"Die Regierung zerstört das Land“

Indien Bauern-Protest in Mumbai; Foto: Reuters
Indien Bauern-Protest in Mumbai; Foto: Reuters

In Indien kämpfen Hunderttausende von Bauern hartnäckig gegen die Gesetze der Regierung Narendra Modi zur Liberalisierung der Landwirtschaft. Mehr als vierzig Bauernorganisationen haben in einer landesweiten Kampagne die indischen Wähler dazu aufgefordert, der Regierungspartei BJP in Zukunft ihre Stimme zu verweigern. Ein Bericht von Dominik Müller

Von Dominik Müller

Die drei Gesetze zur Agrarreform, die während des Lockdown durch das indische Unter- und Oberhaus gepeitscht wurden, haben zunächst eine Protestwelle und nun diese Kampagne ausgelöst. Modis Bharatiya Janata Party (BJP) besteht darauf, dass die Gesetze notwendig seien, um ein veraltetes System der landwirtschaftlichen Produktion zu modernisieren. Die Landwirte sehen jedoch den Abbau von Vorschriften, Preiskontrollen und des öffentlichen Einkaufs- und Verteilungssystems von Grundnahrungsmitteln als Bedrohung ihrer Existenzgrundlage.



Seit Ende November 2020 kampieren Hunderttausende von Bauern, hauptsächlich aus Punjab, Haryana und dem westlichen Uttar Pradesh, in den Außenbezirken von Delhi und blockieren die Hauptverkehrsstraßen in die Hauptstadt. Sie fordern die Aufhebung der neuen Agrargesetze. Zurzeit ist die Umsetzung der umstrittenen Gesetze lediglich durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs im Januar vorübergehend ausgesetzt.

Seit März läuft nun die Kampagne "Besiegt die BJP“ („No vote to BJP). Vorgestellt wurde sie erstmals anlässlich der Wahlen im Bundesstaat Westbengalen im Presseclub von Kolkata. "Wir haben beschlossen, die Staaten zu besuchen, in denen Wahlen stattfinden, und den Bauern und dem einfachen Volk zu sagen, dass die Politik der Modi-Regierung dieses Land zerstören wird“, so Balbir Singh Rajewal von der Bhartiya Kisan Union, der größten Bauernvereinigung Indiens.



"Wir sind nicht hier, um irgendeine politische Partei zu unterstützen. Unsere bescheidene Bitte ist: Wählt eine Partei eurer Wahl, aber nicht die BJP, bitte erteilen Sie der BJP eine Lektion." Rajewal wirft der Modi-Regierung auch die unzulängliche Bekämpfung der Corona-Pandemie vor und macht sie für die vielen Corona-Toten verantwortlich.

Bauernprotest Indien Mumbai; Foto: picture-alliance/AP Photo
Demonstrieren, weil die Einkünfte nicht mehr zum Leben reichen. Hunderttausende von Bauern protestieren in Indien gegen die neuen Gesetze der Regierung Modi zur Reform der Landwirtschaft, die während des Corona-Lockdown durch das indische Unter- und Oberhaus gepeitscht wurden. Modis Bharatiya Janata Party (BJP) besteht darauf, dass die Gesetze notwendig seien, um ein veraltetes System der landwirtschaftlichen Produktion zu modernisieren. "Die Landwirte sehen jedoch den Abbau von Vorschriften, Preiskontrollen und des öffentlichen Einkaufs- und Verteilungssystems von Grundnahrungsmitteln als Bedrohung ihrer Existenzgrundlage,“ schreibt Dominik Müller.

Freilich konnte während des Lockdown die Mobilisierung zur Kampagne noch nicht so anlaufen, wie es sich die Bauern vorgestellt haben – in Westbengalen gab es weniger als zehn Versammlungen, ähnlich gering war die Anzahl der öffentlichen Auftritte in den Bundesstaaten Kerala und Tamil Nadu, die ebenfalls im Frühjahr gewählt hatten.



In Westbengalen konnte die BJP ihre Sitze im Parlament des Bundesstaates sogar vervielfachen: von 3 auf 77. Trotzdem musste sich die BJP dem Trinamool Congress und der amtierenden Ministerpräsidentin Mamata Banerjee geschlagen geben. In Kerala verlor die BJP ihren einzigen Sitz, in Tamil Nadu hat das oppositionelle Parteibündnis DMK gegen die Parteienkoalition unter Beteiligung der BJP deutlich gewonnen und einen Machtwechsel herbeigeführt.



Nächste Etappe der Kampagne: Uttar Pradesh

Aber nun soll die Kampagne auf Hochtouren kommen. Im Frühjahr nächsten Jahres wird in Uttar Pradesh gewählt. Für die Kampagne die wichtigste Etappe vor 2024: Der mit 200 Millionen Einwohnern größte Bundesstaat Indiens wird von Yogi Adityanath regiert, einem BJP-Hardliner, der als Modi-Nachfolger im Gespräch ist. Im Zentrum der Kampagne stehen auch hier die Agrargesetze und der Ausverkauf des öffentlichen Sektors, ebenso die unzulängliche Bekämpfung der Corona-Pandemie und das schlechte Gesundheitssystem.



Die Bilder von Covid 19-Leichen, die in Uttar Pradesh im Ganges schwammen, gingen im Mai  rund um die Welt. Seitdem sind die offiziellen Infektionszahlen zwar gesunken, aber sie gelten als wenig vertrauenswürdig: Das Magazin "The Wire“ hat mehrere Fälle aufgelistet, bei denen die Regierung des Bundesstaats vor allem die Anzahl der Toten erheblich heruntergespielt hat.

Das gilt auch für den akuten Mangel an Sauerstoffversorgung für schwer erkrankte Covid-19- Patientinnen und -Patienten: Adityanath brachte die Bevölkerung nicht nur gegen sich auf, weil er diese Tatsache schlicht leugnete. Er ging sogar so weit, dass er jedem, der über den Sauerstoffmangel sprach, mit einer Verhaftung nach dem „National Security Act“ drohte. "Niemand ist wegen Sauerstoffmangels gestorben", behauptete er kurz und knapp. Er weigerte sich, auch den Mangel an Betten in Krankenhäusern zuzugeben.

 

Besonders ungeschickt verhält sich die Regierung des Bundesstaates auch bei den neuen Agrargesetzen. Im Februar dieses Jahres besuchte ihr Minister Sanjeev Balyan ein Dorf im westlichen Distrikt Shamli, in dem ein Großteil der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt. Der Minister wollte die Bauern dort über die Vorteile der neuen Gesetze "aufklären“. Aber die Bauern protestierten gegen den Besuch und vertrieben den Minister und seine Begleiter, kaum dass sie dort angekommen waren.



Der BJP-Politiker Balyan wird auch beschuldigt, bei den Unruhen von Muzaffarnagar 2013 eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Sie zogen sich über mehrere Wochen hin, es gab 62 Tote, darunter zwanzig Hindus. Die Hauptleidtragenden waren aber Muslime, mehr als 50.000 von ihnen wurden vertrieben. Danach war Balyans Popularität gestiegen. Nun sinkt sie – wegen der Wut der Bauern über die neuen Gesetze.  Das betrifft sogar die Gemeinschaft der Jat,  höherkastige, einflussreiche Hindus aus dem westlichen Uttar Pradesh, die bisher eine sichere Bank für die BJP waren. Laut "The Wire“ werden sie nun wegen der Agrargesetze voraussichtlich für die Oppositionspartei Rashtriya Lok Dal (RJD) stimmen.

Hannan Mollah, Generalsekretär der All India Kisan Sabha (AIKS), einer weiteren indienweiten Bauernorganisation, kündigt die Ausweitung der Kampagne "Besiegt die BJP“ auch in anderen Bundesstaaten an, in denen 2022 gewählt wird: Uttarkhand, Punjab und Himachal Pradesh. Ob bis 2024 jedoch eine indienweite Koalition zu Stande kommt, die Modi und seine BJP bei den Wahlen zum indischen Unterhaus herausfordern könnte, ist noch offen. Mamata Banerjee, die amtierende Ministerpräsidentin Westbengalens, wird von vielen indischen Medien als mögliche Architektin für ein solches Bündnis ins Spiel gebracht.

Modi's stärkste Konkurrentin: Mamata Banerjee

"Didi“ ist ihr Spitzname in Indien, auf Bengalisch bedeutet das "ältere Schwester“: Die 67-jährige Politikerin Mamata Banerjee, ist das Aushängeschild der Partei Trinamool Congress und wurde vor wenigen Wochen zum dritten Mal in Folge als Ministerpräsidentin des indischen Bundesstaates Westbengalen wiedergewählt worden. Am 2. Mai gewann ihre Partei die Regionalwahlen im drittgrößten indischen Bundesstaat mit einer absoluten Mehrheit.

Mamata Banerjee gehört zur höchsten hinduistischen Kaste der Brahmanen, gilt als nicht korrupt und furchtlos. International bekannt wurde sie 2008, als sie die Proteste gegen die Enteignung von mehr als vier Quadratkilometern Ackerland für eine Produktionsstätte des Tata-Konzerns anführte, der im westbengalischen Singur den Nano, den billigsten Kleinwagen der Welt, herstellen lassen wollte. 

 

Das Projekt stieß auf massiven Widerstand der Bauern. Damals noch Oppositionsführerin in Westbengalen, rief Mamata Banerjee die "Save Farmland"-Bewegung ins Leben. Banerjee ging sogar für 25 Tage in den Hungerstreik, was ihr viel Beachtung durch internationale Menschenrechtsorganisationen einbrachte. Die Proteste waren erfolgreich: Obwohl die damalige Linksfront-Regierung in Kalkutta massive Gewalt einsetzte, wurde die Nano-Fabrik nicht gebaut. Ratan Tata, der Kopf des Mega-Konzerns, erklärte Ende 2008, seine Nano-Produktionsstätte von Westbengalen nach Gujarat zu verlegen.



Dort regierte damals Narendra Modi als Ministerpräsident, der ihm großzügige Konditionen angeboten hatte: kostenloses Land und Steuerbefreiungen. Anschließend unterstützten auch die traditionell liberalen Tatas die Kandidatur des Hindunationalisten Modi für das Amt des Premierministers.

Einige Argumente sprechen für eine Rolle Banerjees als Herausfordererin Modis: Es gibt in Indien keine aussichtsreichen Konkurrenten. Und es ist ihr schon mehrfach gelungen, andere Parteien, die in Opposition zur BJP stehen, an einen Tisch zu bringen. Die muslimische Minderheit in Westbengalen – immerhin ein Viertel der Bevölkerung – ist ihr weitgehend wohlgesonnen, bei Wahlkampfveranstaltungen tritt Banerjee regelmäßig mit muslimischen Geistlichen auf.



Das könnte allerdings auch nachteilig wirken: Die BJP hat viel dafür getan, bei der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit den Hass auf den Islam zu schüren. Banerjee mag eine politische Größe in ihrem Bundesstaat sein – aber es sind schon andere lokale Politiker gescheitert, wenn sie für die Zentralregierung in Neu-Delhi kandidiert haben. Letztlich bleibt auch das schwierige Verhältnis zur stolzen Kongress-Partei, die aus der Unabhängigkeitsbewegung hervorging. Sie befindet sich zwar im Niedergang, wird aber kaum bereit sein, sich in einem Parteienbündnis unterzuordnen.

Dominik Müller

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