Die Industriestaaten sind in der Pflicht
In den letzten Monaten haben sintflutartige Regenfälle zehntausende Familien im ländlichen Indien obdachlos gemacht; viele Menschen sind ums Leben gekommen. Das alles hat nichts mit dem Klimawandel zu tun, sondern mit einem ganz normalen Monsun, also der Antwort auf die Gebete von Milliarden Indern.
Und doch wirft menschliches Leiden in diesem Maßstab bei allen, die sich Sorgen über den Klimawandel machen, Fragen auf: Wenn ein Entwicklungsland so empfindlich auf gewöhnliche saisonale Wetterschwankungen reagiert, wie wird es erst die abzusehenden Folgen des Klimawandels verkraften — Überschwemmungen und Dürren, höherer Meeresspiegel, Veränderungen der Regenzeitzyklen, Zyklone und Taifune.
Die meisten Menschen in den Entwicklungsländern schlagen sich mit Subsistenzwirtschaft durchs Leben. Sie sind den Veränderungen von Temperatur und Regenzeitzyklen viel stärker ausgeliefert, als Stadtbewohner, die in der Industrie oder im Handel arbeiten.
Arme sind Hauptleidtragende
Im Gegensatz zu Bauern in reichen Ländern, die auch noch über die entsprechenden technologischen Ressourcen verfügen, wird es den Landwirten in ärmeren Ländern schwer fallen, sich den Klimaveränderungen anzupassen; sie können nicht einfach zu dürreresistentem Saatgut wechseln, zu effizienter, aber teurer Tröpfchenbewässerung, oder einfach neuen, städtischen Beschäftigungen nachgehen.
Länder mit geringerem Pro-Kopf-Einkommen verfügen nicht über die Ressourcen, um etwa im Hausbau oder anderer Infrastruktur die Vorsorge gegen Überschwemmungen oder Zyklone zu leisten, die eigentlich notwendig wäre. Die Armen der Welt werden die Hauptleidtragenden des Klimawandels sein.
Für die ärmeren Länder bietet einzig eine beschleunigte ökonomische und soziale Entwicklung die Hoffnung, sich auf den Klimawandel einigermaßen einstellen zu können.
Ohne ein schnelles wirtschaftliches Wachstum wird es ihnen an den finanziellen Ressourcen mangeln, die sie für die Anpassung an den Klimawandel benötigen. Ohne eine schnelle soziale Entwicklung, etwa in den Bereichen Bildung und Gesundheitsversorgung, wird es ihren Arbeitskräften auch weiterhin an der nötigen Qualifikation und Mobilität fehlen.
Beschleunigte Entwicklung ist also für die südliche Hemisphäre der Schlüssel zu erfolgreicher Anpassung an den Klimawandel.
Die Lebensperspektive für die kommenden Generationen ist in ernsthafter Gefahr, wenn es der jetzigen Generation in den Entwicklungsländern nicht gelingt, ein schnelles Wachstum zu erreichen. Für die ärmeren Länder ist nachhaltige Entwicklung daher gleichbedeutend mit beschleunigtem Wachstum.
Ungerecht und ineffizient
Und doch drängen die wohlhabenden Staaten die armen Länder zu einem vollkommen anderen Ansatz. Sie wollen die Entwicklungsländer zu einem "Mittelweg" zwischen Entwicklung und einer Abmilderung der Folgen des Klimawandels zwingen.
Sie argumentieren, dass die industrialisierten Staaten nicht fähig, oder unwillig, sind, die eigene Emission von Treibhausgasen in dem Maße zu reduzieren, wie es erforderlich wäre, um den Klimawandel in Grenzen zu halten. Daher, so ihre Argumentation weiter, müssten eben die Entwicklungsländer ihren Treibhausgas-Ausstoß verringern, selbst wenn dies das Tempo ihrer wirtschaftlichen Entwicklung herabsetzen würde.
Dieser Vorschlag aber ist weder effizient noch gerecht. Eine langsamere Entwicklung würde die Anstrengungen der ärmeren Länder unterminieren, sich auf den Klimawandel in wirtschaftlicher Hinsicht einzustellen. Es würde die Verwundbarkeit der Entwicklungsländer gegenüber den Folgen des Klimawandels erhöhen und stellt somit eine absolut ungeeignete Antwort auf den Klimawandel dar.
Auch in Bezug auf die Abmilderung der Klimafolgen bringt dieser Ansatz keinerlei positiven Effekte. Niemand bezweifelt, dass eine Verminderung des Ausstoßes von Treibhausgasen auch in den Entwicklungsländern wünschenswert wäre. Die Frage aber ist, wer das letztendlich bezahlen soll.
Im Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen wird von den im Anhang 2 genannten Staaten — die im Großen und Ganzen den Mitgliedern der OECD entsprechen — verlangt, für die Kosten der schrittweisen Verringerung des Treibhausgasausstoßes in den Entwicklungsländern aufzukommen.
Der Vorschlag aber, der nun von diesen Ländern vorgebracht wird, läuft darauf hinaus, dass die Kosten ganz oder zumindest teilweise den Entwicklungsländern aufgebürdet würden. Die Abmilderung der Klimafolgeschäden bekäme dadurch jedoch keineswegs eine größere Reichweite; es würde die finanziellen Lasten lediglich von den wohlhabenden zu den armen Ländern verlagern.
Auf diese Weise werden die kommenden Generationen in den Entwicklungsländern unter den Folgen des Klimawandels noch stärker zu leiden haben.
Industriestaaten sind verantwortlich
Dies führt uns zur Frage der Gerechtigkeit. Der Klimawandel wird nicht durch den Ausstoß von Treibhausgasen an sich verursacht, sondern vielmehr durch extrem hohe Emissionen dieser Gase. Tatsächlich ist schließlich das Vorhandensein von Kohlendioxyd in der Atmosphäre eine Voraussetzung für Leben auf unserem Planeten.
Menschliche Aktivitäten führten spätestens seit der Entdeckung des Feuers zu Emissionen von Treibhausgasen, doch brachten sie das Gleichgewicht des klimatischen Systems noch nicht aus dem Gleichgewicht.
Erst die Industrielle Revolution war es, die mit der immer stärkeren Verbrennung von Brennstoffen auf Kohlenwasserstoffbasis — also Kohle, Erdöl und Erdgas — zu Emissionen und Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre führte, die das zuvor stabile Klimasystem nachhaltig durcheinander brachten.
Die Industriestaaten sind daher verantwortlich für die exzessiven Treibhausgasemissionen, sowohl historisch wie aktuell.
Jeder Bewohner unseres Planeten hat das gleiche Recht auf eine reine Atmosphäre; die Industriestaaten aber haben einen weitaus größeren Anteil daran gehabt. Der jährliche Kohlendioxidausstoß beträgt, auf jeden einzelnen Bewohner heruntergerechnet, in den USA 20 Tonnen, 8,5 Tonnen in der Europäischen Union, doch nur eine Tonne in Indien.
Wenn alle Staaten den gleichen Pro-Kopf-Verbrauch wie Indien hätten, hätte es den Klimawandel nie gegeben. Doch auch abgesehen von der Verantwortung für den Klimawandel, sind es die Industriestaaten, die auch über die nötigen finanziellen und technologischen Ressourcen verfügen, um dem Problem wirkungsvoll zu begegnen.
Ihre Leistungskraft übersteigt diejenige der Entwicklungsländer um ein Vielfaches.
Hilfe für Entwicklungsländer
Das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen basiert auf dem Prinzip der Gerechtigkeit, das "die gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten, die jeweiligen Fähigkeiten" der Industrie- und der Entwicklungsländer widerspiegelt.
Die ersteren sollen ihre Treibhausgasemissionen stabilisieren und dann senken. Die letzteren sind von dieser Verpflichtung ausgenommen und das Abkommen sagt insbesondere, dass "die Pro-Kopf-Emissionen in den Entwicklungsländern noch verhältnismäßig gering sind und dass der Anteil der aus den Entwicklungsländern stammenden weltweiten Emissionen zunehmen wird, damit sie ihre sozialen und Entwicklungsbedürfnisse befriedigen können."
Die meisten OECD-Länder sind zudem finanzielle und technologische Verpflichtungen gegenüber den Entwicklungsländern eingegangen, um ihnen beim Klimaschutz zu helfen.
Dies bedeutet nicht, dass die Entwicklungsländer im Rahmenübereinkommen und im Kyoto-Protokoll keinerlei Verpflichtungen zur Senkung der Emissionen eingegangen wären.
Beide Dokumente beinhalten eine ganze Reihe gemeinsamer Absichtserklärungen, sowohl der Industrie- wie der Entwicklungsländer. Hierzu gehört auch die Verpflichtung, nach der sie "Programme erarbeiten und umsetzen ... in denen Maßnahmen zur Abschwächung der Klimaänderungen ... vorgesehen sind."
Die Entwicklungsländer sind dazu verpflichtet, Maßnahmen umzusetzen, die keine Mehrkosten verursachen, also solche, die die Abschwächung der Klimafolgen eher als Mitnahmeeffekt beinhalten, während sie primär der Entwicklung der nationalen Wirtschaft dienen.
Nicht verpflichtet sind Entwicklungsländer hingegen zur Umsetzung von Maßnahmen, die Mehrkosten verursachen, es sei denn, die Industriestaaten kämen für diese Zusatzkosten auf.
Jedes weitere Abkommen über den Klimaschutz muss sich in das Rahmenübereinkommen einfügen, spiegelt es doch recht genau das Verhältnis zwischen Klimawandel und nachhaltiger Entwicklung wider. Diese Beziehung lässt sich in drei Aussagen zusammenfassen:
1. Für ärmere Staaten bedeutet nachhaltige Entwicklung eine beschleunigte Entwicklung. Langsamere Wachstumsraten würden künftige Generationen in diesen Ländern den Folgen globaler Erwärmung aussetzen, ohne dass sie die Möglichkeit hätten, sich darauf einzustellen.
2. Um ihren fairen Beitrag zur Abschwächung der Klimafolgen zu leisten, sollten die Entwicklungsländer alle ihnen möglichen Maßnahmen ergreifen, die zu Mitnahmeeffekten führen, jedoch keine zusätzlichen Kosten verursachen. Es gibt eine ganze Reihe von Initiativen, die zu positiven Effekten führen, ohne Ressourcen von dringenden Entwicklungsprioritäten abzulenken.
Entwicklungsländer sollten zugleich nach Möglichkeiten suchen, auch ehrgeizigere Abschwächungsmaßnahmen in Angriff zu nehmen, wenn die Industrieländer willens sind, für die daraus entstehenden Zusatzkosten aufzukommen.
3. Angesichts ihrer Verantwortung für den Klimawandel wie auch ihrer finanziellen und technologischen Leistungsfähigkeit sollten die Industriestaaten ihre eigenen Emissionen deutlich reduzieren und den Entwicklungsländern die benötigte finanzielle und technologische Unterstützung für größere Projekte zur Abschwächung der Klimafolgen zukommen lassen.
Chandrashekhar Dasgupta
© 2007 Yale Center for the Study of Globalization
Der Botschafter Chandrashekhar Dasgupta führte die indische Delegation bei den Verhandlungen über das UN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen. Zurzeit ist er Distinguished Fellow am Energy and Resources Institute, Neu- Delhi.