übersetzt aus dem Persischen von Sabine Kalinock
Faraj Sarkohi begründete 1985 das Kulturmagazin "Adineh" (Freitag), deren Chefredakteur er für elf Jahre war. Als einer der Wortführer der Schriftsteller-Initiative ("Text der 134") gegen Zensur wurde er 1996 verhaftet. Ein Jahr darauf wurde er in einem geheimen Verfahren zum Tode verurteilt. Durch internationale Proteste konnte das Urteil jedoch revidiert werden. Zwei Jahre darauf reiste er nach Frankfurt a. Main aus, wo er heute lebt. Sarkohi erhielt 1998 den Kurt-Tucholsky-Preis für politisch verfolgte Schriftsteller und ist Ehrenmitglied des PEN-Zentrums Deutschland.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de