Roadmovie gegen das Patriarchat
Es wird viel Auto gefahren in "Three Faces" (Originaltitel: "Se Rokh"). Man kennt das schon aus dem Film "Taxi Teheran", der Jafar Panahi 2015 den Goldenen Bären bei der Berlinale bescherte. Auch diesmal sitzt der Regisseur am Steuer - an seiner Seite die bekannte Schauspielerin Behnaz Jafari, die auch im wirklichen Leben so heißt. Die beiden folgen einem Hilferuf aus der iranischen Provinz: Ein junges Mädchen, Marziyeh Rezaei, hatte Jafari zuvor in einer Videonachricht ihr Leid geklagt, dass sie eigentlich am Konservatorium Schauspielkunst studieren wolle und sogar eine Zusage erhalten habe. Doch ihre Eltern seien dagegen, man wolle sie lieber verheiraten - wie es sich nach alter Tradition für eine Frau ziemt.
Marziyeh ist verzweifelt, denn die Schauspielerin hat bisher nicht auf ihre Nachrichten geantwortet. Dabei hoffte das Mädchen auf ihre Hilfe, denn immerhin hat es Behnaz Jafari trotz aller patriarchalischen Strukturen doch auch geschafft, im Filmgeschäft Fuß zu fassen. In Teheran nämlich genießen Frauen zumindest einige Freiheiten, ganz anders als auf dem Land. In der letzten Einstellung ihrer Videobotschaft legt Marziyeh sich ein Seil um den Hals und springt ins Ungewisse.
Ein Denkmal für die weibliche Schauspielkunst
Jetzt sind Behnaz Jafari und Jafar Panahi auf dem Weg in ein Dorf im Grenzland zu Aserbaidschan, um herauszufinden, ob das junge Mädchen sich wirklich selbst umgebracht hat. Hat sie nicht, wie sich später herausstellt, aber mit ihrem verstörenden Video hat sie es geschafft, Behnaz Jafari ins Dorf zu locken.
Dort taucht das dritte Gesicht auf, das diesen Film entscheidend prägt: Es ist das von Shahrzad, von Panahi dramaturgisch geschickt immer nur als Silhouette in Szene gesetzt. Vor der Revolution war sie eine berühmte Schauspielerin, die man bis heute im Iran kennt. Ende der 1970er Jahre hat man ihr ein Berufsverbot auferlegt; nun lebt die einst gefeierte Diva fernab der Stätten ihres einstigen Ruhms, einsam und geächtet.
Panahi, das wird schnell klar, widmet seinen Film all den Frauen, die sich der Schauspielkunst verschrieben haben. Im Iran werden sie verachtet, geschmäht und abschätzig als gefallene Frauen behandelt. Doch in "Three Faces" rebellieren gleich drei weibliche Generationen - genau wie Panahi selbst, der immerhin schon seinen vierten Film vorlegt, seit er vor acht Jahren Berufsverbot erhielt.
Minimalistischer Dreh
Und so musste der Regisseur, wie schon so oft zuvor, auch bei "Three Faces" mit minimalistischen Hilfsmitteln auskommen. Nur einen Assistenten und eine, wenn auch hochsensible und flexible Kamera, hatte er bei den Dreharbeiten dabei.
Für komplizierte Einstellungen reicht das nicht, auch nicht für aufwändige Gegenschnitte. Panahi fängt daher vor allem seine Protagonistinnen für die Leinwand ein. Er selbst bleibt während der Erzählung meist im Hintergrund. Gedreht hat er in drei Dörfern im Nordiran, wo einst seine Eltern und Großeltern lebten und wo nie jemand das Regime in Teheran über Panahis Missachtung seines Berufsverbots informieren würde.
Bei aller mehr oder minder versteckten Kritik an den politischen Verhältnissen in seiner Heimat und den tradierten Einstellungen der Dorfbewohner zeichnet Panahi doch auch ein buntes und humorvolles Potpourri der Provinz voller aberwitziger Situationen und Bräuche. So überreicht man ihm die in Salz eingelegte Vorhaut eines kleinen Jungen, die er in Teheran an einem kraftvollen Ort vergraben soll, damit aus dem Kind später mal was wird.
Und dann gibt es da eine Straße, die sich um einen Berg schlängelt, aber nur von einem Auto befahrbar ist. Wer zuerst vorbei darf, wird mittels eines komplizierten Hup-Rituals entschieden. Als Marziyeh, die anfangs ihren Selbstmord vortäuschte, mit Pickel und Schaufel loszieht, um die Straße zu verbreitern, schreitet die Dorfgemeinschaft ein. Das sei keine Arbeit für ein Mädchen. Schließlich legt ein Zuchtbulle den Verkehr lahm, der sich auf dem Weg breitmacht.
Reiseverbot für Panahi
Man mag das als Anspielung aufs Regime verstehen oder nicht, Panahi jedenfalls verzauberte das Publikum in Cannes mit solchen Geschichten. Der iranische Regisseur wäre wohl gern zur Weltpremiere nach Cannes gekommen, doch die iranische Regierung hat ihn nicht nur mit einem Berufs-, sondern auch mit einem Reiseverbot belegt.
Da half auch die Intervention der Franzosen nicht. So blieb sein Platz bei der Weltpremiere im Kinosaal leer, frenetischer Applaus war ihm trotzdem oder gerade deswegen gewiss. Denn wieder hat er es geschafft, heimlich einen Film zu drehen und außer Landes zu schmuggeln.
Und in Zeiten von #MeToo hat Panahi zudem ein feministisches Manifest vorgelegt, das auf leisen Sohlen daherkommt. Denn er klagt nicht an, sondern zeigt sich solidarisch mit den Frauen, ohne die Männer zu verdammen.
Erstmals stehen übrigens auch mehrere Namen im Abspann des Films. In anderen Ländern ist das üblich, im Iran ist das eine mutige Geste. Denn man bekennt sich zur Zusammenarbeit mit einem Regisseur, der schon lange in Ungnade gefallen ist. Es ist ein Protest, der Hoffnung auf bessere Zeiten macht.
Suzanne Cords
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