Explosion in Beirut: Was wir wissen und was nicht

Die Ursache für die massive Detonation in Beirut scheint klar, der Auslöser jedoch nicht. Viele Fragen sind noch offen. Die Regierung will offenbar schnell Antworten liefern.

Von Uta Steinwehr & Kersten Knipp

Was ist passiert?

Gegen 18 Uhr Ortzeit am Dienstagabend gab es eine Explosion im Hafenbereich der libanesischen Hauptstadt Beirut. Darauf folgte ein Feuer, einige kleine Explosionen und schließlich eine gewaltige Detonation, der eine massive Druckwelle folgte.

Nach Angaben des Roten Kreuzes von Mittwochvormittag wurden mindestens 100 Menschen in der libanesischen Hauptstadt getötet und mehr als 4000 weitere verletzt.

Ministerpräsident Hasan Diab sagte am Dienstag, 2750 Tonnen beschlagnahmtes Ammoniumnitrat seien explodiert. Das Material sei seit sechs Jahren ohne Vorsichtsmaßnahmen in einem Lagerhaus untergebracht gewesen. Es gibt Vermutungen, dass es sich dabei um die Ladung eines Schiffes handeln könnte, das sich damals auf dem Weg von Georgien nach Mosambik befand. Zu den Umständen, warum die Ladung konfisziert wurde, gibt es jedoch unterschiedliche Angaben.

Diab versprach in einer Rede an die Nation, dass die Verantwortlichen für die Katastrophe "dafür bezahlen" werden. Die Ursache für die Explosion nannte er auch an diesem Mittwoch in einer kurzen Fernsehansprache nicht.

Wofür wird Ammoniumnitrat gebraucht?

Ammoniumnitrat ist ein geruchsloses Salz, das in der Landwirtschaft und im Bau benötigt wird: zur Herstellung von Düngemittel und Sprengsätzen.

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Wie konnte es sich entzünden?

Wieso das Ammoniumnitrat explodierte, ist noch nicht klar. Chemie-Professorin Jimmie Oxley von der Universität in Rhode Island sagte der Nachrichtenagentur AFP, unter normalen Lagerbedingungen und bei mäßigen Temperaturen entzünde sich Ammoniumnitrat nur schwer. Sie vermutet eine kleine Explosion, die die Reaktion des Ammoniumnitrats in Gang setzte.

Experten für Explosionen und explosive Stoffe analysierten für die Nachrichtenagentur AP Videoaufnahmen. Ihnen zufolge könnte es sich bei der ersten kleineren Detonation und dem Feuer um brennende Feuerwerkskörper handeln.

Normalerweise wird die Chemikalie unter strengen Bedingungen gelagert, das Salz darf nicht in die Nähe von Brennstoffen oder Wärmequellen gelangen. In vielen EU-Ländern muss Ammoniumnitrat zur Sicherheit mit Kalk gemischt werden. Die Substanz führte in den vergangenen Jahrzehnten bereits zu zahlreichen gefährlichen Explosionen - bei Industrieunfällen und Anschlägen.

Könnte es ein Anschlag sein?

Von den libanesischen Behörden gibt es keine öffentlichen Hinweise dazu, dass die Explosion absichtlich herbeigeführt wurde. 

Am späten Dienstagabend sagte US-Präsident Donald Trump, US-Generäle hätten ihm mitgeteilt, dass die Explosionen anscheinend durch "irgendeine Art Bombe" verursacht worden seien. "Es sieht aus wie ein schrecklicher Angriff", sagte Trump. Als ein Pentagon-Sprecher nach den Bemerkungen des Präsidenten gefragt wurde, sagte er der Nachrichtenagentur AFP: "Wir haben nichts für Sie" und "Zur Klärung müssen Sie sich an das Weiße Haus wenden."

Nach Angaben eines Sprechers des Auswärtigen Amtes in Berlin scheine es sich "um ein schreckliches Unglück zu handeln". Die Bundesregierung habe dazu aber "keine eigenen Kenntnisse" und wolle sich "nicht an Spekulationen beteiligen".

Wie ist die Situation vor Ort?

Der Gouverneur Marwan Abboud sagte, zwischen 250.000 und 300.000 Menschen hätten durch die Zerstörung ihr Zuhause verloren. Laut Abboud hatte schon 2014 ein Sicherheitsbericht vor einer Explosion in Beirut gewarnt, da hochexplosives Material nicht korrekt gelagert würde.

Rettungskräfte suchen unter den Trümmern weiter nach Opfern. In der Nacht beeinträchtigte ein Stromausfall in weiten Teilen der Stadt die Suche. Aus Sicherheitskreisen heißt es, dass noch mindestens 100 Menschen vermisst werden. Mehrere Staaten haben Hilfe angeboten und schicken Ausrüstung, Experten und ausgebildete Hunde für die Suche nach Verschütteten.

Die ohnehin schon durch die Corona-Pandemie überlasteten Krankenhäuser der Stadt waren durch die Einlieferungen der zahlreichen Verletzten komplett überfordert. "Es ist eine Katastrophe im wahrsten Sinne des Wortes", sagte Gesundheitsminister Hamad Hassan.

Warum sind die Schäden so groß?

Berichten zufolge war die Detonationen im gesamten Land zu hören - und auch im 240 Kilometer entfernten Nikosia auf der Mittelmeerinsel Zypern. Nach Angaben von Seismologen entsprach das Ereignis einem Erdbeben der Stärke 3,3. Die Explosion verursachte eine massive Druckwelle. Gebäude in der Nähe stürzten ein, auch am neun Kilometer entfernten Flughafen barsten Scheiben. Im Hafen sank ein libanesisches Kreuzfahrtschiff, wobei zwei Crewmitglieder starben. Die Schockwelle soll die Wucht eines Tornados gehabt habe. Die Regierung geht in einer ersten Schätzung von Schäden in Höhe von drei bis fünf Milliarden US-Dollar aus. Die Lagerhalle befand sich in der Nähe eines Einkaufs- und Vergnügungsviertels.

Dieser Artikel wird bei neuen Erkenntnissen aktualisiert.

Uta Steinwehr & Kersten Knipp

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