Provokation als Lebensprinzip
In der muslimischen Punk-WG in Buffalo, New York: Jeden Freitagnachmittag versammeln sich im Wohnzimmer die Muslim Punks zum Gebet. Ein Loch in der Wand, mit einem Baseballschläger hineingeschlagen, zeigt die Gebetsrichtung nach Mekka an. Sie rollen ihre Gebetsteppiche neben herumliegenden Bierflaschen und Pizza-Kartons aus. Jeder darf Imam sein: Mal übernimmt Feministin Rabeya, die eine Burka mit Aufnähern verschiedener Punk-Bands trägt und nur betet, wenn sie Lust hat.
Ein anderes Mal betet der ständig betrunkene Jehangir vor – mit Irokesenschnitt, Lederjacke und umhängender E-Gitarre. Sobald die Sonne untergeht, heißt es im Haus: Party, Sex und Punkrock.
So sieht der Alltag der Protagonisten in Michael Muhammad Knights Roman "Taqwacore" aus, der nun auf Deutsch erschienen ist. Schon der Titel weist auf eine hybride Kultur hin: ein Wortmix aus Gottesfurcht ("taqwa") und Hardcore.
Rebellion gegen Religion und Autorität
Zwei Welten treffen darin aufeinander: Islam und Punk. Aber es gibt keinen Knall. Sie vermischen sich zu einer neuen Muslim Punk Jugendkultur. Die Charaktere rebellieren gegen jede Form von organisierter Religion und Autorität.
Sie erschaffen sich ihren eigenen Islam, frei von religiösen Vorgaben und Gesetzen. Taqwacore, so erklärt der Ich-Erzähler Yusef, bedeute, absichtlich ein schlechter Muslim zu sein und Allah trotzdem leidenschaftlich zu lieben. Doch sind sie überhaupt noch Muslime? Oder sind sie längst zu Abtrünnigen geworden? Dies fragt sich Yusef immer wieder.
Die WG-Bewohner wollen Muslime sein, aber ihren amerikanischen Lebensstil und ihre anarchistische Punk-Haltung nicht aufgeben – eben "Punk Muslim American". Aus scheinbaren Gegensätzen basteln sie sich ein Mosaik zusammen, eine Islamo-Punk-Identität. Demnach ist es okay, in einem Atemzug "Alhamdulillah" und "Fuck" zu sagen. Es passt zusammen, den Koran zu lesen und dabei einen Joint zu rauchen.
In dieser Lebenswelt ist auch Platz für weibliche Imame und homosexuelle Muslime. "Allah ist so groß und weit, also kann mein Glaube nicht klein und engstirnig sein. Bin ich dadurch ein Kafir (Abtrünniger des Islam)? Ich sage: Allahu Akbar. Wenn das nicht reicht, dann scheiß' auf den Islam, Ihr könnt ihn behalten!", fasst Jehangir die anarchische Haltung der Taqwacores zusammen. Den perfekten Muslim gebe es nicht. Selbst der Prophet Mohammed habe eine dunkle Seite gehabt: "Du kannst sagen: Muhammadu rasulullah und trotzdem zugeben, dass er ein Pädophiler war, oder? (...) Dass Mohammed ein kranker Typ war, ist sogar total Punkrock."
"Irgendwo da draußen gibt es einen coolen Islam", sagt Rabeya. "Man muss ihn nur finden". Ihr hilft ihr schwarzer Filzstift bei der Suche. Damit streicht sie Vers 4:34 im Koran durch. "Wenn ich glaube, es sei falsch, seine Frau zu schlagen, und der Koran eine andere Meinung vertritt, dann scheiß' ich auf den Vers." Nun gefalle ihr der Koran viel besser.
Sie fordert Freiheit und Gleichberechtigung für muslimische Frauen. Warum sie komplett verschleiert ist, weiß wohl nur sie selbst. Und es verwirrt, weil die Burka eigentlich so gar nicht zu ihrem Verhalten "passt". In Michael Muhammad Knights Roman "Taqwacore" spricht sie über Verschleierung und Emanzipation, Enthaltsamkeit und weibliche Sexualität.
Lange habe sie sich überhaupt nicht getraut, an Sex zu denken, jeglichen Impuls wie einen Lichtschalter ausgeknipst. Doch die Zeiten sind vorbei: Auf einem Punk-Konzert im Haus sorgt sie für die wohl provokantste Szene im Buch – mit einem "Bühnen-Blowjob" in Burka.
"Ich will den Islam nicht aushöhlen"
Der Roman ist ein radikales Statement. Ist der Autor ein Islamhasser? Schließlich zieht er in seiner Geschichte alles in den Dreck, was "normalen" Muslimen heilig ist.
"Ich versuche nicht den Islam auszuhöhlen. Ich möchte ihn nur in meinem Leben möglich machen", sagt Knight. Der heute 35-Jährige wuchs als Katholik auf und konvertierte als Teenager zum Islam, nachdem er die Autobiographie von Malcolm X gelesen hatte. Mit 17 reiste er nach Pakistan, um in Moscheen und Koranschulen die islamische Lehren zu studieren. Streng nach den Regeln des dortigen orthodoxen Islam lebend, wollte er sogar zum Dschihadisten werden.
Doch Zweifel kamen auf, er stellte mit der Zeit alles radikal in Frage, sowohl den Koran als auch den Propheten Mohammed. "Ich war desillusioniert von der Religion, weil die muslimische Community nicht so war, wie ich sie mir vorgestellt hatte." Zurück in den USA lernte er am College neue Freunde kennen: "Ich hing mit Punk-Rockern ab. Sie waren offen, ehrlich und akzeptierten mich, wie ich war – und ich war nicht perfekt. Ich habe mir Muslime mit einem solchen Punk-Geist gewünscht."
In dieser Sinn- und Identitätskrise schrieb er "Taqwacore" – als seinen persönlichen Abschied vom Islam. "Ich habe mich sehr einsam und verloren gefühlt, als ich das Buch schrieb." Er entwarf darin seine Version eines "modernen" Islam, so wie er sich ihn wünschte. Doch was bedeutet es überhaupt, ein Muslim zu sein? Und wer definiert das? Fragen, die sich wie ein roter Faden durch seinen Roman ziehen.
Sehnsucht nach einem "coolen Islam"
Dass er mit seinen Gedanken und Zweifeln nicht allein ist, zeigen die Reaktionen der jungen muslimischen Generation in den USA. Sie nahm den Roman zum Missfallen konservativer Islamverbände begeistert auf. Die Jugendlichen finden sich darin wieder, weil sie ähnliche Identitäts- und Glaubenskonflikte erleben – Konflikte, die dadurch entstehen, dass sie amerikanisch und muslimisch zugleich sind. Auch sie sehnen sich nach einem "coolen Islam", der ihnen ihre "westlichen" Freiheiten lässt.
Im Roman etabliert sich eine Taqwacore-Szene mit zahlreichen Muslim Punk Bands. "Da gab es einen Jungen in Texas, der dachte das Ganze sei echt. Er wollte, dass ich ihm die Leute aus dem Buch vorstelle", schildert Knight eine Erfahrung mit einem Leser. "Ich sagte ihm, dass ich mir das alles nur ausgedacht habe. Taqwacore gibt es nicht. Und er sagte: Aber ich bin Taqwacore und war es schon immer." Der Junge gründete daraufhin eine Muslim Punk Band und benannte sie nach einer der Bands im Roman: "Vote Hezbollah".
"Muslime sind nicht alle gleich und es gibt viele Komplexe in der islamischen Welt", erklärt Knight. Heute habe er seinen "Frieden in Demut gegenüber Allah" gefunden. Als gläubiger Muslim, Islamwissenschaftler und Schriftsteller beschäftigt er sich weiterhin mit dem amerikanischen Islam.
In "Taqwacore" überschreiten seine Romanhelden Grenzen, an die Muslime auch im realen Leben stoßen. Nicht alle passen ins klassische Schema und praktizieren den Glauben – genau wie es bei anderen Religionen der Fall ist. Manche Muslime beten nicht, fasten nicht, andere trinken Alkohol, feiern exzessiv, haben außerehelichen Geschlechtsverkehr, sind homosexuell, essen vielleicht heimlich Salami ...
"Taqwacore" bedeutet in diesem Sinne auch Mut zu einem gescheiterten, aber kompromisslos ehrlichen Dasein als Muslim. Ohne eine Maske, die einen falschen Schein wahrt. Ohne Doppelmoral und Selbstbetrug. Ohne Angst, man selbst zu sein. Allen Muslimen, die an sich zweifeln, gibt der Ich-Erzähler daher einen weisen Rat: "Wenn du nicht betest, dann tue auch nicht so. Du brauchst keine Komplexe zu kriegen und zu denken, du wärst schlechter als all die Strenggläubigen auf der Welt. Sei Muslim nach deinen eigenen Bedingungen. Sag' der Welt, sie kann dich mal!"
Naima El Moussaoui
© Qantara.de 2012
Michael Muhammad Knight: "Taqwacore", übersetzt aus dem Englischen von Yamin von Rauch, Verlag Rogner & Bernhard 2012, 304 Seiten
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de