Keine Aussichten auf Frieden
Die eskalierende Gewalt im Sudan hat zu einer katastrophalen humanitären Krise geführt. Nach mehr als drei Monaten heftiger Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee (Sudanese Armed Forces, SAF) und den Milizen der RSF (Rapid Support Forces) verfestigt sich der Krieg im Sudan immer mehr, bilanziert Analyst Ahmed Soliman, Horn von Afrika-Experte der Londoner Denkfabrik Chatham House, im Interview mit der Deutschen Welle (DW).
"Die schlimmsten Kämpfe finden rund um Khartum und die umliegenden Städte statt, aber auch in Darfur." Dort komme es zu verheerender Gewalt mit der Zerstörung von Siedlungen, Infrastruktur, massiven Vertreibungen und schweren Menschenrechtsverletzungen, sagt Soliman.
Seit Beginn des blutigen Konflikts Mitte April wurden nach neuesten Zahlen der UN-Organisation für Migration (IOM) bereits mehr als drei Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR warnte bereits vor einem "umfassenden Bürgerkrieg" und einer "Destabilisierung" der gesamten Region.
Unter den Flüchtlingen seien zwei Millionen Binnenvertriebene, darunter über eine Million Kinder, so Soliman. Allein 180.000 Menschen seien aufgrund der Gewalt in der Krisenprovinz Darfur in das westliche Nachbarland Tschad vertrieben worden.
Laut Soliman hat die Gewalt in Darfur ethnische Wurzeln. Sie folge den zyklischen Mustern der Gewalt der vergangenen 20 Jahre, die die Menschen dort erlebt hätten: "Es gibt keine schnelle Lösung in diesem blutigen Konflikt."
Keine Bereitschaft, den Krieg zu beenden
Seit Mitte April ringen im Sudan Armeechef Abdel Fattah al-Burhan und sein Widersacher, RSF-Anführer Mohamed "Hemeti" Dagalo, mit Gewalt um die Macht. Alle Versuche, die Lage zu beruhigen, sind bislang gescheitert. Vereinbarte Feuerpausen zwischen den beiden Kriegsparteien wurden gebrochen, die heftigen Kämpfe zwischen Armee und Miliz lassen keinen Raum für stabile Vereinbarungen: Bislang hätten alle Vermittlungsversuche nicht viel gebracht, kritisiert Experte Soliman.
Zuletzt hatte am 10. Juli die ostafrikanische Regionalgemeinschaft IGAD zu einer Friedenskonferenz in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba geladen. Weder Al-Burhan noch Dagalo nahmen an dem Treffen teil. Während die RSF immerhin einen Vertreter nach Addis Abeba entsandte, schlug Sudans Regierung die Teilnahme aus.
Seine Vertreter seien erst dann zu Friedensgesprächen bereit, wenn Kenia den Vorsitz unter den regionalen Vermittlerstaaten abgebe, erklärte das sudanesische Außenministerium und warf Kenia Parteilichkeit in dem Konflikt vor. Die Regierung in Nairobi habe "die Positionen der RSF-Miliz übernommen, ihren Mitgliedern Unterschlupf gewährt und ihnen verschiedene Formen der Unterstützung angeboten", heißt es in der Erklärung aus Khartum.
Auch die Gespräche im saudischen Jeddah im Mai waren ohne Ergebnis geblieben. Horn von Afrika-Experte Soliman kommt deshalb zu folgendem Schluss: Beide Kriegsparteien konzentrierten sich darauf, den Anderen strategisch-militärisch zu besiegen. "Das ist ihr vorrangiges Ziel", lautet sein Fazit. "Sie sind derzeit nicht bereit, den Krieg zu beenden und dem Frieden Vorrang einzuräumen."
Das sieht Youssif Izzat komplett anders. Er ist der politische Berater von RSF-Anführer Dagalo. In einem Interview mit der DW beschuldigt Izzat die Gegenseite, nicht auf Verhandlungsangebote eingehen zu wollen.
Es habe bei den Gesprächen in Saudi-Arabien Einigkeit über einen Waffenstillstand in den Delegationen beider Seiten geherrscht, so Izzat. Doch einige Armee-Kommandeure aus dem Süden des Sudan hätten die Vereinbarung nicht akzeptiert: "Die Luftwaffe bombardiert weiter und greift an, obwohl wir einen Waffenstillstand unterzeichnet hatten", sagt Izzat. Der RSF-Berater bestreitet im Interview, dass es im Konflikt um einen persönlichen Machtkampf zwischen zwei Generälen gehe. Vielmehr gehe es um die Zukunft der Armee und des gesamten Sudan. (Alle Anfragen an General Al-Burhan und die sudanesische Armee wurden nicht beantwortet, daher kann ihre Position hier nicht wiedergegeben werden, Anm. der Red.)
Al-Burhans leeres Versprechen
Einst standen Al-Burhan und sein ehemaliger Stellvertreter Dagalo auf derselben Seite. 2019 hatten sie nach Massenprotesten der Bevölkerung gemeinsam den langjährigen Machthaber Omar al-Baschir abgesetzt. Dann kam es zum Putsch gegen die zivile Übergangsregierung vor anderthalb Jahren, an dem ebenfalls beide beteiligt waren.
General Al-Burhan ernannte sich selbst daraufhin zum Vorsitzenden eines Übergangsrats und Dagalo zu seinem Vize. Er versprach, die Macht wieder an eine frei gewählte Regierung abzugeben. Doch ein Übergangsabkommen wurde bisher nicht in die Tat umgesetzt, obwohl es einen Fahrplan für die Bildung einer zivilen Regierung enthält.
Laut Dagalo-Berater Izzat hat der Konflikt die Unterstützer des politischen Prozesses in Richtung Demokratie und die Anhänger des alten Regimee gegeneinander ausgespielt. Militante Islamisten hätten die Situation zusätzlich verschärft. "Jetzt ist es an der Zeit, dass der Sudan wirklich unabhängig wird. Wir müssen als Land eine neue Richtung einschlagen. Wir wollen nicht, dass Terrorismus und der IS zurückkommen", sagt der Berater der für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlichen RSF-Milizen.
Border facilities are overcrowded, further stretching already limited resources.
Humanitarians continue to assist people in need despite challenges. pic.twitter.com/gfGFDjO3E6— UN Humanitarian (@UNOCHA) July 13, 2023
Die Ursachen des Krieges im Sudan sollten diskutiert werden, meint Youssif Izzat. "Wir müssen uns über eine neue Politik einigen, alle Institutionen reformieren und ein demokratisches, föderales System für das Land schaffen. Das ist unser Ziel."
Wenn es nach dem Willen der RSF ginge, sollten sofort politische Verhandlungen zwischen allen Sudanesen beginnen: "Wir glauben, dass der einzige Weg zur Lösung des Problems nicht in einer diktatorischen Regierung besteht oder darin, dass eine einzelne Person das Land regiert." Vielmehr stehe die RSF-Miliz für ein demokratisches System, in dem sich die Vielfallt des Landes widerspiegele und die Identität aller Sudanesen anerkannt werde, behauptet der Dagalo-Berater.
Handeln im eigenen Interesse
Im Widerspruch zu Izzats Behauptungen ist allerdings nicht klar, ob überhaupt einer von den beiden Playern auf der Seite der Demokratisierung steht. Sowohl die RSF-Miliz als auch die Armee versuchen, sich immer wieder als Bewahrer demokratischer Werte darzustellen. Aus Sicht des Londoner Experten Ahmed Soliman geht es in diesem brutalen Machtkampf jedoch nicht primär um Politik, sondern um wirtschaftliche Interessen. Die sudanesische Armee SAF und die RSF-Miliz seien die beiden größten Arbeitgeber in dem nordostafrikanischen Land, was alle Prognosen über ein Ende des Krieges schwierig mache.
Gelegenheiten für einen anhaltenden Waffenstillstand hätte es genügend gegeben: Keine Partei habe einen humanitären Korridor ermöglicht, der aber für eine anhaltende Waffenruhe notwendig wäre. Die SAF habe den Vorteil, Unterstützung aus Ländern der Region zu erhalten. Außerdem verfüge die Armee langfristig über die bessere Logistik und sie attackiere Zivilisten mit Bombenangriffen. Es gebe klare Zeichen, dass Islamisten und Mitglieder des früheren Regimes einen Sieg der Armee begrüßen würden, sagt Soliman.
RSF-Anführer Mohammed Hamdan Dagalo könne kaum zurück, da er für das Amt des Präsidenten kandidieren wolle, sobald Wahlen stattfinden, meint der Analyst. Allerdings hat seine Reputation womöglich schon zu stark gelitten, so dass seine Wahlchancen schlecht sind, unabhängig davon, wie der Konflikt ausgeht.
"Die RSF-Miliz trägt erhebliche Verantwortung für diesen blutigen Krieg,“ sagt Soliman, "Sie hat schreckliche Menschenrechtsverletzungen begangen, auch mit Unterstützung der russischen Wagner-Gruppe, die die RSF logistisch unterstütze. Falls jetzt ihr Anführer Jewgeni Prigoschin nach seinem gescheiterten Aufstand gegen Russlands Präsident Putin an Einfluss verliere, sei unklar, ob es zu weiteren Waffenlieferungen an die Dagalo-Truppe kommt.
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Mitarbeit: Wendy Bashi