Klimatreffen im Schatten des Nahost-Kriegs
Noch im vergangenen Jahr schien es neue Maßstäbe zu setzen: das gemeinsame Ökostromprojekt zwischen den einst verfeindeten Staaten Jordanien und Israel, die erst seit Mitte der 1990er Jahre – politisch eher unterkühlt – offizielle Beziehungen zueinander unterhalten. Das Vorhaben, so seinerzeit die Hoffnung, könnte eine umweltfreundliche Politik und zugleich eine generell bessere Zukunft im Nahen Osten anstoßen.
Noch bei einem Besuch in der Region im Juni vergangenen Jahres hatte sich der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck von dem so genannten "Wasser-für-Energie"-Projekt sehr angetan gezeigt. Funktioniere es wie geplant, sei das Abkommen ein positives Beispiel für die Zusammenarbeit der arabischen Staaten mit Israel. Und es könne ein Impuls für Kooperation statt Konfrontation sein.
Ursprünglich sollte der Vertrag auf der am Donnerstag (30.11.2023) beginnenden Klimakonferenz COP28 in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterzeichnet werden. Doch inzwischen scheint das Projekt, auf dessen Grundlage Jordanien Israel mit Solarenergie versorgen und Israel im Gegenzug entsalztes Wasser nach Jordanien liefern soll, gescheitert.
"Wir werden dieses Abkommen nicht mehr unterzeichnen", hatte der jordanische Außenminister Aiman Safadi am vergangenen Donnerstag (16.11.2023) in einem Fernsehinterview auf Al Jazeera erklärt. Seine Begründung: "Können Sie sich vorstellen, dass ein jordanischer Minister neben einem israelischen Minister sitzt, um ein Wasser- und Stromabkommen zu unterzeichnen, während Israel weiterhin Kinder in Gaza tötet?!"
"Nicht im luftleeren Raum"
Die COP28 ("Conference of the Parties") bringt sämtliche Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen zusammen. Darum gilt sie als eine der weltweit wichtigsten internationalen Konferenzen zum Klimawandel.
Doch das Scheitern des israelisch-jordanischen Projekts lässt befürchten, dass der Konflikt zwischen Israel und der militant-islamistischen, in Deutschland, der EU, den USA und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuften Hamas auch für die COP28 einige politische "Kollateralschäden" nach sich ziehen wird.
"Internationale Klimapolitik und Klimamaßnahmen finden nicht im luftleeren Raum statt", sagt Ruth Townend, Expertin für Klimapolitik beim britischen Thinktank 'Chatham House': "Die Positionen der einzelnen Regierungen sind geprägt durch den breiteren geopolitischen Kontext."
Beobachter gehen davon aus, dass der Konflikt zwischen Israel und der Hamas den Verlauf der COP28 auf ganz unterschiedliche Weise beeinflussen dürfte. So könnte die Sicherheit des mit 70.000 Delegierten bislang größten Gipfels dieser Art zu einer erheblichen organisatorischen Herausforderung werden.
Zwar kam es in den VAE – einer straff geführten Monarchie, die Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International zufolge keine unautorisierten oder regierungsfeindlichen Proteste zulässt – bislang nicht zu gewalttätigen, israelfeindlichen Protesten wie sie in anderen Ländern der Region zu sehen waren. Auch hat bislang kein Land mit Blick auf Dubai Reisewarnungen ausgesprochen.
Dennoch zeigen sich manche Länder und auch einige internationale Unternehmen besorgt. So warnte die Schweizer Bank UBS Anfang November ihre Mitarbeiter generell vor Geschäftsreisen in den Nahen Osten.
Israel hatte ursprünglich geplant, rund 1000 Delegierte nach Dubai zu entsenden. Auch der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu wäre für Anfang Dezember in Dubai erwartet worden. Mehreren Medienberichten zufolge soll die israelische Delegation nun aber zumindest verkleinert werden.
Proteste offenbar möglich
Auch während des Gipfels könnte es womöglich zu Protesten kommen. Die VAE kündigten an, umweltbezogene Proteste zuzulassen. Diese könnten indirekt durchaus auch die Notlage im Gazastreifen zur Sprache bringen, schrieb Mitte Oktober Frederic Wehrey, Senior Fellow im Nahost-Programm des 'Carnegie Endowment for International Peace'.
"Sie könnten die Aufmerksamkeit darauf lenken, wie eine eskalierende israelische Invasion mit der damit einhergehenden Zerstörung der Wasserinfrastruktur und -versorgung sowie massiver Vertreibung die ohnehin große Verletzbarkeit der Palästinenser durch die Auswirkungen des Klimawandels auf katastrophale, über Generationen sich erstreckende Weise zusätzlich steigern wird", so Wehrey.
Auch die Finanzierung von Klimainitiativen könnte beeinträchtigt werden, meinen Experten. Hält der Konflikt in Nahost an oder weitet er sich sogar aus, könnte sich das negativ auf die gesamte Weltwirtschaft auswirken, warnt der Internationale Währungsfonds.
Durch den Konflikt könnte sich nämlich indirekt auch mit entscheiden, wie viel Geld insgesamt global für die Bekämpfung des Klimawandels zur Verfügung steht und wie die reicheren – klimapolitisch teilweise bereits fortgeschrittenen – Länder über einen finanziellen Ausgleich für ärmere, umweltpolitisch weniger entwickelte Länder denken.
Auch könnte der Israel-Hamas-Krieg die Haltung einiger Länder hinsichtlich neuer Umweltschutzvereinbarungen beeinflussen. So könnten hochrangige Diplomaten sich derzeit mehr auf die Gewalt in Gaza als auf COP28 konzentrieren.
Zudem könnten die Unterhändler einiger Länder weniger kompromissbereit gegenüber Amtskollegen sein, deren Länder politisch eher auf der anderen Seite des Konflikts in Nahost stehen.
"Aufgrund der Haltung der westlichen Welt in diesem Konflikt müssen die westlichen Länder nun auch zeigen, dass sie ernsthaft an multilateraler Entwicklung und dem globalen Kampf gegen den Klimawandel interessiert sind", sagt Federico Tassan-Viol vom italienischen Think Tank 'Ecco' im DW-Interview. "Sie müssen glaubwürdig demonstrieren, dass sie bei ihren außenpolitischen Entscheidungen an den Multilateralismus glauben."
Tatsächlich könne dies sogar eine Gelegenheit für eine engere Zusammenarbeit sein, so Tassan-Viol. Er sieht in solchen Verhandlungen auch "eine Chance, Frieden und Sicherheit zu erreichen".
Business as usual?
Trotz aller Herausforderungen gehen die meisten Beobachter davon aus, dass sich die VAE bemühen werden, das Thema Klimawandel möglichst losgelöst vom Nahostkrieg zu erörtern.
Das UN-Klimagremium sei nicht der UN-Sicherheitsrat, sagt Tassan-Viol. "Darum nehme ich nicht an, dass die Delegierten sich von der internationalen Polarisierung hinsichtlich des Gaza-Konflikts über Gebühr beeindrucken lassen."
Ruth Townend vom 'Chatham House' hofft dies sogar – denn das Thema Klimawandel sei ernst und dringlich und dürfe daher keiner politischen Polarisierung zum Opfer fallen: "Mit den zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels werden wir leider immer mehr Katastrophen, Spannungen und Konflikte um knappe Ressourcen erleben", so Townend.
"Regierungen und politische Entscheidungsträger müssen daher Wege finden, um zusammenzuarbeiten und Kompromisse zu schließen, um die Klimarisiken anzugehen." Dies dürfe nicht an anderen politischen Herausforderungen scheitern, so tragisch und dringlich diese auch seien.
© Deutsche Welle 2023
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp