Migrationsabwehr statt Bekämpfung von Fluchtursachen
Seit 2015 stehe das Thema Migrationssteuerung ganz oben auf der europäischen Agenda, schreiben David Kipp und Anne Koch in ihrer Einführung. Zunehmend sollen Migrationsbewegungen bereits in Staaten außerhalb der EU kontrolliert und begrenzt werden, sodass diese Europa nicht erreichen. Kipp und Koch sehen in diesem „Trend zur Externalisierung“ den kleinsten gemeinsamen Nenner der EU-Migrationspolitik.
Die EU schließt sogenannte Migrationspartnerschaften mit Herkunfts- und Transitländern. Dabei geht es um Kooperationen, beispielsweise im Bereich Handel, Sicherheit oder Entwicklung.
Statt frühere Versprechen legaler Zuwanderungswege einzulösen, bietet die EU laut Kipp und Koch auch autoritär regierten Staaten nun zunehmend finanzielle Anreize. So werde Entwicklungspolitik unter dem Schlagwort der „Fluchtursachenbekämpfung“ der Migrationsabwehr untergeordnet.
Die Hemmschwelle der EU, mit autoritären Regimen zusammenzuarbeiten, sei gesunken. Dies zeige sich insbesondere an der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit zum Schutz der EU-Außengrenzen.
Autoritäre Staaten in Afrika reagieren unterschiedlich auf die Kooperationsangebote der EU. Die Studie untersucht die Länder Ägypten, Algerien, Marokko, Niger sowie Sudan und Eritrea, die in unterschiedlichem Grade autoritär regiert werden.
Fehlende Bekämpfung von Fluchtursachen
In Ihrem Schlusskapitel urteilen die Herausgeberinnen Anne Koch, Annette Weber und Isabelle Werenfels, einige Regierungen seien proaktiv und wollten die Migrationspolitik aktiv gestalten, während reaktive Regierungen lediglich auf Angebote der EU reagierten.
Zusammengefasst identifiziert die Studie fünf Faktoren, die die Haltungen der Regierungen beeinflussen: ihre staatliche Verfasstheit und Handlungsfähigkeit, der Charakter ihrer von der Kolonialgeschichte und Befreiungskämpfen geprägten Beziehungen zu europäischen Staaten, bestehende Migrations- und Auswanderungspraktiken, regionale Kontexte wie beispielsweise Konflikte sowie Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der EU.
Allen untersuchten Staaten gemeinsam ist, dass ihre Reaktion auf die Angebote der EU von Machterhaltungsinteressen und Legitimationsstrategien geprägt ist. Oft geht es ihnen primär um internationale Anerkennung und die Aufhebung von Sanktionen und nicht um Geld.
Aus ihren Ergebnissen leiten die Herausgeberinnen unter anderem folgende Empfehlungen an die europäische Politik ab:
-Wanderungsbewegungen sollten als staatenübergreifende Migrationskomplexe verstanden werden und europäische Instrumente sollten auf regionalen Dynamiken aufbauen.
-Regionale Freizügigkeit sollte gefördert und nicht durch restriktives Grenzmanagement gefährdet werden.
-Um die Entfremdung von Mitteln zu repressiven Zwecken zu vermeiden, brauche die EU eine klare Gesamtstrategie für die Geldvergabe.
-Staaten, für die Rücküberweisungen aus Europa ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind, sind weiterhin an legalen Migrationsmöglichkeiten interessiert.
-Die EU sollte eindeutige rote Linien mit Blick auf Menschenrechte definieren und durchsetzen.
Während beispielsweise Marokko eine eigene Migrationspolitik verfolge und damit politisches Ansehen auf internationaler Ebene gewinnen wolle, verhalte sich Ägypten eher reaktiv und nutze die Kooperation mit der EU strategisch zur Herrschaftskonsolidierung, heißt es in der Studie.
Länder wie Algerien und Eritrea seien nicht nur reaktiv, sondern auch abwehrend gegenüber Angeboten für Zusammenarbeit. Dies liege unter anderem an deren Geschichte antikolonialer Befreiungskämpfe, die zu einer Skepsis gegenüber Europas Politik geführt habe.
Niger wiederum reagiere auf EU-Anreize weder strategisch noch ablehnend, sei aber sowohl an Geld als auch besserer Reputation interessiert. Letztlich steuere die EU die Politik Nigers, schreiben die Herausgeberinnen. Die Interventionen der EU seien allerdings so tiefgreifend, dass sie lokale Konflikte auslösen könnten.
Wanderungsbewegungen stärken die lokale Wirtschaft im Norden des Landes, insbesondere in der Region um Agadez. Durch verstärkte Kontrollen sind diese allerdings zurückgegangen. Die Stimmung in der Bevölkerung könnte kippen, wenn die Unzufriedenheit weiter steigt.
Monika Hellstern