Würfelwurf eines Palästinensers
Der palästinensische Dichter Mahmoud Darwish galt als die poetische Stimme der Palästinenser. Jetzt ist sein Langgedicht "Der Würfelspieler" in einer deutsch-arabischen Ausgabe erschienenen. Stefan Weidner hat Darwishs literarisches Testament gelesen.
Die Poesie des vor einem Jahr im Alter von 67 Jahren gestorbenen des Palästinensers Mahmoud Darwish hat sehr unterschiedliche Phasen durchlaufen, von sehr eingängigen, vielfach vertonten Texten in den sechziger Jahren zu hochkomplexen, mit Mythen und Symbolen aufgeladenen Wortgebilden in den achtziger und neunziger Jahren.
Das jetzt in einer deutsch-arabischen Ausgabe erschienene Langgedicht "Der Würfelspieler", vereint das Beste aus beiden Phasen.
Wenn man dieses Gedicht liest, sollte man wissen, wer es geschrieben hat – am besten so wie die arabischen Leser. Gleich die ersten Zeilen sind ungeheuerlich, wenn man weiß, von wem sie kommen:
Wer bin ich, euch zu sagen
Was ich euch sage?
(…)
Ich bin ein Würfelspieler
Zuweilen gewinne, zuweilen verliere ich
Ich bin wie ihr
Oder ein bisschen weniger.
Ausgerechnet der größte palästinensische Dichter steigt in einem der letzten Texte vor seinem Tod vom Podest herab, das ihm seine Anhänger errichtet haben, und spricht als einer von ihnen, "oder ein bisschen weniger".
Freilich ist im Hintergrund noch eine andere Stimme am Werk: Es geht, wenngleich in bewusst einfacher Sprache, um die letzten Dinge, und somit steht "Der Würfelspieler" auch in der Tradition von Stéphane Mallarmés berühmten Gedicht "Un coup de dés" ("Ein Würfelwurf"), welches es zugleich erdet.
Man könnte das vierzigseitige Gedicht eine poetische Biographie nennen, die Suche des Dichters nach seiner Bestimmung und Identität in einer kontingenten, von Gott verlassenen Welt: "Wie leicht wäre es möglich, nicht zu sein!"
Positive Kraft Zufall
Der Zufall entpuppt sich jedoch überraschend als eine positive Kraft, die es möglich macht, die Geschichte anders zu denken. Dadurch werden all diejenigen Ideologen entlarvt, die der Geschichte einen tieferen Sinn zuweisen und ihren Verlauf als Bestätigung für ihr Weltbild und ihre Ansprüche nehmen – das im Heiligen Land und der Heimat Darwishs übliche Verfahren, einseitige Besitzansprüche geltend zu machen:
Zufällig lebten Chronisten
Und zufällig sagten sie:
Hätten die anderen die anderen besiegt
Bekäme die Geschichte der Menschheit
Andere Überschriften
Die persönliche Rückbindung zeitigt bewegende Momente, und auch hier wieder ist es gut, wenn man die Biographie schwer herzkranken Dichters kennt, der, ständig infarktgefährdet, dem Tod mehrfach von der Schippe gesprungen ist und schließlich doch bei einer Herzoperation starb:
Ich glaube an meine Begabung
Den Schmerz zu entdecken um zehn Minuten
Vorm Sterben den Arzt zu rufen (…)
Und das Nichts zu enttäuschen.
Wer bin ich, das Nichts zu enttäuschen?
Wer bin ich?
Der Verzicht auf die Zeichensetzung führt in der deutschen Fassung zu mancher Doppeldeutigkeit ("ich sage nicht weit von hier sei…" wo es heißen muss: "ich sage nicht, weit von hier sei"). Dennoch erschließt sich der Text auch anhand der deutschen Übersetzung. Ein einfühlsames Vorwort des Übersetzers Adel Karasholi, der mit Darwish lange befreundet war, rundet den Band ab.
Stefan Weidner
© Qantara.de 2009
Mahmoud Darwish: Der Würfelspieler. Gedicht. Aus dem Arabischen von Adel Karasholi. A1 Verlag, München 2009.
Qantara.de
Nachruf auf den Dichter Mahmoud Darwish
Verlust der letzten unumstrittenen Symbolfigur
Mahmoud Darwisch, der berühmteste palästinensische Dichter und einflussreichste zeitgenössische Lyriker der arabischen Sprache, ist im Alter von 67 Jahren gestorben. Darwish hatte den Kampf um eine palästinensische Unabhängigkeit immer wieder zum Thema gemacht und damit auch das Exil-Schicksal der Palästinenser beschrieben. Eine Würdigung von Stefan Weidner
Mahmoud Darwisch
Die poetische Stimme Palästinas
Die Werke des palästinensischen Lyrikers Mahmoud Darwisch sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Zwei Veröffentlichungen in deutscher Sprache bieten aufschlussreiche Einblicke in Leben und Werk des vielfach ausgezeichneten Dichters. Von Martina Sabra
Remarque-Friedenspreis für Darwisch und Bar-On
Auszeichnung für die Stimmen des Friedens
Mit dem Erich-Maria-Remarque- Friedenspreis werden belletristische, journalistische oder wissenschaftliche Arbeiten gewürdigt, die sich mit den Themen "Innerer und äußerer Frieden" beschäftigen. Samir Grees berichtet über die Gewinner aus dem Jahr 2003