Die Pressefreiheit hat einen schweren Stand
Die politische Kultur Malaysias erinnert ein wenig an das Deutschland der Adenauer-Ära: Hier wie dort eine Demokratie mit autokratischen Zügen, ökonomische Erfolge – und eine handzahme Presse. In Deutschland brachte damals Rudolf Augstein sein Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" als "Sturmgeschütz der Demokratie" in Stellung.
In Malaysia hätte er wohl keine Lizenz bekommen. Dort gehören Hörfunk und Presse entweder dem Staat, der seit 1957 regierenden "United Malays National Organization" (UMNO) oder gewogenen Medientycoons. Nur für das Internet ist keine Lizenz nötig, denn Malaysia hofiert die New Economy. Steven Gan nutzte die schwache Flanke des Informationskartells. Heute ist die Internetzeitung "Malaysiakini" so etwas wie das Sturmgeschütz der Demokratie in Malaysia.
Pressefreiheit - ein Fremdwort?
"Die Regierung hatte das Monopol auf Wahrheit, bis das Internet auf der Bildfläche erschien", sagt Chefredakteur Gan im Gespräch mit DW-WORLD. In Malaysia hält ein Mix aus
Lizenzpolitik, gesetzlichen Gängel-Instrumenten und vorauseilender Selbstzensur die Öffentlichkeit debattenfrei. Es herrscht Hofberichterstattung mit unvollständiger Informationslage. Premier Abdullah Badawi lässt nicht plump zensieren. "Wir haben eine Freiheit der Rede, aber keine Freiheit nach der Rede", sagt Gan.
Es gibt Gesetze gegen die Kritik an Gerichten oder gegen allgemeine Aufwiegelung. Der Internal Security Act (ISA) erlaubt gar zwei Jahre Haft ohne Verfahren. Jüngst für die Terrorbekämpfung verschärft, bedroht das Gesetz auch Dissidenten und missliebige Journalisten. Und ein Diffamierungsgesetz kann Kommentatoren in den Ruin treiben: Kritiker von Wirtschaftsbossen wurden zu horrenden Geldstrafen verdonnert.
Dieser virtuelle Laufstall aus rund 35 Gesetzen lähmt die geistige Beweglichkeit. Hinzu kommen handfeste Einschüchterungen, wie Gan sie im Januar 2003 erlebte.
Spiegel-Affäre a la Malaysia
Polizisten stürmten die Redaktion und forderten die Preisgabe eines Autoren, der im Internetforum geschrieben hatte. Eine Spiegel-Affäre a la Malaysia - nur das es nicht wie 1962 in Deutschland um Militärgeheimnisse, sondern um Kritik an der staatlichen Ethno-Politik ging: Malayen werden gegenüber den chinesischen und indonesischen Minderheiten begünstigt, kommen etwa leichter an Ausbildungsplätze.
Der Autor zog Parallelen zum rassistischen Ku-Klux-Klan. "Wir verraten keine Mitarbeiter oder Informanten", hielt Gan der Polizei entgegen. 19 Computer wurden konfisziert. Spontan formierten sich Mahnwachen, sogar Journalisten der Lizenzmedien gaben Solidaritätsadressen ab. Malaysiakini konnte weitermachen, der gesuchte Kritiker blieb unbekannt.
Ein Teilerfolg. Für ein Fanal der Pressefreiheit reicht der öffentliche Resonanzraum in Malaysia nicht. Aber Gan verspricht: "Malysiakini ist nach der Razzia geblieben, was es vorher war." Über Polizeigewalt wird ebenso berichtet wie über die Terror-Gesetze oder Geschlechterfragen.
Penible Faktenkontrolle ist für Malaysiakini eine Existenzfrage, entspricht aber auch dem Selbstverständnis. Gan will nicht Meinungsmache betreiben, sondern informieren, wo es sonst keiner tut.
Das kommt an: 100.000 Seitenaufrufe verzeichnet Malaysiakini pro Tag. Das Team besteht aus sieben Männern und fünf Frauen. Sie sind Autodidakten, eine Journalistenausbildung gibt es in Malaysia nicht.
Der gelernte Architekt Gan hatte nach Wanderjahren als "Back-Packer-Journalist" in Asien zunächst 1994 beim malaysischen Massenblatt "The Sun" angeheuert. Nach der Zensur einer Kolumne durch den Chefredakteur verließ er 1996 die Zeitung und gründete im aufkommenden Internetboom Malaysiakini.
Semi-Demokratie
Ökonomischer Fortschritt steht in Malaysia im Rang einer Staatsdoktrin. Je monumentaler, desto besser: Zwischen der Hauptstadt Kuala Lumpur und dem Flughafen soll bis 2020 ein 50 Kilometer langer "Multimedia Superkorridor" wachsen.
Ex-Premier Mohammed Mahatir brachte noch in den 90er Jahren dieses malaysische "Silicon Valley" auf den Weg. Der von ihm 2003 eingesetzte Nachfolger Badawi sorgt für Kontinuität, wirtschaftlich wie politisch. "Kein Unterschied, aber bessere PR", kommentiert Gan den Wechsel.
Dem smarten Islamwissenschafter gelang es immerhin bei den Wahlen im März, die Islamisten zurückzudrängen. Sie verloren drei Viertel ihrer 26 Sitze. Badawis UMNO legte zu und errang 90 Prozent der Mandate.
Die Sitzverteilung deutet an, warum Experten Malaysia als "Semi-Demokatie" bezeichnen. In den lizenzierten Massenmedien komme die Opposition kaum vor und wenn meist negativ, sagt Steven Gan.
Auch die Journalisten von Malaysiakini werden ausgeschlossen: Sie erhalten keine Presseausweise, was den Zutritt zu Pressekonferenzen schwierig macht. Doch einmal winkte Premier Badawi den Malasysiakini-Reporter jovial herein: "Come in!" Nett gemeint, keine schlechte PR. Aber Pressefreiheit bleibt in Malaysia bis auf weiteres unkalkulierbar und willkürlich.
Klemens Vogel
DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE © 2004