Nahost wäre Schauplatz des neuen Kalten Kriegs
Während sich die Tonlage zwischen Russland und dem Westen in der Krim-Krise verschärft, macht immer öfter das Wort vom Kalten Krieg die Runde. Eine Neuauflage der Ost-West-Konfrontation hätte unabsehbare Folgen, nicht nur für Sicherheit und Stabilität in Europa. Sollte es tatsächlich zu einem neuen Kalten Krieg kommen, wären die Auswirkungen auch im Nahen und Mittleren Osten unmittelbar zu spüren. Die Region könnte erneut zum Schauplatz eines machtpolitischen Kräftemessens zwischen Washington und Moskau werden.
Erste Anzeichen für ein solches amerikanisch-russisches Great Game in Nahost sind schon jetzt erkennbar. In den vergangenen Jahren hat Russland gezielt seine Präsenz in der Region ausgebaut. Dass die Beziehungen der USA zu einigen ihrer wichtigsten regionalen Partner, allen voran Saudi-Arabien, aber auch Israel und Ägypten, merklich abgekühlt sind, spielt Moskau dabei in die Hände. Ganz im Zeichen von Putins neoimperialer Agenda zielt die russische Nahostpolitik darauf ab, Russlands Einflussbereich auszuweiten, neue Märkte zu erschließen und einem – aus Kreml-Sicht – missliebigen westlichen Interventionismus einen Riegel vorzuschieben, der wie im Fall der Libyen-Intervention unter dem Deckmantel der sogenannten Schutzverantwortung daherkommt.
"Great Game" in Nahost
Kulminationspunkt dieser Politik bildet Russlands unnachgiebige Haltung im Syrien-Konflikt. Die rückhaltlose russische Unterstützung des Damaszener Regimes erlaubt Assad, sich an der Macht zu halten. Vor allem aber macht sie Moskau zu einem unverzichtbaren Akteur in der Bewältigung der Syrien-Krise. Eine wichtige und zugleich ambivalente Rolle spielen die Russen auch bei den Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm. In der Vergangenheit scherte Russland mehrfach – zum Teil gemeinsam mit China – aus dem Konsens der Verhandlungsgruppe aus, um Sanktionen gegen Iran zu verhindern.
Auch im Hinblick auf ein permanentes Abkommen zum Atomprogramm, das bis zum 20. Juli unter Dach und Fach sein soll, sind noch lange nicht alle Differenzen zwischen Russland und den westlichen Staaten der Verhandlungsgruppe ausgeräumt.
Moskaus gestiegener Einfluss in der Region beschränkt sich jedoch nicht auf die Syrien-Krise und den Nuklearkonflikt. Auch in Ägypten, das nach Sadats Abkehr von Nassers pro-sowjetischem Kurs den außenpolitischen Orbit Russlands verlassen hatte, fasst Moskau wieder zunehmend Tritt.
Dass die USA nach der Entmachtung von Ex-Präsident Mursi durch die ägyptische Armee ihre Militärhilfen für Kairo um mehrere Hundert Million Dollar kürzten, diente Russland als Steilvorlage. Denn bei der Zusammenarbeit mit seinen regionalen Partnern orientiert sich Moskau einzig und allein an machtpolitischen Interessen. Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz haben in dieser Gleichung nichts verloren.
(Energie-) Politische Interessen
Erst Mitte Februar reiste Ägyptens Armeechef Al-Sissi nach Moskau, um einen zwei Milliarden Dollar schweren Rüstungsdeal zu verhandeln. Besonders bemerkenswert: Ohne massive finanzielle Unterstützung aus Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten könnte das wirtschaftlich marode Ägypten sich das kostspielige Waffengeschäft niemals leisten. Dass Riad dem Deal mit Russland zugestimmt und die Mittel dafür teilweise bereit gestellt hat, kann wohl auch als Nadelstich des wahabitischen Königreichs gegen die USA verstanden werden.
Trotz einiger Belastungsproben – Moskaus eher pro-palästinensische Haltung im Nahost-Konflikt und seine Iran-Politik sind der israelischen Regierung seit Langem ein Dorn im Auge – haben sich auch die Beziehungen zwischen Russland und Israel in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Neun Monate vor Obamas erstem Israel-Besuch war Putin im Juni 2012 in Tel Aviv und Jerusalem zu Gast.
Im darauffolgenden Februar unterzeichnete der russische Energieriese Gazprom einen 20-Jahres-Vertrag zur Exklusivvermarktung von Flüssiggas aus dem israelischen Offshore-Feld Tamar. Mit Sicherheit kein Zufall. Denn Gazprom versucht, die Gasströme von den gewaltigen Gasfeldern im östlichen Mittelmeer nach Europa zu kontrollieren und so potenzielle Konkurrenten in Schach zu halten. Dass diese Strategie nur mit belastbaren Beziehungen zu Jerusalem aufgehen kann, liegt auf der Hand.
Energiepolitisch konnte Moskau auch im Irak – bis zum Sturz Saddam Husseins einer der wichtigsten Brückenköpfe Russlands in der Region – verlorenen Boden gut machen. Lukoil, der größte russische Mineralölkonzern, sicherte sich in den vergangenen Jahren eine Reihe lukrativer Verträge, unter anderem über den Abbau des Ölfeldes West-Kurna 2. Dass Russland auch in den Golfstaaten seine Präsenz ausgeweitet hat, passt ins Bild. 2007 besuchte Putin – als erster russischer Staatschef überhaupt – die Staaten des Golfkooperationsrats (GCC) und gab den Startschuss für eine kontinuierliche Vertiefung der Beziehungen, die 2011 mit dem Strategischen Dialog GCC–Russland institutionalisiert wurde.
Was also bedeutet es für den Nahen und Mittleren Osten, wenn sich die aktuellen Spannungen zwischen Moskau und Washington zu einem neuen Kalten Krieg auswachsen?
Kurzfristig könnte Russland sowohl den Syrien-Konflikt als auch die Nuklearverhandlungen nutzen, um Druck auf die USA auszuüben. Aus Moskauer Sicht wäre es ein naheliegender Schachzug, sich kooperatives Verhalten auf beiden Feldern durch Zugeständnisse im Hinblick auf die Ukraine abkaufen zu lassen. Sollten die USA sich darauf nicht einlassen, könnte Russland etwa seinen Druck auf Assad reduzieren, bei der Vernichtung des syrischen Chemiewaffen-Arsenals zu kooperieren, und so die Umsetzung des im August 2013 geschlossenen C-Waffen-Abkommens de facto unterminieren.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Moskau die Verhandlungen mit dem Iran aus taktischem Kalkül scheitern lässt, scheint indes gering, denn eine dauerhafte Lösung des Atomstreits wäre auch in russischem Interesse. Nichtsdestotrotz könnte Russland versuchen, eine amerikanisch-iranische Annäherung zu konterkarieren, indem es die eigenen Beziehungen zu Teheran stärker ausbaut. Dabei dürfte Moskau auf umfangreiche Kooperationsangebote an den Iran setzen. Bereits im Januar kursierten Berichte, Russland und Iran verhandelten über einen Oil-for-Goods-Deal, der der Islamischen Republik im Gegenzug für Öllieferungen an Moskau russische Waren garantiert.
Als Garant für Sicherheit keine Alternative zu USA
Mittelfristig könnte ein neuer Kalter Krieg erneut zu einer Lagerbildung im Nahen und Mittleren Osten führen: Amerikas Alliierte gegen Russlands Verbündete. In einer Region, die angesichts vielfältiger politischer, religiöser und ethnischer Konfliktlinien schon jetzt von tiefem Misstrauen unter den regionalen Akteuren geprägt ist, wäre eine zusätzliche Spaltung fatal. Denn die ohnehin schwierige Zusammenarbeit bei der Lösung regionaler Probleme würde deutlich erschwert, die Schaffung umfassender kooperativer Sicherheitsstrukturen so gut wie unmöglich gemacht.
Fest steht: Saudi-Arabien und andere Golfstaaten ebenso wie Ägypten und Israel mögen aus ihrer Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen US-Politik keinen Hehl machen, gar mit Russland flirten. Als Garant regionaler Sicherheit kommt auf absehbare Zeit jedoch nur Washington infrage. Auch in puncto wirtschaftliche Attraktivität ist Russland angesichts seiner noch immer starken Rohstoffabhängigkeit und seiner zweitklassigen Industrieprodukte Lichtjahre von den USA entfernt. Wer es sich leisten kann, kauft nach wie vor lieber amerikanische als russische Rüstungsgüter.
Dass es auch um die russische soft power im Nahen und Mittleren Osten nicht gut bestellt ist, ist mehr als nur eine Randnotiz wert. Viele Menschen in der arabischen Welt begrüßten die Entmachtung Janukowitschs, weil sie in ihr einen Schlag gegen die Schutzmacht des verhassten Assad-Regimes in Moskau sahen. Sollten die Minderheitsrechte der muslimischen Krim-Tataren bei einem Anschluss der Halbinsel an Russland verletzt werden, würden antirussische Ressentiments innerhalb der arabischen Bevölkerungen weiter genährt.
Nora Müller
© Zeitonline 2014
Nora Müller ist Programmleiterin im Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung in Berlin.
Redaktion: Loay Mudhoon/Qantara.de