Flucht ins Exil
Irakische Journalisten haben viele Feinde. Militante sunnitische und schiitische Gruppen oder Terrornetzwerke wie Al-Qaida verüben Anschläge, aber auch die einheimischen Behörden, die Polizei und selbst US-Truppen behindern ihre Arbeit massiv. Der seit nunmehr fünf Jahren andauernde Krieg im Irak kostete nach Angaben der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) bislang über 210 Journalisten und Medienassistenten das Leben. Organisationen wie die "Iraq Media Safety Group" zählen sogar über 270 Opfer.
Das irakische Innenministerium hat zwar Ermittlungen gegen die Täter eingeleitet. Doch nur in wenigen Fällen kam es zu Festnahmen. Hingegen ist die Gefahr als Journalist entführt zu werden groß: Seit Kriegsbeginn sind nahezu 90 Medienvertreter gekidnappt worden, davon sind derzeit 15 Fälle ungeklärt.
Bedrohung von allen Seiten
Aufgrund der zahlreichen Morde, Entführungen und der damit verbundenen unsicheren Lage haben viele einheimische Journalisten inzwischen den Irak verlassen oder ihre Angehörigen außer Landes gebracht. Aus Angst vor Mordkommandos und terroristischer Gewalt schreiben viele nur noch unter Pseudonym. Regelmäßig wechseln sie ihre Wohnorte und halten ihre Kontaktdaten geheim.
Diese prekäre Situation hat ROG nun in einem Bericht zur Lage irakischer Journalisten fünf Jahre nach Kriegsausbruch dargelegt. Dazu führte "Reporter ohne Grenzen" Gespräche mit Betroffenen, die aus ihrem Land flüchten mussten und nun versuchen, in Damaskus oder Amman zu überleben. Einige von ihnen berichten beispielsweise von Listen, auf denen sie ihre Namen gefunden haben und sich daraufhin gezwungen sahen, das Land zu verlassen.
Ein ehemaliger Kameramann eines US-Senders floh, als er hörte, dass die Mahdi-Armee Informationen über ihn in seiner Nachbarschaft einholte. Als Mitarbeiter eines US-Senders und Sunnit war der Kameramann zur Zielscheibe der schiitischen Miliz geworden. Und auch für Hassan Hafidh, der das Reuters Büro in Bagdad leitete und schon zu Beginn des Krieges Opfer einer Entführung wurde, war die Gefahr nach drei Jahren Tätigkeit für die englische Nachrichtenagentur zu groß. Heute lebt er in Amman.
Unliebsame Enthüllungen
Doch auch irakische Behörden sowie US-Truppen schränken die Arbeit der Medien ein: Der Journalist Hussein Al Maadidi musste im Oktober 2007 den Irak verlassen, nachdem die Polizei sein Haus 23 Mal durchsucht hatte. Al Maadidi hatte über Soldaten der US-Marine berichtet.
Diese hatten im November 2005 in der Stadt Haditha 24 irakische Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, erschossen – als Reaktion auf einen in der westlichen Provinz al-Anbar getöteten Marine. "Meine Artikel über das, was wirklich geschieht im Westen des Landes, hat sie verärgert", so Al Maadidi gegenüber ROG.
Im Irak bedroht, im Exil Flüchtling ohne Existenz
Diejenigen, die das Land verlassen, sind zwar nicht mehr in unmittelbarer Lebensgefahr, jedoch sind sie im Exil vielen Einschränkungen unterworfen. Nach Angaben von ROG nahm Jordanien, das als erstes Fluchtziel für Journalisten galt, bislang über 200 Personen auf, doch 2006 wurden die Einreisebestimmungen massiv erschwert. Nur wenige Journalisten konnten aufgrund offizieller Schreiben westlicher oder irakischer Arbeitgeber legal bleiben und bei offiziell anerkannten irakischen Medien arbeiten.
Von Amman aus berichten Fernsehsender wie Baghdad TV, die im Irak ihre Büros schließen mussten. Doch die Behörden in Amman wie in Damaskus erlauben irakischen Journalisten nur dann frei zu arbeiten, solange sie sich darauf beschränken, über den Irak zu berichten und ihre Aufnahmeländer nicht zu kritisieren.
Ohne Visum sind Journalisten auch in Syrien Flüchtlinge, die keinen Aufenthaltsstatus - und damit auch keine Arbeitsberechtigung - haben. Ihre finanzielle Lage ist prekär und die hohen Lebenshaltungskosten in Syrien wie auch Jordanien kaum bezahlbar. Hinzu kommt, dass jordanische Medien nur irakische Journalisten beschäftigen dürfen, wenn sich kein einheimischer dafür findet.
Aufnahme der westlichen Länder
Viele bemühen sich daher um Visa für Europa oder die USA. Eine auswegslose Situation, so ROG, da nur die wenigsten Länder irakische Flüchtlinge aufnehmen. 20.000 Iraker wurden bislang in Europa als Flüchtlinge anerkannt, davon über 9.300 in Schweden, 3.500 in Griechenland und nur 63 in Frankreich. Viele nahmen daher illegale und beschwerliche Wege in Kauf, um der Gewalt in ihrem Land zu entfliehen.
Irakische Journalisten riskieren oftmals ihr Leben für westliche Medienarbeitgeber, die aus Sicherheitsgründen keine Korrespondenten vor Ort einsetzen, doch ist ihre Sicherheit kaum gewährleistet. Laut Angaben von ROG prüft das US-amerikanische Außenministerium zwar derzeit Visa für Journalisten zu vergeben, die für ein amerikanisches Medium im Irak gearbeitet haben und wegen der "Kollaboration mit dem Besatzer" bedroht und entführt wurden, doch verlangt die Menschenrechtsorganisation ROG eine Ausweitung ihrer Kriterien.
Derzeit, so die Kritik, lege die Europäische Union zuviel Wert auf die Stabilisierung der Flüchtlingsproblematik in Ländern wie Syrien und Jordanien, jedoch sei eine Ausweitung der Aufnahme von irakischen Flüchtlingen in westlichen Ländern dringend notwendig.
Petra Tabeling
© Qantara.de 2008
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Medien und Meinungsfreiheit im Irak
Vom Meinungsdiktat zur Polarisierung
Die Situation der Medien im Irak hat sich nach dem Sturz des baathistischen Regimes stark verändert. Der irakische Publizist und Journalist Ahmad al-Saadawi zeigt die jüngste Entwicklung auf.
Medien im Irak
Meinungsfreiheit im Visier
Entführungen, Mordanschläge, Terror: Fast 90 Journalisten wurden bisher im Irak getötet, mehr als in jedem anderen Konflikt. Zwei Drittel der Opfer waren irakischer Herkunft. Übersetzer, Kameramänner und Reporter, die für internationale Sender, Nachrichtenagenturen oder Zeitungen arbeiteten. Einzelheiten von Petra Tabeling.
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Den kompletten Bericht können sie als pdf-Datei herunterladen (11 Seiten,660 KB)