Wer es nicht schafft, ist selbst schuld
Am Flughafen warteten die üblichen Verdächtigen: Das Rote Kreuz und die Polizei. Doch dieser Flughafen war nicht Yakhia Falls Reiseziel. In Madrid oder Mailand hätte er landen wollen, nicht aber auf der staubigen Piste des Aeroport Léopold Sédar Senghor in seiner Heimatstadt Dakar.
Das Roten Kreuz impfte Fall und die anderen senegalesischen Rückkehrer, die Polizei nahm ihre Personalien auf und gab ihnen 10.000 westafrikanische Francs als "Begrüßungsgeld", umgerechnet rund 15 Euro. Nicht viel für einen, der vor mehr als einem Jahr aufgebrochen war, um in Europa das Glück zu suchen.
Endstation Ceuta
Die Reiseroute Falls ähnelt der vieler Afrikaner auf dem Weg nach Europa: Mit dem Flugzeug als "Tourist" nach Rabat, von dort über Umwege in Richtung Ceuta, dem Außenposten der Festung Europa. Dort hauste er in einem improvisierten Lager im Wald. Ein Jahr lang.
Fall sagt, er könne sich nicht mehr daran erinnern, wie oft er versucht hat, in die spanische Enklave auf marokkanischem Boden einzudringen: Über das Meer, über den Zaun, durch den Zaun hindurch. Jedes Mal, wenn einer der Schleuser abends seinen Namen vorlas, keimte bei Fall Hoffnung auf. Doch das ist jetzt vorbei:
"Ich hatte meine Chance, aber ich bin gescheitert", sagt der 27-Jährige. Das zu wissen, tue am meisten weh. Mehr als die Misshandlungen durch die marokkanische Polizei, die ihn und viele andere schwarze Afrikaner im Oktober 2005 in die Wüste verschleppt hatte.
Der senegalesische Staat, das zeigt das Hickhack um Rückführungsabkommen mit Spanien, nimmt die Auswanderer nur widerwillig zurück. Pape Niang vom Migrantenministerium erläutert die offizielle Haltung seiner Regierung: Auswanderung ja, aber bitte auf legalem Wege. Doch das ist Wunschdenken.
Abhängig von Transferzahlungen der Migranten
Ausdruckskräftiger sind die Zahlen, die der Beamte in seinem Büro mit Blick auf den Place de l’Independance in der Dakarer Innenstadt auflistet. Und sie verdeutlichen vor allem eines: wie abhängig das Land von den Devisentransfers der Migranten ist. Knapp zwei Millionen Senegalesen leben Schätzungen zufolge im Ausland, berichtet Niang.
Im Jahr 2004 hätten sie über offizielle Kanäle 500 Millionen Euro in die Heimat überwiesen. Wie viel mehr noch auf informellen Wegen und unversteuert ins Land gebracht würde, sei gar nicht zu ermessen.
Der Beamte des "Ministeriums für die Auslandssenegalesen" bringt es auf den Punkt: "Die Transferleistungen übersteigen inzwischen die Entwicklungshilfe. Wir haben daher überhaupt kein Interesse, die Auswanderung zu bremsen."
Ostentative Spendierfreude
Migration ist für die senegalesische Gesellschaft eine Erfolgsgeschichte. Das Schicksal derjenigen, die mit leeren Händen zurückkommen, dagegen nur ein ärgerlicher Betriebsunfall. In großen Zeitungsanzeigen werden Rückkehrern aus Europa Luxusapartments in den besseren Wohnvierteln Dakars angeboten.
Diejenigen, die es geschafft haben, protzen mit schnieken Autos und üben sich im Heimaturlaub in ostentativer Spendierfreude.
"Wir leben in einer Kultur des Scheins. Jeder versucht zu zeigen, wie wohlhabend er ist, auch wenn das gar nicht der Fall ist", kommentiert der Historiker Cherif Ba.
Mein Haus, mein Auto, mein Geld – dagegen sind alle Mahnungen machtlos. Über den Preis ihres Erfolgs berichten die Migranten in ihrer Heimat lieber nicht: ein Leben voller Entbehrungen in einem fremden Land, rassistische Beschimpfungen, teilweise erniedrigende Arbeiten, nicht selten Jobs außerhalb der Legalität. All das ist zweitrangig, all das nehmen sie in Kauf, um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen.
Verkehrte Welten
"Die afrikanischen Migranten leben in einem ständigen Spagat – im Ausland sind sie arme Kerle und in ihrer Heimat gehören sie zu den ganz Reichen. Und das sind sie wirklich, selbst wenn sie in Europa nur 1000 Euro im Monat verdienen", sagt Laurence Marfaing, Migrationsexpertin am Zentrum Moderner Orient in Berlin.
Auf Mitleid können gestrandete Glücksritter wie Fall im Senegal nicht hoffen. "Kehre nie mit Armut zurück, davon gibt es bereits genug hier!" – dieses Motto vermittelt die Erwartungshaltung der Daheimgebliebenen.
Den Erfolgsdruck hat auch die Forscherin Marfaing beobachtet: "Die Migranten gehen nicht zurück, solange sie nicht den Eindruck haben, in der Heimat erfolgreich auftreten zu können". Wer mittellos zurückkehrt, erntet höchstens Vorwürfe oder Schadenfreude.
Eine Senegalesin erzählt amüsiert von ihrem Bruder, der sich fünf Tage ohne Essen im Bauch eines Schiffes versteckt hielt. Danach hielt er es nicht mehr aus. Er stellte sich der Schiffsbesatzung und wurde prompt nach Hause zurückgeschickt. "Hallo, hier bin ich!" – schauspielreif stellt die Frau die Verzweiflung ihres Bruders nach und erntet dabei großes Gelächter. Wer es nicht schafft, ist selbst schuld.
Lieber sterben als erfolglos zurückkehren
Für seinen Auswanderungsversuch hat Yakhia Fall 2000 Euro gezahlt. Das Flugticket nach Rabat, das Geld für die Schleuser. Dafür verkaufte er sein kleines Handy-Geschäft im Dakarer Vorort Pikine und lieh sich Geld bei Verwandten. Wie er das jetzt zurückzahlen soll, ist ihm ein Rätsel.
Ein Großteil der aus Marokko Repatriierten stammt aus Dörfern im Südosten des Landes. Viele haben für das Projekt Auswanderung ihre Viehherden verkauft und somit äußerst symbolkräftig ihre Existenz aufs Spiel gesetzt – und letztlich verloren.
"Für sie ist es unerträglich, in ihre Dörfer zurückzukommen, sie wollen unbedingt wieder nach Ceuta. Sie denken sich, lieber sterben als erfolglos zurückkehren", erzählt Fall.
Auch er sehne sich – so absurd es klingt – nach dem Verschlag aus Brettern und Plastikplanen im Wald zurück. "Sobald sich die Möglichkeit ergibt, werde ich wieder versuchen, auszuwandern", kündigt er an.
Moritz Behrendt
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