Löcher in Zäunen finden
Die Vorstellung, Magie könne irgendetwas mit Religion zu tun haben, ist den meisten Glaubenssystemen ein Gräuel. Niemand mag die himmlische Handlung seiner Götter oder Propheten durch die Assoziation mit etwas schmälern, das bestenfalls als das Werk von Scharlatanen und schlimmstenfalls als schwarzer Kult mit dämonischen Konnotationen erachtet wird. Der Titel von Michael Muhammad Knights neuem Werk "Magic in Islam", erschienen bei Penguin/Random House, mutet daher – gelinde gesagt – provokativ an.
Das allerdings wäre bei diesem Autor nichts Neues. Nicht umsonst nennt ihn das US-Magazin Publisher's Weekly den "Gonzo-Experimentalisten des Islam". Doch nach Lektüre seines jüngsten Werks bin ich davon überzeugt, dass diese Zuschreibung überdacht werden sollte. Zugegeben, er schreibt darüber, wie er in seinen Visionen – unter Drogen – erlebt, dass die Tochter des Propheten ihm seinen Glauben näher bringt. Doch dies ist nur eine schmale Facette seiner Persönlichkeit. Sein Buch handelt von der sogenannten "Magie". Der Titel bezieht sich zwar konkret auf den Islam, könnte aber vom Verhältnis jeder Religion zu okkulten, übernatürlichen oder anderen geheimnisvollen Mächten handeln.
Im Einklang mit seiner derzeitigen akademischen Stellung (er verfasste das Buch, während er an seiner Dissertation schrieb) nähert er sich dem Thema vorsichtig und behutsam. Zunächst stellt er klar, dass das Buch anfangs als Antwort auf die vielen anderen Publikationen zum Thema "Was ist Islam?" gedacht war. Sein grundsätzlicher Vorbehalt gegenüber den meisten Titeln fuße auf der Annahme, dass der Islam durch Betrachtung des Korans erläutert werden könne. Der Koran sei zwar ein wesentlicher Teil der Religion, so Knight, aber es gebe noch mehr als dieses eine Buch.
Kein Islam aus der Schublade
Wo also kommt hier die Magie ins Spiel? Zum Beweis, dass der Islam nicht so schablonenhaft ist, wie viele Menschen uns weismachen möchten (Muslime und Nicht-Muslime gleichermaßen), bemüht Knight das umstrittene Thema Magie, um aufzuzeigen, dass der Islam in anderen Philosophien wurzelt und nicht in einem Vakuum existiert. Laut Knight gibt es keine kurze und verbindliche Definition von Islam.
Um dies zu belegen, unternimmt er zunächst den Versuch, das Wort "Magie" zu definieren. Das ist in seinen Augen insofern problematisch, als dass das Wort stark subjektiv ist. Magie wird üblicherweise durch das definiert, was sie nicht ist. Als Beleg zitiert er verschiedene Gelehrte, Teile des Korans und andere kanonische Quellen, nach denen es bestimmte Handlungen gebe, die als "gute Magie" gelten können, da sie von Allah gewollt und vom Propheten überliefert wurden. Der Brauch, zu Heilungszwecken verschiedene Talismane in Amuletten zu tragen – üblicherweise als Zitate des Propheten – galt einst als untadelig.
Einige Islamgelehrte bestreiten zwar das Vorhandensein irgendwelcher Anklänge von Magie im Islam – auch weil sie den Vorwurf der Rückwärtsgewandtheit und "Unzivilisiertheit" vermeiden wollen – aber Knight geht nicht nur der Geschichte des Islam sehr gründlich nach, sondern deckt auch dessen Gegenwart auf.
Sehr scharfsinnig stellt er die Frage, wie man an etwas wie "schwarze Magie" glauben könne, wenn man gleichzeitig die Existenz von Magie bestreitet. Wenn das eine existiert, ist es dann nicht nur folgerichtig, dass das andere ebenfalls existieren muss? (Allerdings kann man diese Frage für jede Religion stellen.)
Auch mit Blick auf die Geschichte der Magie im Islam zeigt er auf, wie die Religion stets den Einflüssen der übrigen Welt ausgesetzt ist. Das Kapitel "Finding Hermes in the Koran" handelt vordergründig davon, wie der griechische Götterbote im Propheten Henoch wiederkehrt, der im Koran von Idris verkörpert wird. Knight macht hier jedoch nicht Halt, sondern geht weiter in der Geschichte zurück und zeigt auf, wie sich Hermes auf den noch älteren ägyptischen Gott Thoth zurückführen lässt.
Im selben Kapitel führt er aus, wie Henoch/Idris in der christlichen und jüdischen Religion eine ähnliche Funktion innehatte wie Hermes als Bote oder Stimme Gottes.
Knight konvertierte als Jugendlicher zum Islam, nachdem er die Autobiografie des ebenfalls konvertierten Bürgerrechtlers Malcolm X gelesen hatte. Es überrascht daher nicht, dass Knight tief im afro-amerikanischen Islam verwurzelt ist.
Vielen Menschen ist vermutlich die religiös-politische Organisation Nation of Islam (NOI) bekannt. Einige werden auch deren radikalen Ableger Five Percent Nation kennen. Das Kapitel "Coming of the Black God" knüpft hier an und nimmt uns mit auf eine sehr detaillierte Reise durch die Geschichte des US-amerikanischen Islam.
Eine ikonoklastische Stimme
Knight gesteht ein, dass viele dem afro-amerikanischen Islam seine Geltung absprechen. Doch er sagt auch "...Ich möchte nicht über die Grenzen der islamischen Authentizität oder 'Orthodoxie' wachen. Wenn ich etwas will, so möchte ich Geheimgänge graben oder Löcher in den Zäunen finden". Dieser Satz fasst die Zielsetzung seines gesamten Buchs treffend zusammen. Er will uns die Augen dafür öffnen, dass der Islam nicht die homogene Einheit ist, als die er oft dargestellt wird.
Sein Buch zeugt von einem profunden Wissen und einer peniblen Forschung (allein dieFußnoten umfassen 25 Seiten) als Beleg seiner Behauptungen. Womit das Buch allerdings abseits aller Fakten und Geschichtskenntnisse beeindruckt, ist die einzigartige und in gewisser Weise ikonoklastische Stimme seines Autors. Man kann sich einem Verfasser kaum entziehen, der einerseits die religiöse und soziale Geschichte des Nahen Ostens zur Zeit Mohammeds detailliert und minutiös rekonstruiert und im nächsten Augenblick von den Visionen spricht, die ihm den Islam unter Drogeneinfluss näher gebracht haben.
Knight selbst ist das überzeugendste Argument für die Vielfalt des Islams. Ganz gleich, wie beeindruckt wir von seiner Analyse der Fakten sind, noch beeindruckender ist der Mann selbst. Trotz seiner Fragen und Meinungen haben wir an keiner Stelle Anlass, an der Tiefe seiner Überzeugungen zu zweifeln.
Ja, dies ist ein Buch über Magie und Islam. Aber es ist noch viel mehr. Knight eröffnet uns nicht nur einen faszinierenden Einblick in das Wesen der Magie im Islam, er nimmt uns mit auf eine fesselnde Reise in die Geschichte und Entwicklung der Religion. Dieses Buch sollte Pflichtlektüre für jeden werden, der sich dem Islam mit einer anderen Einstellung nähern möchte. Einer Einstellung, die den Islam nicht auf eine einzige Schrift zu reduzieren sucht.
Richard Marcus
© Qantara.de 2016
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers
Michael Muhammad Knight: "Magic in Islam", Penguin Random House 2016, 256 Seiten, ISBN: 9780399176708