Stimme der Freiheit

Still aus dem Film "The Voice of Dust and Ash" mit Mohammad Reza Shajarian, Stimme des iranischen Volkes.
Still aus dem Film "The Voice of Dust and Ash" mit Mohammad Reza Shajarian, Stimme des iranischen Volkes.

Der Film "The Voice of Dust and Ash“ erzählt vom Leben des 2020 verstorbenen iranischen Sängers und Musikers Mohammad-Resa Schadscharian, der mutig und unbeugsam bis heute für eine ganze Nation steht. Von Richard Marcus

Von Richard Marcus

Das Leben des 2020 verstorbenen Musikers Mohammad-Resa Schadscharian ist mit der Geschichte des Iran untrennbar verbunden – vom Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Der Film The Voice of Dust and Ash erzählt Schadscharians Lebensweg und seinen Werdegang zur Identifikationsfigur der iranischen Kultur und der Menschen des Landes im Kampf um künstlerische und persönliche Freiheiten

Die iranisch-amerikanische Filmemacherin und Regisseurin Mandana Biscotti folgt mit dem Portrait Schadscharians auch der Geschichte des Iran seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Nachdem die Geheimdienste der USA und Großbritanniens die demokratisch gewählte Nachkriegsregierung des Iran in einer gemeinsamen Geheimoperation gestürzt hatten, um eine Verstaatlichung der iranischen Öl- und Gasindustrie abzuwenden, übernahm Schah Mohammad Reza Pahlavi die Führung des Landes. 

Schadscharian war ursprünglich nicht politisch engagiert. In der Kunst der Koranrezitation ausgebildet, machte er sich zunächst auf öffentlichen Veranstaltungen und während der Gebete einen Namen. Sein strengreligiöser Vater war entschieden gegen eine Karriere seines Sohnes als Musiker. 

Als Kind Koranrezitator 

Biscotti zeigt uns Schadscharian als Kind, das als Koranrezitator mit Auftritten vor großen Menschenmengen vertraut war. Dazu zählten auch politische Versammlungen in einer Zeit, als die Regierung die Verstaatlichung der Öl- und Gasindustrie vorantrieb. Als Junge von gerade einmal zehn oder elf Jahren eröffnete Schadscharian diese Versammlungen mit Koranrezitationen. Anschließend kamen die politischen Redner zu Wort. 

Sein Vater, der ihn in der Koranrezitation ausgebildet hatte, lehnte Musik strikt ab. Die Liebe dazu hatte der junge Schadscharian von seiner Mutter geerbt. Sie stammte selbst aus einer musikalischen Familie und glaubte fest an den Segen der Musik für die Gesellschaft und die Seelen der Menschen.

Filmposter von "The Voice of Dust and Ash" (Quelle: Matilda Film Productions)
Das Regiedebüt der iranisch-amerikanischen Filmemacherin Mandana Biscotti ist eine Suche nach den Spuren von Schadscharians Musik, Texten und Liedern an den historischen Wendepunkten seines Heimatlandes. 



Gegen den Willen seines Vaters widmete sich Schadscharian dem klassischen Gesang – zunächst heimlich in Begleitung von Familienmitgliedern, dann öffentlich.  

Zur Zeit seiner ersten öffentlichen Auftritte gewann westliche Musik im Iran an Einfluss, sowohl klassische als auch populäre Musik. 

Farah Pahlavi – die Frau des Schah – lud zu großen Kulturveranstaltungen mit Musikern aus aller Welt ein, ließ jedoch die traditionelle iranische Musik weitgehend außer acht. 

Als ebenso mitreißendem wie dynamischem Künstler gelang es Schadscharian dennoch, zusammen mit seinen Mitmusikern die iranische Musik im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bewahren. 

Doch schon bald gerieten Schadscharian und andere Musiker ins Visier des repressiven Schah-Regimes.  Die Behörden verbannten schließlich seine Musik aus dem Programm des staatlichen Rundfunks. 

Mit der Islamischen Revolution und der Errichtung der Islamischen Republik Iran verschlechterte sich die Lebenssituation von Schadscharian ebenso wie die vieler anderer Iraner. 

Der Film The Voice of Dust and Ash  zeigt, wie Schadscharian die Regierung erfolgreich dazu bewegte, wieder öffentliche Musikaufführungen zu gestatten, nachdem diese zunächst verboten worden waren. 

 

 

Facettenreich zeigt der Film, wie sich der Musiker gegen die Erlasse der Regierung wehrt und Verbote abwenden konnte. Doch letztlich brachte ihn die Liebe zu seiner Kunst wieder in Konflikt mit den Ayatollahs.  

Der "Morgenvogel“: die Nationalhymne des Volkes

Bei Tourneen außerhalb des Landes trat Schadscharian auch in Begleitung von Musikerinnen auf und trat in seinen Liedern für die Freiheit ein. Seine Konzerte beendete er stets mit seinem bekanntesten Lied "Morghe Sahar“ ("Der Morgenvogel“). Es handelt von einer Nachtigall im Käfig, die aufgefordert wird, auszubrechen und die Melodie von der Freiheit zu singen. Heute ist dieses Lied die inoffizielle Nationalhymne des iranischen Volkes. 

Die Botschaft des Liedes und Schadscharians Unbeugsamkeit, wie beispielsweise seine Weigerung, vor den Konzerten im Iran die neue Nationalhymne der Islamischen Republik zu spielen, ließen ihn bei den Herrschenden in Ungnade fallen. Von Verhaftungen blieb er dennoch verschont. Das Regime schreckte vor seinem hohen Bekanntheitsgrad und der großen Verehrung im Volk zurück. 

Nach den Wahlen von 2009, bei denen die Hoffnungen auf dem gemäßigten Reformer Mussawi als Präsidentschaftskandidaten lagen, kam es nach dessen Niederlage zu massiven öffentlichen Protesten. Viele Menschen sahen darin einen Wahlbetrug und gingen auf die Straße, was als "Grüne Bewegung“ bekannt wurde (Grün ist die Farbe der Reformer).

Der als Wahlsieger bestätigte bisherige Amtsinhaber Mahmud Ahmadineschād ließ die Proteste brutal niederschlagen und bezeichnete die Demonstranten als "Staub und Abfall“, der weggefegt werden solle. In dieser Situation ergriff Schadscharian das Wort und bezeichnete sich selbst als die "Stimme von Staub und Abfall“ 

Die Herrschenden konnten oder wollten ihn zwar nicht verhaften, aber sie untersagten es, seine Musik öffentlich zu spielen. Seine Musik wurde aus dem staatlichen Rundfunk verbannt. Schadscharian selbst durfte nicht mehr auftreten. 

Gelebter Protest  

The Voice of Dust and Ash ist ein außergewöhnlicher Film über einen außergewöhnlichen Menschen. Schadscharian widmete sich konsequent der Kunst, trotz der Ignoranz der Herrschenden und der Unterdrückung durch zwei aufeinanderfolgende Regime. Er verlor nie seinen Mut und den Willen zur Kreativität und Wahrheit. Für die Iraner im eigenen Land und im Exil war er eine Naturgewalt und ein Symbol der Freiheit. 

Biscotti ist es auf bemerkenswerte Weise gelungen, Archivmaterial über Schadscharian und die iranische Geschichte zu einem bewegenden und informativen Film zu verbinden. Insbesondere die Interviews verdeutlichen und erklären die herausragende Stellung Schadscharians für den Iran in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht.  

Die Interviews mit dem Meister selbst, in denen er seine Geschichte erzählt und von seinen Erlebnissen berichtet, bilden das Herzstück des Films. Wir machen Bekanntschaft mit einem bescheidenen, zurückhaltenden Mann, der in seinem Garten arbeitet und in seiner Werkstatt Musikinstrumente herstellt. Kaum vorstellbar, dass dieser Mann eine Bedrohung für die Herrschenden sein sollte. Doch sobald er mit tiefer Überzeugung über seine Musik und die Freiheit spricht, wird klar, warum die Regierung ihn fürchtete. 

Nach seinem Krebstod im Jahr 2020 ist eine unbeugsame Stimme für Freiheit und Mitgefühl verstummt. Aber wenn wir die Nachrichten verfolgen und die mutigen Menschen sehen, die auf den Straßen des Iran heute erneut ihr Leben riskieren, meinen wir zu hören, wie Schadscharian für sie singt. 

Richard Marcus 

© Qantara.de 2022

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers