Eine Moschee für Athen
Heiligenbilder und ein Holzkreuz sind an einem verriegelten Tor aus Wellblech und Gitter angebracht, darüber Nato-Stacheldraht. "Griechenland ist ein Land der Heiligen, Märtyrer und Helden", steht auf einem angeklebten Flyer. Hinter dem Tor in einem staubigen Industriegebiet von Athen wird gebaut und das ärgert so manchen. Denn bald soll dort die erste offizielle Moschee der griechischen Hauptstadt eröffnen. "Oxi Temenos", steht an den Wänden in der Umgebung, "Nein zur Moschee".
Athen ist eine der wenigen Hauptstädte Europas – wenn nicht sogar die einzige – die keine große Moschee hat, die von Gläubigen genutzt werden kann. Muslime beten in Dutzenden privaten Räumen in Kellern und Hinterhöfen. Dabei hat die Regierung schon vor fast 40 Jahren versprochen, ihnen eine Moschee hinzustellen – den Bau aber wegen lauten Widerspruchs immer wieder verzögert. Im Mai soll die Moschee nun fertig werden, berichten griechische Medien. Einen offiziellen Eröffnungstermin gab es bislang nicht. Der langjährige Streit macht das bis heute schwierige Verhältnis des christlich-orthodoxen Landes, welches mehrere Jahrhunderte von den Osmanen beherrscht wurde, zum Islam offenkundig.
Naim Elghandour ist 62, Muslim und eine Art Lobbyist, der dafür kämpft, dass der Islam künftig auch zu Griechenland gehört. Die neue Moschee ist sein Etappenziel. "Unser größtes Problem ist", sagt er, "dass Kirche und Regierung sich nicht eingestehen, dass mitten unter ihnen griechische Muslime leben." Naim ist Vorsitzender der "Muslimischen Vereinigung Griechenlands". Er stammt aus Ägypten, kam mit 19 ins Land und schlug sich als Tagelöhner durch. Heute ist er griechischer Staatsbürger und mit Anna Stamou verheiratet, einer Griechin, die nach der Hochzeit den islamischen Glauben annahm. Sie haben zwei gemeinsame Kinder.
Beten im Keller
Naim und Anna gehen zum Beten in die "Salam-Moschee", ein Raum im Keller eines Hauses, zu dem man durch eine Garage gelangt. Heizungsschächte ziehen sich an der Decke entlang und Neonröhren sorgen für Licht. Ein großer Teppich überzieht den Boden und an der Wand hängen Plakate mit Zeichnungen, die abbilden, wie man sich wäscht und wie man betet. Jemand hat die Gesichter der Figuren fein säuberlich herausgetrennt. Anna weiß, wie trostlos dieser Gebetsraum wirkt. "Meine Kinder fragen mich: Warum beten die anderen in schönen Kirchen und wir im Keller?", fragt sie.
Dabei stehen in Athen prächtige osmanische Moscheen, doch die wurden nach dem griechischen Befreiungskrieg gegen die Türken im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts umfunktioniert. Die pittoreske Tzistarakis-Moschee in Monastiraki etwa ist heute Teil des Museums für griechische Volkskunst. Nur kurzzeitig wurde sie Ende der 1960er Jahre zum Beten freigegeben: Für den ehemaligen saudischen König Saud, der nach einem verlorenen Machtkampf gegen seinen Bruder im griechischen Exil lebte.
Saudi-Arabien brachte zehn Jahre später auch den Bau einer neuen, großen Moschee auf den Tisch: 1978 sicherte Ministerpräsident Konstantinos Karamanlis dem König des streng-islamischen Landes zu, eine solche in Athen bauen zu dürfen. Doch das Versprechen blieb folgenlos. Vor den Olympischen Spielen 2004 kam die Debatte erneut auf – wieder ohne Folgen. 2006 schaltete sich der Kommissar des Europarats für Menschenrechte ein und schimpfte, die Religionsfreiheit von Muslimen müsse auch von den Griechen respektiert werden.
Die Regierung verabschiedete schließlich ein Gesetz, veranschlagte 15 Millionen Euro – dann passierte wieder zehn Jahre lang nichts. Vor etwa einem Jahr leitete die Syriza-Regierung den Moscheebau in die Wege. Inzwischen waren Zehntausende Muslime als Flüchtlinge neu ins Elf-Millionen-Einwohner-Land gekommen. Schätzungsweise leben in Athen heute mehr als 200.000 Menschen islamischen Glaubens.
Von dem einstigen Plan eines großen Moscheeneubaus inmitten einer weiträumigen Grünanlage ist aber nicht mehr viel übrig. Von den einst veranschlagten 15 Millionen Euro sind 14 Millionen "verpufft", wie Naim Elghandour es nennt. Für knapp 900.000 Euro wird nun eine ehemalige Garage der Marine renoviert, ein Minarett ist nicht vorgesehen. Die neue Moschee, in der bei einer Größe von 850 Quadratmetern rund 350 Gläubige Platz haben sollen, wird an einer vielbefahrenen Straße im Stadtteil Votanikos stehen.
Panik vor "Enthellenisierung" Griechenlands
Widerstand gibt es selbst dagegen. Hieronymos II., Erzbischof von Athen und Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Griechenland, der eine "Enthellenisierung" und "Entchristianisierung" seines Landes befürchtet, sprach sich vor einigen Monaten dafür aus, den Moscheebau aufzuschieben, bis klar sei, ob die muslimischen Flüchtlinge überhaupt langfristig bleiben würden. Eine Bürgerwehr mit dem Namen "Griechische Vereinigung der Infanterie-Reservisten" hielt das Gelände zeitweise besetzt. Ihr Führer, der selbsternannte "General" Yannis Ioannidis, bezeichnete die Athener Muslime pauschal als "Illegale" und erläuterte in einem Interview, dass die einzig wahren griechischen Muslime im Norden ansässig sind.
Der "General" meinte die Region Thrakien, 800 Kilometer nördlich von Athen. Dort leben jene Muslime, die nach dem griechisch-türkischen Krieg, nicht zwangsumgesiedelt wurden. Wie im Frieden von Lausanne 1923 festgelegt, mussten damals etwa 1,5 Millionen Christen aus Kleinasien nach Griechenland übersiedeln. Rund 500.000 griechische Muslime zogen wiederum in die Türkei. In beiden Ländern blieb eine Minderheit zurück – als eine Art Faustpfand, damit niemand in Athen oder Ankara auf dumme Ideen käme.
In Istanbul blieb das griechisch-orthodoxe Patriarchat und in Griechenland eben die mehr als 100.000 Muslime von Thrakien. Bis heute verfügen sie über 300 Moscheen, 240 Imame, haben Muftis und islamische Friedhöfe – eine Infrastruktur von der Athener Muslime nur träumen können. Die meisten Muslime in der Hauptstadt sind indes Zugewanderte aus Pakistan, Bangladesch, Afghanistan, dem Irak, aus Syrien und Ägypten oder Palästinenser.
Wenn die neue Moschee in Athen erstmal steht, will Naim Elghandour sein nächstes Ziel ins Auge fassen: ein islamischer Friedhof in der Hauptstadt. Bislang werden Muslime nach ihrem Tod entweder in die Heimatländer überführt oder in einem der islamischen Friedhöfe im Norden begraben. "Ich sage meinen Leuten immer: Wenn ich sterbe, stellt meinen Sarg auf den Syntagma-Platz vor dem Parlament ab und geht", so Naim. "Dann schauen wir mal, wo sie mich begraben."
Mey Dudin
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