"Diese Schüler sind irgendwie anders"
Seit dem Sturz von Saddam Hussein kehren immer mehr irakische Kurden mit ihren Kindern zurück in ihre Heimat. Die meisten der Kinder sind im Ausland aufgewachsen und haben noch keinen Schulabschluss. Für sie wurde in Suleimanija, im Nordosten des Irak, eine eigene Schule gegründet, die Gasha-Schule. Seit 2004 wird versucht den Kindern von Irak-Rückkehrern zu helfen, um sich in eine neue Kultur einzuleben. Andréa Vermeer berichtet.
Auf dem Schulhof der Gasha-Schule rennen Jugendliche planlos herum.
Sie unterhalten sich mal auf Deutsch, mal auf Sorani-Kurdisch. Aber sie alle haben eins gemeinsam: Ihre Eltern stammen aus der kurdischen Region im Norden des Irak.
Die meisten Schüler und Schülerinnen, die die Gasha-Schule besuchen, sind in Deutschland aufgewachsen. So auch Tawi Kadr, die bis vor kurzem in Köln gelebt hat. Vor vier Monaten sind ihre Eltern umgezogen.
"In den ersten Monaten habe ich absolut gar nichts realisiert. Ich war nur traurig und habe geweint, bin nie raus gegangen und gehe eigentlich immer noch nicht raus, ich kenne hier niemanden", erzählt das Mädchen. "Die Leute hier sind anders. Du kannst hier einfach gar nichts machen, sonst fangen die Leute sofort an zu lästern".
Tawi ist umringt von ihren Freundinnen und Freunden. Auch ihnen ist es bei der Rückkehr in den Irak nicht viel besser ergangen. Die Umstellung in das irakische Bildungssystem fällt ihnen sehr schwer.
Der Unterricht an der Schule erfolgt in zwei Schichten. Vormittags haben die Kleinen von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr Unterricht - am Nachmittag sind die Großen dran. So haben die Kinder jeweils nur vier Stunden Unterricht.
Doch, so erzählen sie, die Lehrer erscheinen manchmal erst gar nicht, und dann sitzen sie auf dem Schulhof herum und versuchen, die Zeit tot zuschlagen.
Kommunikationsproblem zwischen Schülern und Lehrern
Ein weiteres Problem ist die Verständigung. Die Schülerinnen und Schüler kommen aus 17 verschiedenen Ländern, die meisten aus Deutschland und den Niederlanden. Sie alle sprechen zwar umgangssprachlich Sorani-Kurdisch, doch die wenigsten von ihnen haben in dieser Sprache Schreiben oder Lesen gelernt.
Dadurch können die meisten Schüler ihre Lehrer kaum verstehen, geschweige denn die Schulbücher lesen. Die Schulleitung zeigt dafür wenig Verständnis: Dies sei Sache der Eltern. So unterrichten die Lehrer stur in ihrer Sprache, und die Schulbücher sind mit arabischen Schriftzeichen auf Sorani geschrieben.
Insgesamt bemühen sich 19 Pädagogen um die Schüler, allerdings geht es nicht immer um den Unterrichtsstoff:
"Also, lernen kann man das nicht nennen, es gibt täglich Streit, und ich frage mich, warum? Ich finde, dass wir nichts falsch machen, was sollen wir hier schon falsch machen?", fragt die 17-jährige Tawi Kadr.
"Wir sehen die Jungen wie unsere Geschwister an, wie unsere Brüder, was ganz normal ist. Okay, hier gibt es vielleicht auch ein, zwei Pärchen, aber das ist doch nicht schlimm. Wenn man sich verliebt, kann man doch nichts dafür. Es passiert einfach, und die Lehrer akzeptieren das überhaupt nicht. Letztens haben sie uns sogar damit gedroht, dass sie Mädchen und Jungen getrennt unterrichten wollen."
Die rund 200 Schüler der Gasha-Schule sind Außenseiter. Wenn die Schule um 16 Uhr zu Ende ist, gibt es regelmäßig Schlägereien, manchmal kommt es sogar zu Messerstechereien.
Vor der Schule lauern bereits einheimische Jugendliche den "Ausländern" auf. Die umstehenden Erwachsenen greifen nur selten ein.
Eigentlich sollte die Gasha-Schule Kindern wie Tawi helfen, sich in der Heimat ihrer Eltern wohl zu fühlen. Zudem sollte sie verhindern, dass die Rückkehrer nur zuhause bleiben und damit vollkommen isoliert leben.
Das Schulprojekt wurde gegründet, damit beide Seiten voneinander profitieren können. Die Kinder haben im Ausland viel gelernt und könnten dadurch ihren Mitschülern noch etwas beibringen. Die Lehrer hätten die Möglichkeit, von der Bildung ihrer Schüler zu profitieren.
Weiteres Bestehen der Gasha-Schule gefährdet
Doch wie es scheint, ist das Schulprojekt im Moment gefährdet, weil niemand mit dem Ergebnis zufrieden ist. Dabei geht es weniger um den Unterricht selbst, als um das Verhalten der Schüler. Tawi begreift das alles nicht:
"Ja, die Schule wurde extra für uns gemacht und wird wohl auch extra wegen uns schließen. Sie drohen uns jede Woche damit, die Schule zu schließen, weil wir uns angeblich nicht benehmen können.
"Die Lehrer sagen, was sie wollen, sie beleidigen uns und erwarten von uns, dass wir keine Widerworte geben. Aber wir gehorchen ihnen nicht. Die anderen Schüler haben Angst vor den Lehrern, wir nicht. Wir haben keine Angst, wir haben vor niemanden Angst."
Gleich vorne am Eingang teilen sich vier Schuldirektoren ein kleines Büro. Seit Ende August sitzt hier Nigar Ismali Mahmud als Schuldirektorin für die älteren Schüler. Früher hat sie in einem Büro der UN gearbeitet, dann hat man ihr diese Stelle angeboten.
"Wir haben täglich Probleme, und unsere Lehrer haben große Schwierigkeiten. Diese Schüler sind irgendwie anders als unsere Schüler hier. Zurzeit bin ich auf der Suche nach einem Physiklehrer. Sobald sie aber etwas über diese Schule hören, wollen sie nicht mehr hierher kommen".
Ähnlich wie die Schüler, ist auch die Schuldirektorin verunsichert. Sie findet, dass das Schulprojekt eine tolle Idee ist, nur weiß sie nicht, wie sie zwischen den Schülern und Lehrern vermitteln kann.
Sollte die Schule tatsächlich geschlossen werden, dann wäre das für die meisten Kinder und Jugendlichen eine Katastrophe. Ihre Integration in die Heimat ihrer Eltern wäre damit fehlgeschlagen. Keiner von ihnen hätte dann einen Schulabschluss und damit eine Berechtigung für eine Ausbildung oder ein Studium an einer der fünf Universitäten in Kurdistan.
Andréa Vermeer
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2006
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