Die grüne Welle
Verschiedene Teesorten aus ökologischem Anbau, liebevoll zubereitete vegetarische Gerichte sowie Teller und Kaffeetassen aus Porzellan stehen auf einem Büffet, angerichtet für die Mittagspause. Auf den Tischen im Sitzungsraum nebenan sind Probefläschchen hochwertiger Arganöl-Produkte verteilt – fair gehandelt und "halal".
An diesem Samstagnachmittag sind rund 20 junge Muslime in Dortmund zusammengekommen, um etwas Neues zu Schaffen: ein Konzept für eine "Faire Moschee", das der Moscheeverein Wali e.V. exemplarisch umsetzen wird. Pioniergeist liegt in der Luft. Zustande gekommen ist der heutige Workshop als Ergebnis einer Tagung zum gerechten Handel im letzten Jahr.
"Das Treffen in Solingen hat gezeigt, dass sich vor allem viele junge Leute engagieren wollen, denen das Thema Umweltschutz und Islam unter den Nägeln brennt und die eigentlich nur darauf gewartet haben, auch aktiv zu werden", sagt Projektleiterin Hafssa El Hasbouni vom Forum für soziale Innovation (FSI). Es sind junge Muslime und Muslima, die mit der Debatte um Umweltzerstörung und Klimawandel aufgewachsen sind und nun eine islamische Perspektive dazu entwickeln: Die Wertschätzung der Schöpfung Gottes, die eine im Islam verankerte nachhaltige Lebensweise bedeutet.
Veränderung sozialer Strukturen
Ziel der Auftaktveranstaltung zum Pilotprojekt sind grundsätzliche Überlegungen, wie eine "Faire Moschee" künftig aussehen könnte. "Das erarbeitete Konzept, das im Anschluss an der Wali-Moschee erprobt wird, soll als Modell für andere Moscheen fungieren", sagt die 24-Jährige. Angedacht sei durchaus auch die Schaffung eines Labels "Faire Moschee". "Aber das ist noch Zukunftsmusik und hängt von vielen Faktoren ab."
Was also stellen sich junge Menschen unter einer fairen Moschee vor? Sind es Solarminarette, die Orientierung am "Green Hajj Guide" oder schlicht die Reduzierung von Fleischkonsum? Weit gefehlt. Was der Generation junger Muslime offenbar am meisten am Herzen liegt, betrifft die soziale Dimension in den Moscheegemeinden.
"Ich würde grundsätzlich zwischen 'Hardware' und 'Software' unterscheiden", sagt Hafssa El Hasbouni. Mit Hardware sei etwa die Verwendung von umweltfreundlichem Papier oder der Einkauf fair gehandelter Waren gemeint – ein insgesamt verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen.
"Was aber sehr viele Leute angeregt haben, und das ist für mich die Software-Dimension, war ein fairer Umgang miteinander, insbesondere auch mit den Frauen."
Wünschenswert seien Moscheen, in denen Frauen nicht benachteiligt und in denen sie mit und ohne Kopftuch akzeptiert würden. In der Dortmunder "Wali e.V. Moscheegemeinde" etwa wird das gemeinsame Gebet von Männern und Frauen bereits praktiziert – eine Ausnahme. Dies anderen Moscheen als Möglichkeit anzubieten, wird allerdings auf zahlreiche Widerstände stoßen.
Angebote statt Diktate
Faire Gehälter, finanzielle Transparenz, flache Hierarchien in den Vereinsstrukturen sowie eine große Rotation deutschsprachiger Freitagsprediger, seien maßgebliche Aspekte, die künftig zu einer "Fairen Moschee" gehören könnten.
Sich als Gemeinde gegenüber Nicht-Muslimen abzuschotten, sei ein absolutes "No-go". Stattdessen sind Offenheit und Toleranz gefragt. Letztere könnte sich auch darin wiederspiegeln, dass man schwule und lesbische Muslime innerhalb von Moscheegemeinden nicht ausschließt.
"Wichtig ist uns, dass mit dem Label eine gewisse Haltung einhergeht: das heißt, dass wir nicht mit einem belehrenden Zeigefinger durch die Welt schreiten und anderen sagen, welche Prinzipien 'fair' sind. Wir wünschen uns vielmehr eine wohlwollende Haltung, eine Einladung an die Moscheegemeinden, hier mitzumachen."
Die Basis für eine "Faire Moschee" sehen die muslimischen Öko-Aktivisten in der sozialen Dimension. Darauf aufbauend sollen konkrete Maßnahmen in Sachen Umwelt- und Tierschutz entwickelt werden. "Der interreligiöse Austausch mit unseren Partnern der evangelischen und katholischen Kirche hat uns auf das Thema 'Gerechter Handel' aufmerksam gemacht", sagt Mohammed Johari von der Frankfurter I.I.S.-Moschee.
Das habe dazu geführt, im Koran und in der Sunna nach Quellen zu suchen, aus denen ein Engagement der Gläubigen für fairen Handel und Umweltschutz abzuleiten sei. "Seit 2011 haben wir in unserer Moschee ein Sortiment fair gehandelter Produkte im Angebot. Unsere Waren beziehen wir aus aller Welt und arbeiten dabei sogar kostendeckend", sagt Johari.
Die positiven Erfahrungen mit dem "Eine-Welt-Laden" in Frankfurt sollen in das Konzept "Faire Moschee" einfließen. Das Thema Umweltschutz aus islamischer Perspektive habe zudem einen nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt: "Der Islam wird oft mit negativen Ereignissen in Verbindung gebracht. Unser Engagement für den Umweltschutz ist eine große Chance, dieses negative Image zu korrigieren“. Die Berichterstattung zum "Eine-Welt-Laden" habe das gezeigt.
Marokkanische Berberfrauen gerecht entlohnt
Geradezu prädestiniert für die Umsetzung des Projekts ist die Moscheegemeinde Wali e.V. Seit fünf Jahren schon engagiert sich deren Vorsitzender Abdelhay Fadil für den fairen Handel. "Wir haben in Marokko eine Frauenkooperative mit 63 Bäuerinnen gegründet, um hochwertiges Arganöl zu produzieren. Die Berberfrauen erhalten dafür ein faires und gesichertes Einkommen", sagt der Imam.
Im Vordergrund steht die entwicklungspolitische Arbeit. "Die Bäuerinnen konnten vom Verkauf der Arganmandel nicht leben. Jetzt stellen sie das Öl in schonender Handpressung selbst her und werden für das Endprodukt gerechtentlohnt."
2008 hat Abdelhay Fadil die Firma "Arganpur" gegründet, die die Naturkosmetikprodukte vermarktet. Die Herstellung der Kosmetika übernehmen der Biochemiker und sein Team selbst. Inzwischen wurde eine weitere Kooperative zur Produktion von Rosenwasser und -öl gegründet – eine Erfolgsgeschichte, die ebenfalls in das Konzept "Faire Moschee" einfließen soll.
Muslime für den Umweltschutz sensibilisieren
Dass der Respekt vor der Schöpfung tief im Islam verankert ist und dies eine ökologische Lebensweise nach sich zieht – davon ist eine Gruppe junger Muslime überzeugt, die sich 2011 in dem Verein namens "Hima e.V." zusammengeschlossen hat.
"Hima", ein Begriff aus der islamischen Lehre, der mit "Naturschutzgebiet" übersetzt werden kann, versteht sich als Partizipationsforum für Muslime, die an Umwelthemen interessiert sind. "Unser Hauptauftrag ist die Sensibilisierung. Das heißt, dass wir zunächst einmal über Bildungsarbeit und über einfachere, konkrete Projekte Muslime für das Thema Umweltschutz öffnen wollen", sagt Kübra Ercan.
Die Erfahrungen von "Hima" sollen ebenfalls in das Konzept "Faire Moschee" einfließen. Eine der ersten bundesweiten Aktivitäten des Forums waren sogenannte "Fair Trade Brunchs". "Hier haben wir die Möglichkeit genutzt, über den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen aus islamischer Perspektive zudiskutieren."
Inzwischen ist "Hima" am europaweiten "Green Up My Community"-Projekt beteiligt: Bis Ende 2014 sollen im Rahmen der Kampagne zwanzig umweltfreundliche Moscheen in Europa vorgestellt werden. "Die Engländer haben zum Teil sehr schöne Gartenprojekte. In Deutschland gibt es Ansätze, Moscheen mit Solarenergie auszustatten oder windradbetriebene Minarette einzusetzen", sagt Kübra Ercan.
"Hima" habe hierbei vor allem eine Beraterfunktion. "Da wir sehr stark mit nichtmuslimischen Umweltorganisationen vernetzt sind, können wir aus einem reichhaltigen Erfahrungsschatz schöpfen."
Entstanden ist die islamische Umweltbewegung in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts als Reaktion auf die Thesen des Historikers Lynn White Junior. Der Wissenschaftler war davon überzeugt, dass die ökologische Krise durch die monotheistischen Religionen mit verursacht wurde.
Durch die daraus resultierende kontroverse Debatte inspiriert, beschäftigten sich islamische Gelehrte in westlichen Ländern mit dem Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Muslimische Öko-Aktivisten handeln aus religiösen Motiven. Sie plädieren für einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen Wasser und Boden und setzen sich allgemein für Genügsamkeit und Enthaltung ein. Noch handelt es sich um eine Nischenbewegung – aber das könnte sich bald ändern.
Ulrike Hummel
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de