Vereint im Hass
Seitdem die Hindu-Nationalisten in Indien immer stärker geworden sind und sogar die Regierung stellen, setzen sich zunehmend indische Schriftsteller kritisch mit dem Phänomen auseinander. So auch der in Bombay lebende Rahman Abbas, der auf Urdu schreibt und für seinen Roman "Rohzin" mit dem "Sahitya Akademi Award" die höchste literarische Auszeichnung Indiens erhielt.
Ende letzten Jahres kam er mit einem Forschungsstipendium der Robert Bosch Stiftung und des Literarischen Colloquiums Berlin nach Europa. Sein Thema: Der Holocaust und die Zukunft der Minderheiten in Indien und Pakistan. Rahman Abbas besuchte unter anderem das Konzentrationslager Dachau, das Dokumentationszentrum und Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, das Konzentrationslager Sachsenhausen und in Polen das Vernichtungslager Auschwitz Birkenau. "Ich habe so viele Orte des Grauens besucht, die für die Vergangenheit des NS-Staates standen", so Abbas nach seiner Reise. Dominik Müller hat anlässlich des 8.Mai mit ihm gesprochen.
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Was war Gegenstand Ihrer Forschung in Europa Ende letzten Jahres gewesen?
Rahman Abbas: Das Forschungsstipendium erhielt ich für meinen nächsten Roman. Ich habe eine Reihe von Orten in Europa besucht, um zu verstehen, wie der Nationalsozialismus an Einfluss gewann, wie er die deutsche Gesellschaft beeinflusste und wie die Nazi-Ideologie zum Massenmord und Völkermord an Juden, Kommunisten, politischen Gegnern, Sinti, Roma, Behinderten und anderen führte. In Indien erleben Muslime, Dalits, Christen und Stammesangehörige inzwischen Diskriminierung, Ausgrenzung und Unterdrückung durch rechtsextremistische Hindu-Nationalisten, während in Pakistan hinduistische und schiitische Minderheiten von Islamisten bedroht sind.
Ich wollte das sozio-politische Milieu, die Ideologien und das Schweigen, den Hintergrund des Holocausts in Deutschland und Europa untersuchen und identifizieren. Ich wollte die wichtigen Lehren aus der Vergangenheit Nazideutschlands herausfinden, um den Menschen des Subkontinents die Tendenzen und Merkmale des Faschismus bewusst zu machen. Meine Analyse der letzten zwei Jahrzehnte, in denen der Fundamentalismus auf dem Subkontinent zugenommen hat, und meine Untersuchung verschiedener religiös-politischer Organisationen sowohl Indiens als auch Pakistans haben genügend Anhaltspunkte geliefert, die auf die Gefahr eines möglichen Völkermords hinweisen. Die gegenwärtige Periode ist der ersten Phase des Aufstiegs des Nationalsozialismus in Deutschland sehr ähnlich.
Welche Ähnlichkeiten zwischen der Situation in Deutschland unter dem Nationalsozialismus im letzten Jahrhundert und den aktuellen politischen Entwicklungen in Indien sehen Sie?
Abbas: Der Nationalsozialismus war eine rassistische Ideologie. Er benutzte den Nationalismus und die Dämonisierung der politischen Gegner als Werkzeuge, um an die Macht zu kommen. Die Nazis verbreiteten die Idee, dass nur die arische Rasse die höchste ist und über alle anderen herrschen sollte. Die NSDAP nutzte alle Mittel, um Juden und viele andere zu verleumden. Aber vor allem Juden wurden als Verräter deutscher Interessen gebrandmarkt. 1935 wurden die Staatsbürgerschaft und die Grundrechte der Juden durch die Nürnberger Gesetze aufgehoben, nachdem Adolf Hitler bereits 1933 einen nationalen Boykott jüdischer Geschäfte ausgerufen hatte.
Eine ähnliche Entwicklung ist in Indien zu beobachten, wo antimuslimische Propaganda durch den Hindutva-Nationalismus entfesselt wurde, was u.a. zu dem im vergangenen Dezember im Parlament verabschiedeten Citizenship Amendment Act führte. Das Gesetz bietet Einwanderern aus drei Ländern - Pakistan, Bangladesch und Afghanistan - die Staatsbürgerschaft an, Muslime sind davon ausgenommen. Darüber hinaus fordern sie von in Indien lebenden Menschen die Vorlage mehrerer Dokumente, darunter Geburtsurkunden der Eltern oder Großeltern, um ihre Staatsbürgerschaft zu untermauern - nur um Muslime auszuschließen. Für sie hat die Regierung bereits Internierungslager in Assam errichtet. Dies zeigt, was im Dunkeln brodelt und wie weit Indien und seine Regierung von dieser Ideologie der Hindu-Herrschaft durchdrungen sind.
Die Hass-Propaganda gegen Muslime, aber auch gegen Christen, Dalits, Homosexuelle und andere Minderheiten, hat den Hindu-Nationalismus regelrecht aufblühen lassen. Dieser Hass wurde von den staatlich kontrollierten Medien mit dem Ziel verbreitet, die Minderheiten zu dämonisieren. Sogar für gebildete Mitglieder dieser dämonisierten Gemeinschaften ist es heutzutage sehr schwierig, selbst in der Privatwirtschaft Arbeit zu finden. Für muslimische Politiker ist es fast unmöglich, eine Wahl zu gewinnen. Ihre Zahl nimmt in den Landesversammlungen und im Parlament ständig ab. Muslimische Führer werden ständig beschuldigt, gegen die Hindus zu sein, und das schürt auch den Druck auf die Gemeinschaft.
Wie würden Sie die Unterschiede zwischen dem Nationalsozialismus und der heutigen Situation in Indien beschreiben?
Abbas: Die Welt hat sich seit der Nazi-Herrschaft verändert, weltweit sind sich viele Menschen der unmenschlichen und grausamen Ideen bewusst, die ihr zugrunde lag. Darüber hinaus ist Indien von Iran, Afghanistan, Pakistan und Bangladesch umgeben. Es ist selbst für die Hindutva-Anführer kaum möglich, sich hier Vernichtungslager vorzustellen. Aber unter dem Vorwand der neuen Staatsbürgerschaftsgesetze und anderer solcher Gesetze könnten sie viele Muslime hinter Gitter bringen. Die Methode, die der Hindutva-Nationalismus gewählt hat, um die Muslime zu stigmatisieren, sind die "kommunalen Unruhen". Es sind keine "Unruhen", wie sie von den staatlich kontrollierten Medien propagiert werden, sondern zielgerichtete "Pogrome". Viele unabhängige Medienquellen belegen, dass die Staatspolizei und Regierungsinstitutionen die von der Hindutva-Ideologie inspirierten Randalierer unterstützten. In unserer Region leben die am schlechtesten ausgebildeten Menschen der Welt. Sie sind wie Herden: Ein böser Politiker kann sie im Namen von Religion, Rasse und Nationalismus verführen, sie dazu bringen, ihre Nachbarn und Mitbürger zu töten.
Die Großindustrie in Deutschland hat die Machtergreifung Hitlers und der NSDAP unterstützt. War das auch ein Thema für Ihre Forschungsarbeiten in Europa?
Abbas: Das war nicht Teil meiner Forschung. Aber Unternehmen und strategische Allianzen sind natürlich ein wichtiger Faktor. Sie können bestimmen, wie die Zukunft gestaltet wird. Auch auf dem Subkontinent: Die indischen Wirtschaftsmagnaten unterstützen den Hindutva-Nationalismus.
Das Interview führte Dominik Müller.
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