"In Wirklichkeit sind wir ihnen egal"

Welche Träume und Perspektiven haben Jugendliche in der arabischen Welt? Darüber diskutierten auf einer Konferenz in Kairo Wissenschaftler, Intellektuelle – und Jugendliche.

Von Frederik Richter

​​Die Geschichte des Nahen Ostens ist Tausende von Jahren alt. Doch heute ist die Region so jung wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Die Hälfte der Bevölkerung in den arabischen Ländern ist jünger als 18 Jahre, etwa 70 Prozent der Bevölkerung unter 35. Und doch fehlen Jugendliche in vielen Forschungsprogrammen zum Nahen Osten.

"Wir wissen einfach nicht genug über die Ideen, die Wünsche, die Werte, die Phantasien von Jugendlichen in arabischen Ländern", sagte Johannes Ebert, Leiter des Goethe-Instituts Kairo/Alexandria vor etwa 200 Besuchern zur Eröffnung der Konferenz "Changing Values among Youth – Experiences from Germany, Egypt and the Arab world".

Die zweitägige Konferenz, an der Wissenschaftler aus Deutschland und aus arabischen Ländern teilnahmen, fand am 21. und 22. Juni im Goethe-Institut Kairo in Kooperation mit dem Berliner Zentrum Moderner Orient (ZMO) und der Konrad-Adenauer-Stiftung statt.

Mit der Konferenz hatten Forscher aus Deutschland und der arabischen Welt Gelegenheit, sich über Methoden zur Erforschung der Jugend auszutauschen. Professor Mokhtar el-Harrass von der Universität Rabbat erläuterte, wie die Eltern in Marokko ihre zentrale Stellung als Vermittler von Wissen und Werten an Jugendliche verlieren.

"Unsere Politik muss der Jugend zuhören"

Noch immer sei die Familie die vertrauenswürdigste Institution für Jugendliche, doch die Individualisierung werde immer stärker. Professor Bernard Sabella von der Universität Bethlehem stellte eine Studie über die palästinensische Jugend vor. Insbesondere die erste Intifada sei auch eine Revolution der Jugend gegen die älteren Generationen gewesen.

Sabella beschrieb eindrücklich, wie die Familie bei der Bildung politischen Bewusstseins und von Meinungen von Jugendlichen in Palästina noch immer eine viel größere Rolle spiele als im Westen oder in Marokko. Er beendete seinen Beitrag mit einem eindringlichen Appell - nicht nur an die Forschung, sondern auch an die Politik. "Unsere Politik muss der Jugend zuhören. Wir machen unsere Hausaufgaben nicht.

Immer wieder lief es während der Konferenz auf die Schnittstelle zwischen Forschung und Politik hinaus. "Warum revoltiert die ägyptische Jugend nicht?" fragte sich Sonja Hegasy vom ZMO. Auf solche Fragen müsse die Forschung Antworten suchen. Michael Lange, Leiter des Kairoer Büros der Konrad-Adenauer Stiftung, bezeichnete Jugendliche in den arabischen Ländern als eine "schweigende Mehrheit", die von den Entscheidungsträgern vernachlässigt werde. "Der Überhang an Jugendlichen wird diese Region auf Jahre hinaus beeinflussen, die Politik muss das jetzt berücksichtigen.

Ägyptische Jugend durch Intifada und Krieg politisiert

Sonja Hegasy sieht zwar in der ägyptischen Staatspartei NDP und in anderen Einheits-Parteien des Nahen Ostens durchaus Aktivitäten für die Jugend. Auch trete der marokkanische König sehr jugendlich auf - mit Sonnenbrille und Lederjacke -, doch Diaa Rashwan vom Al-Ahram Centre for Strategic and Political Studies beschrieb in seinem Vortrag die Unfähigkeit des ägyptischen Parteiensystems, die Jugend für sich zu gewinnen. Es sei die Intifada von 2000 und der Irak-Krieg gewesen, die die ägyptische Jugend politisiert habe.

Von diesen äußeren Ereignissen sei die Mobilisierung auf innenpolitische Themen übergeschwappt, und jetzt ströme die Jugend anderen Gruppen wie der außerparlamentarischen Oppositionsgruppe Kifaya oder den Muslim-Brüdern zu. "Die Parteien sagen, die Jugend ist ihre Zukunft, aber in Wirklichkeit sind wir ihnen egal", meinte Bassem Samir von der ägyptischen Nichtregierungsorganisation Al-Andalus.

Zu Beginn der Konferenz stellte Professor Richard Münchmeier die jüngste deutsche Shell-Jugendstudie vor und gab seine Erfahrungen weiter. Teilnehmer drückten immer wieder ihre Hoffnung aus, solch eine breit angelegte Jugendstudie könne auch in Ägypten durchgeführt werde, um das Forschungsdefizit zu beheben. Sonja Hegasy wies in diesem Zusammenhang darauf hin, man sei diesbezüglich mit ägyptischen Behörden in Kontakt. Doch die abschließende Rede von Safei Eddin Kharboush, einem Professor der Kairoer Universität und Berater des ägyptischen Jugendministers, machte wenig Hoffnung.

Kharboush muss während der Konferenz mit Abwesenheit geglänzt haben: Im Gegensatz zu allen anderen Teilnehmern, sah er kein Defizit an Forschung. Vielmehr gebe es zu viele Studien und Zentren in Ägypten, und die Bemühungen seien einfach nicht genügend koordiniert.

Frederik Richter

© Qantara.de 2005

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