Trauer überschattet Weihnachten in Bethlehem
Die Vorfreude auf die Weihnachtszeit war eigentlich immer das Beste, sagt Nuha Tarazi und stellt eine Schale mit Weihnachtsplätzchen auf den Küchentisch. Sonst sucht man bei ihr zuhause vergeblich nach Weihnachtsdeko. Dieses Jahr ist alles anders.
"Wir haben uns jedes Jahr auf die Feiertage gefreut", sagt Tarazi. Sie selbst hat seit sechs Jahren keine Genehmigung mehr von den israelischen Behörden bekommen, Verwandte in ihrer Heimatstadt zu besuchen. "Wer will jetzt noch an Weihnachtsfeierlichkeiten denken, mit dem was in Gaza passiert?"
An Weihnachten durften sonst ihre Verwandten aus Gaza-Stadt ins besetzte Westjordanland zu Besuch kommen. Tarazi ist selbst in Gaza geboren, wohnt aber seit vielen Jahrzehnten in Beit Sahour, der angrenzenden Nachbarstadt von Bethlehem. Viele hier haben Verwandte und Freunde im Gazastreifen, wo es noch eine kleine christliche Gemeinde gibt.
An christlichen Festen wie Weihnachten oder Ostern vergaben israelische Behörden die begehrten Ausreisegenehmigungen an palästinensische Christen im abgeriegelten Gazastreifen. Ob man eine solche Genehmigung bekam, war immer ungewiss, oft durften nicht alle Mitglieder einer Familie ausreisen und in manchen Jahren war die Zahl der Ausreisepapiere stark limitiert. Aber es bestand zumindest die Hoffnung, sich an den Festtagen zu sehen und gemeinsam Zeit zu verbringen.
Nicht so dieses Jahr. Israels Grenzübergang Erez ist seit den Hamas-Terroranschlägen am 7. Oktober und dem darauffolgenden Krieg geschlossen. Damit sind auch die Wege ins besetzte Westjordanland und nach Jerusalem verschlossen.
Und Nuha Tarazi trägt Trauer: Ihre Schwester wurde im Oktober bei einem israelischen Angriff auf ein Gebäude auf dem Gelände der griechisch-orthodoxen Porphyrius-Kirche in Gaza-Stadt getötet. Laut einer Mitteilung des griechisch-orthodoxen Patriarchats starben dabei 18 Menschen; viele hatten auf dem Gelände Schutz gesucht. "Ich bin hier alleine, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Meine Gedanken drehen sich nur noch um das, was dort passiert", sagt Tarazi und ringt um Fassung.
Besonders macht ihr zu schaffen, dass sie nicht an der Beerdigung ihrer Schwester teilnehmen konnte. Die ständige Sorge um andere Geschwister und Verwandte beschäftigt sie Tag und Nacht - und Telefonleitungen sind oft unterbrochen. "Das Einzige, was hilft, ist in meinen Garten zu gehen, meine Blumen anzuschauen und mich um die Natur zu kümmern", sagt Tarazi.
Leere vor der Geburtskirche
Nicht nur Tarazi steht es in diesem Jahr nicht danach, Weihnachten zu feiern. Auch in Bethlehem, der Geburtsstadt Jesu, finden keine Weihnachtsfeierlichkeiten statt. Auf dem Krippenplatz vor der Geburtskirche, auf dem sich in der Weihnachtssaison normalerweise tausende Besucher aus dem In- und Ausland drängeln, herrscht Leere. Die Stadt hat weder den großen Weihnachtsbaum noch die Krippe aufgestellt, Weihnachstdeko und Lichter sucht man vergeblich. "Es gibt hier keinerlei festliche Atmosphäre, es gibt keine Feierlichkeiten wegen all dem, was in Palästina, in Gaza passiert”, sagt Basel, der gegrillte Hähnchen in der Stern-Straße verkauft, die zum Krippenplatz führt.
"Normalerweise wären jede Menge Menschen unterschiedlicher Religionen aus aller Welt hier, aber es gibt gar keine festliche Atmosphäre", sagt Yara Alama, die in Bethlehem wohnt und mit einer Freundin unterwegs ist. "Man hat das Gefühl, man kann keine Freude empfinden, wegen des Krieges und was den Menschen in Gaza passiert."
In der Geburtskirsche herrscht ebenfalls Leere - und Stille. Auch gibt es diesmal keine langen Schlangen, um in die Geburtsgrotte zu gelangen, wo ein silberner Stern die Stelle markiert, an der Jesus geboren worden sein soll.
"Die Menschen trauern"
Issa Taljieh, in Bethlehem geboren, ist seit zwölf Jahren Pfarrer der griechisch-orthodoxen Gemeinde der Geburtskirche. In seiner Zeit, sagt er, habe er noch kein solch trauriges Weihnachten erlebt. "Die Menschen trauern darüber, was in Gaza passiert", sagt Pfarrer Issa. "Es ist das erste Mal, dass ich die Geburtskirche, den Ort an, dem Jesus geboren wurde, so leer sehe. Selbst während der Corona-Pandemie waren doch immer noch Einheimische hier, die mit uns Weihnachten gefeiert haben."
Während der Pandemie waren kaum ausländische Gäste da. Ein harter Schlag für die Stadt, die vom Tourismus lebt. Dafür kamen aber noch palästinensiche Christen aus Israel oder anderen Orten im besetzten Westjordanland nach Bethlehem. Seit den Hamas-Terroranschlägen vom 7. Oktober ist der Zugang zur Stadt, die ohnehin durch die israelische Sperranlage von Jerusalem abgetrennt ist, nochmals schwieriger geworden. Die israelische Armee hat an vielen Zugangsstraßen Barrieren errichtet, an denen man nur zu Fuß vorbeikommt. Autos dürfen nur zu bestimmten Zeiten durchfahren.
"Für Frieden und Sicherheit beten"
In Gaza sind nach Angaben des Hamas-Gesundheitsministeriums mehr als 20.000 Palästinenser getötet worden. Die UN-Nothilfeorganisation OCHA zählte 2023 im besetzten Westjordanland mindestens 491 getötete Palästinenser - es ist die höchste Zahl, seit die Vereinten Nationen 2005 begonnen haben, die Todesopfer zu dokumentieren. In Israel wurden mindestens 1200 Israelis und Ausländer bei den Terrorattacken am 7. Oktober getötet. Etwa 130 Menschen werden noch als Geiseln im Gazastreifen festgehalten.
Pater Issa, dessen arabischer Name "Jesus" bedeutet, versucht seiner Gemeinde beizustehen. "Es passt nicht zusammen, dass wir in Bethlehem feiern und dort sterben sie. Ihre Häuser werden zerstört, sie werden obdachlos, haben kein Essen und keinen sicheren Ort, mitten im Winter", sagt Pfarrer Issa. "Wir müssen sie in unsere Gebete mit einschließen und für Frieden und Sicherheit beten."
Trotz allem bereitet man in der Geburtskirche die Weihnachtsliturgien vor. Am 24. Dezember wird der lateinische Patriarch aus Jerusalem seinen Einzug halten, aber dieses Jahr offenbar ohne die begleitende Musik der palästinensischen Pfadfindergruppen. Auch die traditionelle Mitternachtsmesse soll stattfinden. Zwei Wochen später werden dann die orthodoxen Gemeinden ihr Weihnachtsfest feiern, wie immer zeitlich versetzt durch die unterschiedlichen Kalender.
Angesichts des Leids und der ausweglosen Situation im Gazastreifen müsse man Kraft aus dem Glauben schöpfen, hofft Pater Rami Asakrieh, Pfarrer der römischen-katholischen Gemeinde der Katharinenkirche. "Wir brauchen Weihnachten jetzt. Ja, es wird ein Fest ohne Musik, ohne Festlichkeiten", sagt Pater Rami. "Aber es ist wichtig, dass wir die religiösen Rituale beibehalten. Dass es eine Botschaft des Friedens gibt aus dieser Stadt an die Welt, eine Friedensbotschaft, die von Jesu Geburtsort ausgeht."
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