Für Gerechtigkeit und Transparenz
Herr Akbar, gab es einen Auslöser für Ihr Engagement?
Mirza Shahzad Akbar: Im Jahr 2010 lernte ich den Journalisten Karim Khan aus Waziristan kennen, der Sohn und Bruder bei einem Drohnenangriff verloren hatte. Besonders das Schicksal des Bruders hat mich berührt: Als Grundschullehrer erarbeitete er sich über lange Jahre einen Universitätsabschluss, mit dem er überall in Pakistan hätte Arbeit finden können. Dennoch ist er wieder in seine Heimat zurückkehrt, um zu unterrichten. Und dann wird er von einer Drohne getötet! Bis dahin hatte der Mann keinen Anwalt gefunden und so übernahm ich den Fall.
Welche Schritte haben Sie unternommen?
Akbar: Zuerst mussten wir einen Schuldigen identifizieren. Da die Drohnenangriffe unter Aufsicht der CIA stehen, haben wir rechtliche Schritte gegen den Stationschef in Islamabad eingeleitet und seinen Namen öffentlich gemacht. Die Reaktion zeigte uns, dass wir die richtige Person gefunden hatten: Innerhalb von zwei Tagen wurde der Mann abgezogen. Außerdem haben wir eine Anzeige gegen John Rizzo erstattet, der als Jurist in der CIA von 2004 bis 2009 Angriffe genehmigte.
Und in Großbritannien verlangen wir gerade Aufklärung über die Informationen, die der britische Geheimdienst an die Amerikaner weitergeleitet hat. Wir glauben, dass sie die Grundlage für einen Angriff bildeten, bei dem der Vater eines meiner Mandanten ums Leben kam.
Wie viele Menschen vertreten sie zurzeit?
Akbar: Das Problem ist, dass die Betroffenen aus einer unterentwickelten Region stammen und kaum über ihre Rechte informiert sind. Die Enttarnung des CIA-Chefs in Pakistan erzeugte jedoch viel Aufmerksamkeit, so dass mehr Angehörige von Drohnenopfern zu uns kamen.
Innerhalb von kurzer Zeit gewann ich zwölf neue Mandanten, die insgesamt 25 Angehörige verloren hatten. Die haben wir nach Islamabad gebracht, um vor dem Parlament zu demonstrieren und sie in Kontakt mit den Medien zu bringen. Mittlerweile vertrete ich etwa 50 Familien. Einige Stammesführer haben uns autorisiert, ihr gesamtes Einflussgebiet zu repräsentieren.
Welche Ziele verfolgen Sie?
Akbar: Ganz einfach: Wir wollen, dass die Angriffe aufhören. Zumindest aber sollte das gesamte Drohnenprogramm unter juristische und parlamentarische Kontrolle gebracht werden. Die Angehörigen der Opfer bisheriger Angriffe müssen eine angemessene Entschädigung erhalten. Es geht um Gerechtigkeit und Transparenz.
Wie viele Menschen sind bislang durch die Angriffe getötet worden und wie können Sie die Zahl der Opfer verifizieren?
Akbar: Es gibt natürlich keine genauen Erhebungen in der Region, die für uns nicht zugänglich ist. Der pakistanische Geheimdienst und die CIA halten alle Informationen zurück. Wir haben inzwischen Kontaktpersonen aus Waziristan ausgebildet, die für uns erste Informationen von Betroffenen einholen.
Das Londoner "Bureau of Investigative Journalism" hat einen Report veröffentlicht, dessen Zahlen sich mit unseren Erkenntnissen decken. Demnach sind bislang mehr als 300 Angriffe geflogen worden, bei denen etwa 3.000 Menschen ums Leben kamen. 40 davon waren namentlich bekannte Extremisten, weitere 200 bis 300 lassen sich vielleicht noch als Mitglieder militanter Gruppierungen einstufen. Doch darüber hinaus ist alles unklar. Worin bestanden die angeblichen Verbrechen der Getöteten? Es finden sich auch viele Kinder, Frauen und ältere Menschen unter den Opfern.
Was wissen Sie über Planung und Durchführung der Angriffe?
Akbar: Die CIA sammelt zuerst Informationen durch Luftüberwachung, abgehörte Telefongespräche und Hintermänner vor Ort. Inwieweit sie über ein Netzwerk eigener Quellen verfügen, wissen wir nicht. Es ist davon auszugehen, dass sie Hinweise vom pakistanischen Geheimdienst bekommen.
Ist der mutmaßliche Aufenthaltsort von Extremisten festgestellt, werden Drohnen dorthin gelenkt. Der Pilot sitzt irgendwo in den USA und kann über seine Kamera nur erkennen, dass dort ein paar Leute zusammensitzen, die womöglich noch Gewehre bei sich haben, wie das in den Stammesgebieten so üblich ist. So wird der Abschuss entschieden. Das Fatale ist, dass teilweise Rettungsarbeiten nach dem ersten Angriff erneut bombardiert wurden, offenbar mit der Vermutung, dass alle Helfer auch Extremisten sein müssten. Nun kommt in den ersten Stunden kaum jemand mehr den Verwundeten zur Hilfe.
Wie haben sich die Drohnenangriffe seit dem Amtsantritt von Präsident Obama entwickelt?
Akbar: Vor Obamas Amtszeit gab es nur unregelmäßig Angriffe. Seitdem ist die Zahl jedoch massiv gestiegen. Ich denke, dass Obama versucht, seinem Versprechen, die Truppen nach Hause zu bringen, gerecht zu werden. Gleichzeitig muss er dem Pentagon und der Verteidigungsindustrie nachgeben, die viel politischen Einfluss haben.
Das Drohnenprogramm ist eine neue attraktive Art der Kriegsführung, Bodentruppen sind innenpolitisch immer schwerer durchzusetzen. Waziristan wird als Brutstätte des Terrorismus dargestellt und die amerikanische Regierung kann zeigen, dass sie den Krieg gegen den Terror noch immer entschieden führt.
Wie sehen Sie die Haltung der pakistanischen Regierung zu den Angriffen?
Akbar: Aus den über Wikileaks veröffentlichten Dokumenten wissen wir, dass die derzeitige Regierung die Angriffe befürwortet hat. Jetzt will sie aber immer weniger damit zu tun haben. Nachdem Obama im Januar erstmalig die Drohnenangriffe öffentlich zugegeben hat, habe ich einen Brief an unseren Premierminister Gilani geschrieben und ihn aufgefordert, dagegen vorzugehen.
Er könnte Entschädigungen einfordern, vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gehen oder gerichtlich ermitteln lassen, wer mit welcher Begründung durch Drohnen getötet wird. Er soll eben seinen Job als gewählter Vertreter unseres Landes machen. Wenn er auf das Schreiben nicht reagiert, gehe ich davon aus, dass er die Angriffe unterstützt und werde auch gegen ihn Anzeige erstatten.
Zur Verteidigung der Drohnenangriffe wird häufig angeführt, dass Pakistan zu wenig gegen die Extremisten in Waziristan unternimmt, die von dort aus Angriffe auf die US-Truppen und deren Verbündete in Afghanistan ausführen. Die USA seien somit gezwungen, eigenständig zu handeln.
Akbar: Die amerikanische Argumentation der Selbstverteidigung ist ein Witz. Wenn das pakistanische Militär so unzuverlässig ist, warum erhält es dann immer noch finanzielle Förderung von den USA? Die Drohnenangriffe haben außerdem kaum Auswirkungen auf die Lage in Afghanistan. Diejenigen Militanten, die dabei getötet wurden, gehörten meist zu den pakistanischen Taliban, die jenseits der Grenze kaum aktiv sind.
Wichtigste Ursache für den Extremismus in beiden Ländern ist doch gerade die Präsenz des amerikanischen Militärs. Sie liefert überzeugende Argumente, um Nachwuchs für militante Gruppierungen zu rekrutieren. Die Amerikaner sind jetzt im Prinzip der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen – was immer sie tun, sie machen etwas kaputt. Sie müssen abziehen, um dem Extremismus zumindest einen Teil seines Nährbodens zu entziehen.
Interview: Marcus Michaelsen
© Qantara.de 2012
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de