Der lange Atem der Huthis

Nachdem die Huthis im Dezember 2017 ihren ehemaligen Verbündeten, Ali Abdullah Salih, ermordeten, stellt sich die Frage, ob dieser jüngste Gewaltakt die politischen und militärischen Bündnisse in dem vom Krieg zerrütteten Land verändern wird. Von Stasa Salacanin

Von Stasa Salacanin

Im vergangenen Dezember töteten Huthi-Kämpfer den ehemaligen Präsidenten des Jemen, nachdem dieser versucht hatte, das Bündnis mit den Huthis zu beenden. Salih galt als Prototyp eines machiavellistischen Politikers mit der außerordentlichen Fähigkeit, beliebige Allianzen zu schmieden. So fädelte er auch das Abkommen mit den Saudis offenbar in der Hoffnung ein, er oder sein Sohn Ahmed Ali könnten an die Macht zurückkehren.

Saleh war 33 Jahre lang Präsident des Jemen, bis ihn der Volksaufstand im Jahr 2012 zum Rücktritt zwang. Ihm folgte sein bisheriger Stellvertreter Abd-Rabbu Mansour Hadi auf den Präsidentenstuhl.

Vor Salihs Ermordung kämpften die Huthis mit ihm gemeinsam gegen die von den Saudis angeführte Koalition, die wiederum die international anerkannte Regierung Hadis unterstützte. Trotz einer langen und konfliktreichen Vorgeschichte schlossen sich Salih und die Huthis im Jahr 2014 im gemeinsamen Kampf gegen Präsident Hadi zusammen.

Mithilfe von Salih und seinen Anhängern übernahmen Huthi-Rebellen, die sich wiederum aus der Minderheit der zaiditischen Schiiten rekrutieren, die Kontrolle über Sanaa und zwangen Präsident Hadi ins Exil.

Im Dezember letzten Jahres berichtete allerdings die Nachrichtenagentur Reuters, Salih sei bereit, ein neues Kapitel in den Beziehungen mit der von den Saudis angeführten Koalition aufzuschlagen, sofern diese ihre Angriffe auf den Jemen einstellten. Die Huthis sahen in diesem Angebot einen offenen Verrat und räumten daraufhin Salih aus dem Weg.

Salihs Tod hat die ohnehin komplexe Situation im Jemen weiter verkompliziert. Werden die Allianzen halten oder sind die Huthis diesmal zu weit gegangen?

Die Huthis werden stärker

Nach der Ermordung Salihs nahmen die Huthis zur Absicherung ihrer Macht in Sanaa Anhänger von Salih ins Visier. Diese wurden entweder getötet oder verhaftet, was ins Bild ihrer zunehmend auf Gewalt und Einschüchterung beruhenden Politik passt. Beobachter fragen sich allerdings, ob eine derart rabiate Vorgehensweise die ohnehin schon fragilen Allianzen zwischen den Huthis und anderen Stammes- und Militäreliten gefährden wird.

Karte zeigt gegenwärtige Machtzentren der Huthi-Milizen im Jemen; Quelle: polgeonow.com
Überraschende Kontinuität: Die Huthi-Rebellen kontrollierten seit 2015 große Teile des Nordjemens und zwangen Abd-Rabbu Mansour Hadi gemeinsam mit den Anhängern Salihs zur Flucht ins Exil. Nach der Ermordung Salihs konnte die Huthi-Miliz ihren Machtbereich ausweiten, auch wenn sie derzeit an drei Fronten kämpft und sich aus einigen strategischen Orten, wie aus Al-Hudaida, zurückzieht.

Adam Baron, Visiting Fellow am European Council on Foreign Relations, konstatiert eine zumindest oberflächlich gesehen überraschende Kontinuität. Klar ist wohl auch, dass die Huthis nicht einmal annähernd besiegt oder geschwächt sind. "Wenn überhaupt, dann sind sie stärker geworden, haben ihre Macht gefestigt und den Großteil der militärischen Einrichtungen und Waffen des Salih-Netzwerks in Besitz genommen. Entgegen allen Vorhersagen sind die Huthis alles andere als am Ende", so Baron.

Beth Grill, Senior Policy Analyst bei der RAND Corporation, sieht in Salihs Tod weder einen entscheidenden Wendepunkt des Krieges noch einen Vorteil der einen Seite gegenüber der anderen. Vielmehr könnte es sich schlicht um eine weitere Phase des Konflikts und des Niedergangs des Landes handeln, was zu einer Neuausrichtung der Interessen im unübersichtlichen Konfliktgemenge führt und die Unruhen wohl leider verlängern wird.

Da es keine ernstzunehmende Opposition mehr gibt und die verbliebenen Anhänger Salihs sich verstecken oder im Exil leben (einschließlich seines Sohnes Ahmed Ali Abdullah), scheint derzeit niemand die Huthis in Sanaa und im Nordwesten ernsthaft herausfordern zu können. Sollte es den Huthis gelingen, zumindest einige ihrer Allianzen aufrechtzuerhalten, wird es kaum möglich sein, sie aus Sanaa zu vertreiben.

Yemenis wait next to empty petrol canisters for supplies amid increasing shortages in the Yemeni capital Sanaa, on 9.11.2017 (photo: Getty Images/AFP/M. Huwais)
Zivilisten als Leidtragende des Jemenkonflikts: Seit über zwei Jahren herrscht Bürgerkriegschaos im ärmsten arabischen Land. Die Bevölkerung kämpft ums Überleben, es fehlt an Gas, Erdöl und Nahrung sowie an ärztlicher Versorgung. UN-Generalsekretär António Guterres warnte bereits im April 2017 vor einer "Tragödie immensen Ausmaßes" im Jemen.

Die jüngsten Ereignisse geben der Koalition unter Führung Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) jedoch zusätzliche politische Rückendeckung für eine Intensivierung ihrer Angriffe auf den Nordwesten des Jemen. Ein Erfolg der von Saudi-Arabien und den Emiraten unterstützten Kräfte – gebildet aus einem Bündnis von Stammesmilizen – hängt stark von der wechselseitigen Zuverlässigkeit und Loyalität sowie vom möglichen Zerfall der Huthi-Allianzen ab.

Die jüngsten Angriffe von Separatisten als Bündnispartner der Vereinigten Arabischen Emirate auf den Machtsitz der Regierung Hadi in der südlichen Stadt Aden offenbaren zudem tiefe Gräben innerhalb der Koalition gegen die Huthis. Auch verdeutlichen sie die divergierenden Ansichten der beiden wichtigsten ausländischen Anti-Huthi-Akteure Saudi-Arabien und VAE über die Zukunft des Jemen. Beth Grill verweist auf die Möglichkeit, dass die Beteiligung Saudi-Arabiens und der VAE am Krieg zu einer vermehrten Unterstützung des Irans zugunsten der Huthis führte, obwohl die Rolle des Irans in diesem Konflikt oft übertrieben werde.

Rückzug, aber keine Niederlage

Die Huthis kämpfen derzeit an drei Fronten und geraten dadurch an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Schließlich besteht ihr eigentlicher Kern aus weniger als zehntausend Mann. Die Huthis ziehen sich derzeit aus einigen Gebieten zurück, wozu auch strategische Punkte zählen, wie der Hafen von Al-Hudaida. Einige Analysten vermuten, die von den Emiraten und von Saudi-Arabien unterstützten Kräfte werden versuchen, den Hafen in naher Zukunft einzunehmen.

Baron allerdings meint, es sei noch zu früh, um beurteilen zu können, ob der Krieg einen Wendepunkt erreicht habe. Auch sei es viel zu früh, den Fall von Sanaa oder Al-Hudaida heraufzubeschwören. "Letztlich haben sich die Huthis fast nur in Gebieten außerhalb ihrer Kernbereiche zurückgezogen."

Obwohl die von den Saudis geführte Koalition einige begrenzte Erfolge erzielt hat, wird ihre Präsenz im Jemen von vielen als ausländische Besatzung und Aggression gesehen. Dies gilt insbesondere aufgrund der verheerenden Luftangriffe und Wirtschaftsblockaden. Da die Regierung Hadi die Saudis unterstützt, gelten diese Ressentiments auch ihr gegenüber. Solange diese Politik weitergeführt wird, werden die Huthis sich selbst als Verteidiger des Landes in Szene setzen können. Selbst wenn sie sich aus Gebieten zurückziehen, die sie im Moment in ihrem Heimatland Sa'da halten, gehen Analysten davon aus, dass sie jahrelang weiterkämpfen können.

Wie auch immer sich die Dinge entwickeln: Der Sieg könnte sich als Pyrrhussieg erweisen. Ein Expertengremium der Vereinten Nationen für Jemen kam kürzlich zu dem Schluss, dass der Jemen als Staat im Wesentlichen nicht mehr existiere und dass keine Konfliktpartei die "politische Unterstützung oder militärische Stärke (habe), das Land wieder zu vereinen".

Stasa Salacanin

© Qantara.de 2018

Aus dem Englischen von Peter Lammers